Von Eric Weser
Ein Lächeln huscht über die Gesichter der Männer in der signalfarbenen Kleidung. Taschenlampen flackern, Schulterklopfen, Händeschütteln. „Das wäre geschafft“, beglückwünschen sich Polizisten und Schwergutexperten. Es ist Mittwochnacht gegen halb zwölf auf dem Gelände des Riesaer Muskatorwerkes. Das Areal neben der Kaimauer ist die vorläufige Endstation für die Fracht des bisher massigsten Schwerlasttransportes, den Riesa je sah. Dass die 189 Tonnen schwere Siemens-Turbine ihren Weg ans Elbufer finden würde, schien drei Stunden zuvor ungewiss.
Beim Test auf dem Parkplatz in Mehltheuer streikt das „Powerpack“, des Motors des 20-achsigen Plattformwagens. Eine Viertelstunde lang werkeln die Logistiker im Dämmerlicht an dem 240-PS-Kraftpaket, das den Metallkoloss später um Riesas enge Kurven tragen soll. Immer wieder drücken sie den Startknopf. Vergebens. Die Maschine tuckert, springt aber nicht an. Abgase liegen in der Luft, mischen sich mit den typischen Gerüchen der ländlichen Region. Die erfahrenen Logistiker lassen nicht locker, tüfteln weiter. Schließlich heult der Motor auf, der Auspuff entlässt eine dunkle Rauchwolke in den Abendhimmel – Erleichterung. Es kann losgehen.
Spitzentempo 40 auf gerader Strecke
„Uns als Polizei tangieren solche technischen Probleme wenig“, sagt der Leiter des Verkehrsüberwachungsdienstes bei der Polizeidirektion Dresden, Volker Groschupf, während er gegen 20.45 Uhr in Richtung Seerhausen fährt. Es sei aber wichtig, Tests vor dem Beginn des Transportes durchzuführen, so der Polizist weiter. „Wir vertrauen den Transporteuren, die wissen, was sie machen“, sagt der Erste Polizeihauptkommissar. Groschupfs Mitarbeiter sorgen unterdessen dafür, dass der Schwerlaster auf der B 6 freie Fahrt hat. „Fegen“ heißt das im Polizeijargon. „Heute brauchen Verkehrsteilnehmer unsere Hilfe, da sind wir die ‚gute‘ Polizei“, sagt der Beamte. Wenn Groschupf und Kollegen nicht gerade Schwerlasttransporte begleiten, kontrollieren sie beispielsweise Geschwindigkeiten. Und stoßen dabei selten auf Gegenliebe.
Etwa neun Kilometer liegen zwischen Mehltheuer und Riesa. Angetrieben von zwei je 600 PS starken Lkws bewegt sich der insgesamt fast 330 Tonnen schwere Transport auf geraden Abschnitten mit einem Spitzentempo von bis zu 40 Stundenkilometern nach Riesa. Nur in den Kurven muss es langsamer gehen.
Zwei Tage brauchte der Schwertransport, um vom Siemens Turbinenwerk in Görlitz nach Mehltheuer zu gelangen. „Die erste Etappe lief bis Kamenz, die zweite endete am Dienstagmorgen in Mehltheuer“, sagt Uwe Günther. Er ist der Transportverantwortliche, überwacht den Gesamtablauf. Anders als bei Volker Groschupf ist seine Arbeit nicht getan, wenn die Turbine in Riesa steht. Günther muss die Teile sicher in den Hafen der belgischen Stadt Antwerpen bringen. Drei Stück sind es, sie werden in die ganze Welt verschifft – die heutige geht nach Taiwan. Bis Mai lagern die Turbinen in Riesa. Eine steht schon am Elbkai, nächste Woche folgt die letzte.
