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Die Todesfahrt von Reichstädt

Der Unfall am 12. Oktober nahm einem Mann seine Frau. Der Verursacher war stark alkoholisiert. Er wurde am Mittwoch zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

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Stummer Zeuge eines Unfalls mit tragischem Ausgang: Ein Schuh der tödlich verletzten Frau steht noch am Straßenrand.
Stummer Zeuge eines Unfalls mit tragischem Ausgang: Ein Schuh der tödlich verletzten Frau steht noch am Straßenrand. © Archiv/Marko Förster

Von Anne Schicht

Der Abend des 12. Oktober im vergangenen Jahr begann für den 55-Jährigen gar nicht gut. Gegen halb acht kam seine Lebensgefährtin von Arbeit. Es war ein Samstag. Sie teilte ihm mit, dass sie sich von ihm trennen werde. Schon länger habe sie diesen Gedanken mit sich herumgetragen, „aber für ihn kam es wohl aus heiterem Himmel“, sagte sie am Mittwoch vor dem Amtsgericht Dippoldiswalde aus. Ihr ehemaliger Lebensgefährte war dort angeklagt wegen fahrlässiger Tötung. Er hat in jener Nacht im Oktober im Alkoholrausch zwei Menschen überfahren. Eine Frau aus Reichstädt kam dabei ums Leben. 

13 Jahre seien sie zusammen gewesen, erzählt die Zeugin, hätten aber bis zum Schluss in getrennten Wohnungen gelebt. Nach einer Stunde Reden sei sie zu sich nach Hause gefahren. Gegen 21 Uhr habe er noch einmal bei ihr angerufen, dann gegen Mitternacht klingelte er stark alkoholisiert an der Wohnungstür Sturm. Da sie ihm nicht aufmachte, habe er an die Tür gehämmert und sie beschimpft. Sie habe Angst gehabt. 

Schließlich sei er weggegangen. Dass er mit dem Auto unterwegs gewesen sei, habe sie nicht geahnt. Beide Wohnungen liegen nicht weit voneinander entfernt. „Hinterher frage ich mich natürlich: Hätte ich ihn doch reingelassen, dann hätte ich zwar eine Backpfeife bekommen, aber die Frau würde noch leben“, so die Zeugin weiter vor Gericht.

Denn auf dem Rückweg erfasste ihr Ex-Lebensgefährte mit seinem VW Passat in Reichstädt zwei Fußgänger. Das Ehepaar kam gerade von Freunden und lief auf der rechten Straßenseite sich gegenseitig an der Hand haltend. An dieser Stelle befindet sich ein Fußweg nur auf der linken Seite. Laut Gutachten, lief der Mann neben dem Fahrbahnrand auf dem Wiesenstreifen und die Frau befand sich einen dreiviertel Meter auf der Fahrbahn. 

Das Opfer wird 28 Meter weit geschleudert

Mit 64 bis 68 km/h, errechneten die Fachleute, erfasste der Angeklagte mit seinem Auto von hinten die Frau. Sie wurde auf die Motorhaube und dann gegen die Frontscheibe geschleudert, ihr Kopf wurde dabei stark verletzt. Erst 28 Meter nach diesem Zusammenstoß landete sie auf einer Parkfläche auf der gegenüber liegenden Seite. 

Ihr Mann wurde in den Straßengraben gerissen und nur leicht verletzt. Obwohl dieser Aufprall massiv wahrnehmbar gewesen sein muss, fuhr Matthias Z. weiter. Doch zu Hause angekommen, habe er sich gefragt, was das eigentlich gewesen sei und sei noch einmal losgefahren. In deutlichen Schlängellinien fahrend erlebte ihn dann eine Taxifahrerin am Gasthof in Reichstädt, sie fuhr hinter ihm her, gab Lichthupe und betätigte den rechten Blinker. 

