Über die Zeit und die Chancen

Von Angela Donath
Laubusch. Auch außerhalb von Hoyerswerda sind wir seit der Gründung des Hoyerswerdaer Tageblattes immer wieder Menschen begegnet, die unvergessen sind, weil sie uns beeindruckt haben. In diese Gruppe gehört unbedingt Otto Görke, von 1990 bis 2001 Bürgermeister in Laubusch. Gemeinsam mit seiner Stellvertreterin, der viel zu früh verstorbenen Christina Buder, stand er an der Spitze der Industriegemeinde und kämpfte unermüdlich für Arbeitsplätze im Ort. Leicht war das nicht.
Die Laubuscher SPD gegründet
Wir treffen Otto Görke, heute 77, in seinem Haus in Laubusch. Er bewohnt es mit Carlo. Der bellt die Besucherin neugierig an. Er tut aber nichts, sagt Otto Görke so, wie alle Hundebesitzer das eben tun. „Ich bin sehr froh, dass ich Carlo habe. Er bringt mir Struktur in den Tag. Ich muss mit ihm raus, an Wochentagen nehme ich auch den Hund meiner Tochter mit. So bin ich in Bewegung, ich komme an die Luft und treffe auch Leute. „Das ist wichtig“, so Otto Görke. Mit Ende seines Berufslebens ist es ruhiger geworden um ihn und für ihn. „Wie gesagt, ich gehe mit den Hunden raus, lese gründlich die Zeitung, tausche sie mit dem Nachbarn aus, auch das gibt Gelegenheit für ein Gespräch. Außerdem bin ich nach wie vor SPD-Mitglied. Schließlich hab‘ ich die in Laubusch ins Leben gerufen, aber nun ja: Ein Juso werde ich nicht mehr.“
Es war (?) ein stolzer Ort
Es folgt ein Spaziergang durch Laubusch und seine Geschichte. Wir blicken zurück in das Jahr 1990: Laubusch hatte damals etwa 3.300 Einwohner. Arbeit gab es in der Brikettfabrik, im Alu-Werk in Lauta, in den Tagebauen des Lausitzer Braunkohlereviers, in den Dienstleistungseinrichtungen, die damals zum Ort gehörten, den Schulen und den Kindergärten. Und: Laubusch war ein stolzer Ort. Davon künden Bauten wie das Ensemble am Markt mit Gasthaus, Geschäftshaus, Schule und Kirche. Die Laubuscher waren stolz auf ihr Freibad, das Kulturhaus, das Ärztehaus und auf das Grün im und um den Ort herum.
Mit der Wende wurde sehr schnell klar, dass es so nicht bleiben wird. Die Brikettfabrik stellte die Arbeit 1993 ein – der wirtschaftliche Niedergang, der für die Lausitz so typisch war, zeigte sich hier mit besonderer Brutalität. Wer konnte, zog weg aus Laubusch. Leerstand dominierte viele Jahre das Ortsbild. Weite Teile der Siedlungssubstanz wurden abgerissen. Heute leben noch rund 1.500 Menschen in Laubusch.
An so eine Entwicklung wollte in der Zeit der Wende kaum jemand denken, vor allem nicht Otto Görke. 1961 war er aus Mecklenburg nach Laubusch gekommen. Bei seinem Vater hatte er ursprünglich in der Landwirtschaft gelernt. Dann kam der LPG-Zwang. Otto Görke hielt das rund fünf Monate aus, dann war Schluss. Er musste da weg, aber Landarbeiter wurden nirgendwo anders eingestellt, die wurden ja gebraucht, dort, wo sie her kamen!
Über einen Umweg in die Lausitz
Eine Ausnahme gab es doch: Im Straßenbau Güstrow fragte man nicht weiter nach, dort wurden Leute benötigt, dort kam er unter. Über diesen Umweg kam er in die Lausitz, arbeitete zunächst im Steinbruch und dann im BKW (Braunkohlenwerk). Er lernte seine Frau kennen, zog 1962 in das Haus, in dem er heute noch wohnt. Geheiratet wurde 1964 – einen Monat später ging’s zur Armee. „Ich musste an die Grenze, das war schlimm für mich. Wer heute sagt, es gab keinen Schießbefehl, sagt nicht die Wahrheit“, weiß er zu berichten. „Es gab den jeden Tag.“
Die berufliche Entwicklung kam erst nach der Armeezeit. Otto Görke, inzwischen schon junger Vater, holte die zehnte Klasse nach, machte eine Berufsausbildung, arbeitete beim BKW Laubusch als Lokführer und wollte in Senftenberg Maschinenbau studieren. Doch das ging nicht. Seine Bewerbungsunterlagen waren nicht weitergegeben worden. Görke war nicht in die SED eingetreten – das ließ man ihn nun spüren. Er studierte ein Jahr später dennoch. Die Fachrichtung Maschinenbau gab es nicht mehr in Senftenberg, die Alternative war Automatisierung. Mit dem für ihn typischen „Jetzt erst recht!“ meisterte er das Studium. Als Schulkind in Mecklenburg hatte er wegen Lehrermangels keinen Russischunterricht gehabt, diese Wissenslücke schloss er als Einzelkämpfer, als die Kommilitonen Semesterferien hatten. Der Studienabschluss war hart erkämpft.