An der Kreuzung Pausitzer Straße/Robert-Koch Straße rauschen gegen 21 Uhr nur wenige Pkws vorbei. Einige Autofahrer wirken irritiert. Nicht nur, dass die Ampeln gelb blinken – zwei der Peitschenmasten sind parallel zur Straße eingedreht. Alles, was dem Koloss im Wege steht, musste (kurzzeitig) weichen. Indes taucht auf der Anhöhe der Pausitzer Delle der Schwerlasttross auf.
Groschupf fährt mit dem Auto weiter. Gegen 21.23 Uhr sieht er die Wagenkolonne in die Klötzerstraße einbiegen, wo sie stoppt. 600 Meter sind es noch bis zum Ziel. Fast zwei Stunden wird es dauern, diese kurze Strecke zurückzulegen. Zug- und Schub-Lkw werden abgekoppelt, drei der 20 Achsen demontiert. Alles geschieht ohne Hektik im Schein der Straßenlaternen. Nur die Lkw-Motoren sorgen für ein dumpfes Brummen. Zwischen den Mehrgeschossern auf der Klötzerstraße schallt das Echo, als bei Montagearbeiten Metallbolzen auf den Asphalt schlagen. Das Blaulichtgewitter hat zahlreiche Schaulustige angelockt. Es ist kühl geworden.
Derweil macht sich Marco Goerke für seinen Einsatz fertig. Der Leipziger schnallt sich die knallorangene Fernbedienung für das Powerpack um die Lenden. Beigebracht hat er sich das selbst, eine „Fahrschule“ gab es nicht. Beim Wehrdienst bewegte der gelernte Maurer erstmals schwere Lasten per Lkw. Jetzt macht der 29-Jährige dies hauptberuflich. Ein Knochenjob, sagt er, vor allem im Winter.
Gegen 22 Uhr setzt Goerke den Zug in Bewegung. Die gewaltige Tonnage verteilt sich jetzt nur noch auf 17 Achsen. Trotz des massiven Innendrucks von zehn Bar sehen die Reifen aus, als seien sie platt. Während das Gefährt in die Breitscheid-Straße einbiegt, schmatzt es. Rückwärts geht es zur Innenstadt. Schrittgeschwindigkeit, die Zuschauer laufen nebenher. Am Puschkin-Platz dreht Marco Goerke die Räder maximal ein – es geht jetzt nur noch zentimeterweise vorwärts. Der Plattformwagen ächzt. Geschafft. Gegen 22.18 Uhr steht die blau folierte Turbine an der Goethestraße.
Gedehnte Zeit
Um den Hangabtrieb der Breiten Straße abzubremsen, werden Schub- und Zug-Lkw ans Ende des Plattformwagens gehangen. Ein Autokran hievt schwere, flache Metallplatten von etwa zwei Quadratmetern Größe auf Gullideckel, damit das Schwergewicht nicht beim Drüberfahren einbricht. Der Transport wartet. Alle Beteiligten arbeiten behänd, doch die Zeit dehnt sich.
Mit quietschenden Bremsen gelangt der Mega-Lader schließlich Stück für Stück in Richtung Muskator-Einfahrt. Um 23.22 Uhr ist das Ziel erreicht. Ein letztes Mal werden die Lkws entkoppelt. Marco Goerke übernimmt wieder allein, lenkt den Koloss aufs Muskator-Gelände. Dieses ist nur von den Scheinwerfern der Begleitautos beleuchtet. Sandbedecktes Pflaster und Bahnschienen sind eine letzte, umso massivere Belastungsprobe für die ohnehin stark strapazierten Reifen. Es knarzt und quietscht. Per Hydraulik hebt Goerke den Plattformwagen an.
Nur noch 16 Achsen tragen nun die 189 Tonnen. Das Powerpack stöhnt. Um die Kurve zu nehmen, geht es nochmals ein kleines Stück rückwärts den Berg hinauf. Gegen halb zwölf ist auch diese letzte Kurve genommen. Zeit für die Beteiligten, sich zu beglückwünschen.