Von Matthias Nicko
TV total war einmal. Jetzt kommt TV real! Denn vom 3. bis 12. Mai verwandeln sich leer stehende Geschäfte und Wohnhäuser der Stadt in Fernsehstudios. Dort erzählen Görlitzer – ähnlich wie die Londoner an ihrem Rede-Flecken „Speaker‘s Corner“ – frei von der Leber weg Geschichten aus ihrem Alltag. „Auf Sendung“ gehen soll das sehr persönliche Talkshow-Format unter anderem in der Berliner und der Jakobstraße.
Während sich die Zuschauer von draußen die Nasen an den als Bildschirmen fungierenden Schaufenstern plattdrücken, dringen die Weisheiten des drinnen interviewten Otto Normalverbrauchers via Lautsprecher ins Freie. Mitinitiator Peter Baumgardt nennt dies „Fernsehen ohne Fernsehen“.
Der Koordinator der Görlitzer Kulturhauptstadtbewerbung will mit der Aktion das künstlerische Potenzial der Stadt herausstellen. Und vermitteln, wie sehr die Bewerbung in den Köpfen der Leute verankert ist.
Dass die sicherlich auch überregional Aufsehen erregenden zehn Tage im Mai mit einem Augenzwinkern zu betrachten sind, macht die tägliche „Sendezeit“ zwischen 18.04 Uhr und 18.57 Uhr deutlich.
Davon abgesehen sieht Baumgardt TV real aber gleichsam als „sinnliche Gegenwartskunst“. Denn in dem Moment, wo das Talkshow-Team ein Sende-Gebäude verlassen hat, um sogleich das nächste zu beziehen, schlägt schon die Stunde der polnischen Künstlerin Anita Pasikowska: Mit Bild-Licht-Installationen wird sie die leer stehenden Räume wiederbeleben.
Baumgardt trägt sich in diesem Zusammenhang mit dem Gedanken, in Görlitz ein Museum für Gegenwartskunst zu etablieren. Dort könnten später auch jene neuzeitlichen Wegweiser ihren Platz finden, die im Juli die Besucher des Via-Thea-Straßentheaterfestivals durch die Stadt lotsen.
Im Sommer wollen junge Architekten zudem ihre Visionen für die äußere Hülle bislang unsanierter Görlitzer Häuser sichtbar machen. Im Rahmen des Projekts Tradition/Innovation zeigen sie per Installation, wie jene Gebäude im Kulturhauptstadtjahr 2010 einmal aussehen könnten. Und es muss ja nicht gleich eine Verhüllung á la Christo sein!