Bis 1990 arbeitete Otto Görke als Technologe bei der Werkbahn, zunächst in Lohsa, später in Laubusch. Eine SED-Mitgliedschaft kam für ihn zu keiner Zeit infrage. Seine persönlichen Erfahrungen mit dieser Partei sorgten nachhaltig dafür.
Der Herbst 1989 brachte Hoffnung und ermöglichte endlich Parteienvielfalt. Am 2. Februar 1990 gründete Otto Görke gemeinsam mit Gleichgesinnten eine SPD-Ortsgruppe in Laubusch. „Trotz aller Probleme war das eine tolle Zeit“, sagt er heute. „Wir hatten wunderbare Mitstreiter.“ Neben seinen Parteifreunden MR Heinz-Dieter Tempel, Barbara Wittig und natürlich Christina Buder nennt er auch den CDU-Landrat a. D. Wolfgang Schmitz. „Wir wollten nach vorn denken, und konnten das auch über die Parteigrenzen hinaus. Und: auch ihr von den Zeitungen wart gute und faire Partner. Das war immer Zusammenarbeit auf Augenhöhe.“
Erfolgsgeschichte apikal
Eine echte wirtschaftliche Entwicklung für Laubusch gab es jedoch nicht. Dennoch stand das Leben im Ort nicht still: Radwege werden gebaut, die Antennenanlage entsteht, alle Wohnhäuser werden verkabelt. Die Grund- und Mittelschule wird errichtet, das Kulturhaus saniert. 1994 kommt endlich für alle der Anschluss ans Telefonnetz, heute unvorstellbar, dass das ein Thema war ... Die Abwasseranlage wird erneuert. Die Hauptstraße erhält einen neuen Belag und Beleuchtung. 1995 wird Laubusch ans Fernwärmenetz angeschlossen, die kommunalen Wohnungen werden saniert. Und endlich, 1997, beginnt die Erfolgsgeschichte des Unternehmens „apikal“. Die Firma entwickelt energieeffiziente Druckluftsysteme, beschäftigt heute in Laubusch rund 60 Mitarbeiter und agiert an zahlreichen weiteren Standorten in Deutschland.
Was hätte damals anders, besser laufen können? Bei dieser Frage denkt Otto Görke länger nach. „Wir hätten uns regional besser zusammentun müssen“, sagt er dann. Themen wie Autobahnanbindung, ÖPNV, Gewerbegebiete nennt er als Beispiele. „Aber, die Zeit war wohl noch nicht so weit. Wir schauten noch zu wenig über den Tellerrand.“ Die Wirtschaft in Laubusch war in den 1990er-Jahren überwiegend von Fördermaßnahmen geprägt. Manchmal hatten wir 130 Leute in ABM. Das war schon fast ein eigener Betrieb. Wir wollten aus dem Wenigen noch was machen. Unsere Leute sollten nicht nur zum Amt «betteln» gehen müssen. Das war uns wichtig.“
Viele waren damals mit Abbrucharbeiten der ehemaligen Industrieanlagen beschäftigt. Für das Selbstwertgefühl war das zumindest fraglich. Aber – es gab auch Dinge, die echt gut waren. Hier nennt er die Partnerschaft zu dem Ort Elsdorf bei Aachen. Die Elsdorfer unterstützten sogar beim Aufbau der neuen Verwaltungsstrukturen. Er betont eine Partnerschaft, die heute noch Bestand hat: die zu der Gemeinde Himmelwitz/Jemielnica. Das liegt im zweisprachigen (deutsch-polnischen) Gebiet bei Oppeln in Schlesien. „Zwischen den beiden Orten sind echte Freundschaften entstanden, die Leute besuchen sich auch privat.“
Für den Rückweg wählen wir den Weg durch den Ort, zum Kreisverkehr mit Anschluss ins Seenland. Die Häuser entlang der Hauptstraße sind schmuck, die Vorgärten hübsch. Die Bänke aber könnten wieder mal einen Anstrich vertragen, das ellenlange Geländer ebenso. Am Markt kommen uns Radfahrer entgegen, sie wollen zur Krabat-Mühle nach Schwarzkollm und staunen über die imposanten Gebäude. Im Hintergrund wird an der Grundschule gebaut. „Wo sind wir denn hier?“, höre ich im Vorbeiradeln und denke: Na, in Laubusch! Wie sagte Otto Görke vorhin so nebenbei? „Laubusch gehört nicht generell zu den Akten!“ Da hat er recht. Hier geht noch was.