Von Peter Anderson
Es gibt viele Möglichkeiten, die Elbe zu überqueren: Wagemutige können sie durchschwimmen. Otto Normalverbraucher düst mit seinem Auto über eine der Brücken.
Alles nichts, sagt der Coswiger Fährmann Hans-Jürgen Reinhardt. Mit einer Fähre, das ist der einzig richtige Weg, um über die Elbe zu kommen. Im Auto, das ginge doch viel zu schnell. Kaum ist der Fahrer auf der einen Seite gestartet, ist er auf der anderen Seite schon angekommen. Was dazwischen liegt, geht verloren. Im Frühjahr die Kirschblüte in Gauernitz. Im Herbst die Laubfärbung auf den Elbhängen in Scharfenberg.
Hat Reinhardt erste Schicht, muss er mit den Hühnern raus. Halb Fünf beginnt der Fährbetrieb zwischen dem rechtselbischen Kötitz und dem linkselbischen Gauernitz. Richtig ruhig ist es dann noch. Nebelschwaden wabern über dem Fluss. Wer großes Glück hat, kann manchmal ein Wildschwein oder Reh durch die Elbe schwimmen sehen. Häufiger zeigen sich die Biber, die auf der Gauernitzer Elbinsel zu Hause sind.
„Früh kommen die ganzen Schichtarbeiter. Ein bisschen an Industrie ist ja noch geblieben“, sagt Reinhardt. Kein Vergleich allerdings mit der Völkerwanderung zu DDR-Zeiten. Meist wollen die Arbeiter von Gauernitz nach Coswig in die Getriebefabrik, die Walzengießerei oder weiter nach Radebeul zu Planeta. Viele von ihnen haben eine Sammelkarte. Statt 70 Cent kostet die Fahrt dann einen Fünfziger.
Auf die Schichtarbeiter folgen die Schüler, verschlafen und maulfaul. Nach Sieben ebbt der Pendelverkehr ab. Die Fähre verkehrt nur aller Stunden. „Langweilig wird’s trotzdem nicht“, sagt Reinhardt. Wanderer, die ins Saubachtal und weiter hinauf nach Scharfenberg wollen, setzen über.
Immer wieder mischen sich unter die Touristen ältere Leute aus den linkselbischen Dörfern. Wer kein Auto hat, ist auf die Fähre angewiesen. Die Post, in der Oma Müller ihren Weihnachtsstollen aufgeben will, liegt am anderen Ufer. Zur Sparkasse, wo Opa Meyer für seinen Enkel Geld zur Jugendweihe abheben möchte, muss er nach Coswig.
Der Fluss verändert sich jede Stunde
Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Auch Kleingärtner, die ihre Laube in Scharfenberg haben, nutzen die Fähre. Reinhardt kennt viele von ihnen etliche Jahre. Er fragt nach dem Garten und der Familie. Wenn einmal überhaupt niemand kommt, weil ein Straßenfeger wie Formel 1 im Fernsehen läuft, bleibt dem Fährmann immer noch die Elbe. Jede Stunde verändert sie sich. Mal ahmt sie das Gewitterdunkel des Himmels nach und wird vom Wind aufgewühlt wie der Boden vom Pflug. Dann wieder hat ihr jemand Ungebührliches aufgebürdet. Kühlschränke, Sofas und anderes Gerümpel hat Fährmann Reinhardt schon vorüberschwimmen sehen. „Dafür fehlt mir jegliches Verständnis“, sagt er.
Da sind ihm die Lastkähne aus der Tschechei lieber, die sich ein paar Mal am Tag aus Richtung Radebeul nach Coswig vorüberschieben. Manchmal meldet sich einer der Kapitäne über Funk. „Die sprechen alle Deutsch“, sagt Reinhardt. Zumindest so viel, dass es für einen kleinen Schwatz reicht.
Querfahrten heißen die Touren, die das Fährschiff „Kötitz“ täglich zwischen Gauernitz und Coswig absolviert. Längsfahrten elbabwärts nach Scharfenberg und Brockwitz müssen die Woche über telefonisch bestellt werden.
Früher gab es an dieser Stelle eine reguläre Fähre. Als durch die Auflösung der LPGs der tägliche Pendelverkehr wegfiel, wurde die Verbindung eingestellt.
An Sonn- und Feiertagen allerdings fährt Coswigs zweites Fährschiff „Bosel“ dreimal die Strecke Coswig, Brockwitz, Scharfenberg und weiter nach Meißen. „Bei schönem Wetter brummt das“, sagt Reinhardt. „Die Längsfahrten nach Meißen und die Chartertouren nehmen immer mehr zu“, sagt Reinhardt. Darauf ruhen die Hoffnungen des Fährmanns und seiner Kollegen. Irgendwann in den nächsten Jahren soll in Niederwartha eine neue Elbbrücke gebaut werden.