Tödliche Abkürzung am Bahnhof

Bischofswerda. Ein Plakat der Bundespolizei am Zaun hinter Aldi in Bischofswerda weist seit Donnerstagvormittag auf die Gefahr hin, in die man sich begibt, wenn man auf kürzestem Weg zum Bahnhof gegenüber will – nämlich über die Gleise.
Unmittelbar am Marktgebäude ist der Maschendrahtzaun heruntergetreten und ein Zaunpfahl aus der Verankerung gerissen. Jüngere, Ältere, Menschen mittleren Alters – nahezu alle Altersgruppen wurden schon gesehen, wie sie wegen der gesperrten Bahnunterführung an der Neustädter Straße diese Abkürzung nehmen statt die Umleitung über die Süßmilchstraße, berichtet Jessica Große. Die Polizeihauptmeisterin ist Präventionsbeauftragte der Bundespolizeiinspektion Ebersbach. In den vergangenen Tagen sprach sie mit Verkäuferinnen des Supermarktes, dem Bauleiter der Brückenbaustelle und einer Zugbegleiterin auf dem Bahnhof Bischofswerda. „Sie alle haben bestätigt, dass den ganzen Tag über Reisende diese Abkürzung nutzen. Spezielle Schwerpunktzeiten gibt es nicht“, sagt sie.
In anderthalb Wochen könnte sich das Problem der sogenannten Gleislatscher potenzieren. Dann beginnt das neue Schul- und Ausbildungsjahr in Sachsen. Dann werden auch wieder Schüler und Lehrlinge unterwegs sein. Um auf dem Weg zwischen den Wohngebieten südliche der Bahnlinie und dem Bahnhof bzw. Busbahnhof wenige Minuten einzusparen, bringen sich manche in Lebensgefahr, wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein. „Es ist eine Frage der Geschwindigkeit, aber auch der Lautstärke. Die Motoren der Dieseltriebwagen sind sehr leise. Man hört sie erst, wenn der Zug kurz vor einem ist“, sagt Jessica Große. Hinzu kommt, dass Schienenfahrzeuge einen langen Anhalteweg haben. Die für die Bahnanlagen zuständige Bundespolizei reagiert auf die Situation durch stärkere Präsenz, vor allem aber durch Aufklärung. Die Plakate, die vor der „Tödlichen Abkürzung“ warnen und nach möglichen Gründen fragen, nämlich Eile, Mutprobe oder Leichtsinn, wurden jetzt extra aus diesem Anlass in Ebersbach entworfen und gedruckt.
Sie werden zusammen mit einem weiteren Plakat, das auf das richtige Verhalten auf Bahnhöfen hinweist, nicht nur in die Schaukästen auf dem Bischofswerdaer Bahnhof gehangen, sondern auf nahezu allen Stationen im Inspektionsbereich, der sich von Bischofswerda bis Zittau und von Bautzen bis Hagenwerder erstreckt. Am Mittwoch waren die Bundespolizisten deswegen bereits im Oberland auf allen Bahnhöfen zwischen Neukirch und Ebersbach unterwegs. In den nächsten Tagen folgen weitere Bahnhöfe zwischen Bautzen und Zittau. „Es geht uns nicht darum, Reisende zu bestrafen, sondern bei ihnen ins Bewusstsein zu rufen, wie man sich auf Bahnhöfen richtig verhält“, sagt Jessica Große. Dazu gehört beispielsweise, die weiße Sperrlinie auf dem Bahnsteig zu beachten, dort nicht zu drängeln, nicht zu schubsen, nicht zu toben.

Das illegale Überschreiten der Bahngleise ist kein Kavaliersdelikt. Ein Mann aus Dresden, der in Bischofswerda aus dem Zug stieg und über die Bahnlagen in Richtung Aldi laufen wollte, kostete das vor ein paar Tagen 25 Euro. „Viel zu wenig“, kommentierte daraufhin ein Besucher der Facebookseite der Bischofswerdaer SZ. Für Polizeioberkommissar Alfred Klaner, Pressesprecher der Bundespolizeiinspektion Ebersbach, ist die Höhe des Verwarngeldes angemessen. „Eine Verwarnung kann auch mündlich – wir sagen bargeldlos – ausgesprochen werden. Das Überschreiten der Gleise ist aber keine Kleinigkeit“, sagt er. Zugleich appelliert er – gerade auch mit Blick auf das absehbare Ferienende – an Erwachsene, Vorbild für Kinder und Jugendliche zu sein und die Gleise nicht als Fußgängerweg zu nutzen.
Deutschlandweit verstärkt die Bundespolizei ihre Präsenz auf Bahnhöfen und in Zügen – auch als Reaktion auf den tragischen Fall auf dem Frankfurter Hauptbahnhof Ende Juli, als ein achtjähriger Junge von einem Mann vor einen einfahrenden Zug gestoßen und getötet worden ist. So sieht man in Ostsachsen Bundespolizisten jetzt nicht nur verstärkt auf Bahnhöfen. Es gibt auch Streifen in den Zügen. Die Polizeibeamten fahren ein Stück mit, steigen unterwegs auf einem Bahnhof aus, schauen sich die Situation vor Ort an und fahren mit dem nächsten Zug weiter. „Wir suchen dabei auch das Gespräch mit den Bürgern“, sagt Alfred Klaner. Es gehe darum, den Reisenden Sicherheit zu geben, aber auch Tipps, wie man sich auf Bahnanlagen richtig verhält.
Alfred Klaner brachte am Donnerstag das laminierte Plakat am Zaun des Aldi-Marktes an, das vor dem Überschreiten der Gleise warnt. Spontan bekam er Zustimmung von Kunden auf dem Parkplatz. Als die Bahn vor ein paar Jahren die Brücke an der Süßmilchstraße erneuern ließ, konnten Fußgänger die Baustelle, geschützt durch einen Tunnel, die meiste Zeit passieren. Auf der stärker frequentierten Neustädter Straße ist das nicht möglich – diese Baustelle ist für alle gesperrt. Die Fertigstellung der neuen Brücke ist nach Auskunft der Deutschen Bahn AG für Ende 2019 geplant. Spätestens dann kommt man wieder ohne Um- und Schleichweg vom südlichen Teil der Stadt zum Bahnhof und in die Innenstadt. Die Bundespolizei setzt auf die Vernunft der Reisenden, auf die gefährliche Abkürzung zu verzichten. Doch sie wird den Bereich zwischen Bahnhof und Aldi auch weiterhin im Auge behalten.