Von Ralph Schermann
Wenn ältere Görlitzer von Speiseeis schwärmen, kommen zwei Standorte ins Gespräch: die Kioske Blockhaus- und Sattigstraße. Hier gab es ab Anfang der 1930er Jahre „Eiswaffeln für ’nen Sechser“, und noch 1965 schickte so manche Mutter in der Südstadt ihre Kinder mit der Milchkanne Eis für die gesamte Familie holen – für eine Mark zehn Kugeln. „Und die waren größer als heute“, schwärmt noch immer der Görlitzer Gregor Kondziela. Kurze Zeit gab es tatsächlich auch mal etwas kleinere Kugeln, für acht Pfennige, weil grade kein anderer Portionierer da war. „Aber diese alberne Rechnerei setzte sich nicht durch“, weiß Andreas Rasch, ein weiterer Eis-Kunde von damals.
Verkauf ohne Pause
Hans Tlustek hieß der Mann, der das Eis produzierte. Der Konditor wohnte auf der Konsulstraße 34 im 2. Stock und hatte im Hinterhaus seine Werkstatt. In den Adressbüchern vor 1945 werden beide Kioske noch als Eisdielen angegeben, und in der Tat wiesen beide zunächst auch Tische auf – mehrere hinter dem Blockhaus, drei an der Sattigstraße. Von Anfang an produzierte Hans Tlustek seine drei Sorten Vanille-, Schoko- und Fruchteis mit Wasser und Milchpulver, öffnete meist zu Ostern und arbeitete bis in den Herbst ohne einen freien Tag. „Dann lebte er bis zum nächsten Osterfest von den Einnahmen“, schmunzelt Gregor Kondziela, dessen Eltern einst mit Tlusteks befreundet waren. „Er machte auch prima Schlagsahne, und für gute Kunden zauberte er aus Obst aus unserem Garten tolle Eisbomben.“
Kühltruhen gab es nicht. Der altersschwache F8, oder war es doch noch ein Opel-Kombi, knatterte bei Bedarf zwischen Produktionsstätte und Kiosken hin und her, ein Angestellter schob zudem auch die großen Thermosbehälter im Handwagen. Als er sich Ende der 1960er Jahre zur Ruhe setzte, hatte Hans Tlustek fast 50 Jahre seines Lebens Eis hergestellt, mehrere Jahrzehnte davon als eigener Geschäftsmann. Eine Zeit lang betrieb die Familie die Kioske noch ohne Eis weiter.
Auch an Tochter Ursula erinnert sich noch manch Südstädter: „Wir haben nie Kugeln gesagt, sondern immer nur die Summe gerufen. Das tönte dann ,Uschi zu 30‘ oder Uschi zu 20‘“, weiß Gregor Kondziela noch. Und Andreas Rasch erinnert sich, warum drei Kugeln besser waren als zwei: „Dann gab es eine Waffelschale zusätzlich drunter, und da tropfte das schnell schmelzende Eis nicht mehr so durch.“
Schwester bei der HO
An der Sattigstraße wurde aus der Eisdiele 1950 eine „Erfrischungshalle“, das kleine Häuschen gehört zum Bahngelände und hat heute keine öffentliche Nutzung mehr. Der Kiosk Blockhausstraße wird nach längerem Leerstand heute von Eveline Leubner wieder als Kiosk betrieben, allerdings ohne Speiseeiskugeln und auch ohne anheimelnd umrankte Freisitze neben und hinter dem Häuschen. Tochter Ursula hatte Eis nur mal nebenbei verkauft und später ihren Weg im Finanzwesen gemacht. Längst ist auch sie im Ruhestand. Und auch Hans Tlusteks Schwester arbeitete in der Eisherstellung – auf der Augustastraße, wo die HO die Werkstatt für ihre Eisdielen auf der Berliner Straße hatte. Dort gab es das Milcheis zwar in gleicher Größe und auch in den gleichen drei Sorten, allerdings war die kalte Kugel dort einen Groschen teurer.