„Einige Male dachte ich, er fährt gleich den rechten Abhang runter“, sagt sie. Schließlich habe er angehalten, da waren sie gerade wieder – von ihr unbemerkt – am Unfallort vorbeigefahren. Sie stieg aus und hörte im nächsten Moment hinter sich Schreie, man brauche einen Notarzt. Sofort gab sie die entsprechenden Rufe ab, ließ den betrunkenen Fahrer stehen und eilte zur Unglücksstelle. 

Furchtbare Verletzungen am Kopf

Mit bewegter Stimme berichtet die Taxifahrerin im Zeugenstand, wie sie zunächst durch Herz-Druck-Massage versuchte, die Frau ins Leben zurückzuholen. Als sie die Kapuze der neongelben Jacke der Frau von deren Gesicht schob, sah sie die furchtbaren Verletzungen. Inzwischen sei der Betrunkene, den sie richtigerweise als Unfallverursacher einschätzte, auch nachgekommen. Die Ersthelferin sicherte sich seinen Autoschlüssel, später hielt sie den Ehemann der Toten fest im Arm, der unbeachtet am Straßenrand stand. 

Der Mann ist nicht zum Gerichtstermin gekommen. Ein ärztliches Attest bescheinigt ihm, dass er nicht vernehmungsfähig ist. An das Gericht selbst schreibt er: „Ich kann dem Mann, der mir alles genommen hat, nicht von Angesicht zu Angesicht begegnen.“ Laut seiner Aussage gegenüber der Polizei, die die Richterin im Gerichtssaal vorliest, kann er sich nur an einen lauten Knall und eine Art Flutwelle erinnern, danach erst wieder, als er im Krankenhaus aufgewacht sei.

Auch der Angeklagte hat keine Erinnerungen mehr. Er räumt zwar alle Vorwürfe ein und bereut, was er getan hat. Doch weiß er nur noch, dass seine Freundin an dem Abend mit ihm „ratzbatz Schluss gemacht" und er dann viel getrunken habe. Von Bier und Schnaps ist die Rede. Für den Angeklagten endet der Filmriss im Krankenhaus, dort habe er die Polizeibeamten gefragt, was los sei. 

Fahrer mit 2,7 Promille unterwegs

Bei der Gerichtsverhandlung sagt der Beamte: „Ich hatte den Eindruck, Z. hatte in der Nacht noch nicht realisiert, dass die Fußgängerin tot ist.“ Der Gerichtsmediziner wird später ausrechnen, dass Z. zum Unfallzeitpunkt 2,7 Promille Alkohol im Blut hatte. Allein der Alkohol könne einen solchen Blackout aber nicht ausreichend erklären, immerhin habe er gegenüber der Polizei und im Krankenhaus den Anweisungen noch folgen können. Doch die zusätzliche psychische Belastung könne zu einer Verdrängung führen.

Der Unfallgutachter schlüsselt detailgenau die physischen Umstände auf: Es war hell genug, um die Fußgänger zu sehen, noch dazu trug die Frau eine auffällig helle Jacke, es hat nicht geregnet, es waren 8 Grad, die Straße sei breit genug und gerade gewesen. Ohne Alkoholeinfluss hätte man durchaus rechtzeitig bremsen oder ausweichen können.

Für den Verteidiger Ulf Israel ist klar, dass sich sein Mandant strafbar gemacht hat und sich verantworten muss. Nur gibt er zu Bedenken, dass die Fußgänger innerorts auf der falschen Straßenseite gelaufen seien, noch dazu nebeneinander. Matthias Z. habe sich bis zu diesem schrecklichen Abend nichts zu Schulden kommen lassen, auch sein Fahrtenregister weist keine Einträge auf. Er plädiert auf eine Bewährungsstrafe.

Richterin Daniela Höllrich-Wirth sieht die Anklage bestätigt. Der Angeklagte habe sich bewusst und vorsätzlich betrunken. Tragisch sei dabei, dass er den Weg auch hätte zu Fuß bewältigen können. Sie verurteilt ihn wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässiger Tötung und Körperverletzung sowie Unfallflucht zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug. Noch dazu muss er für weitere zwei Jahre und sechs Monate seinen Führerschein abgeben und die Kosten des Verfahrens tragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.  

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