Von Michaela Widder
Als Ulla Köhne um 15.38 Uhr auf die Gerade abbiegt, henkelt sich Moderator Andreas Clauß spontan ein und läuft die letzten Meter mit ins Ziel. Die noch im Heinz-Steyer-Stadion sind, klatschen. Die Uhr bleibt bei 6:13:11 Stunden stehen. Die meisten Läufer liegen längst auf der Couch, die ersten Zelte sind abgebaut und die beliebten Erinnerungsmedaillen vergriffen. Doch der Frau mit dem dunkelblauen Stirnband und den neongrünen Kniestrümpfen ist das in dem Moment egal. Sie ist im Ziel und weiß: Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt. Die Tränen kullern nur so über die Wangen. 42,195 Kilometer, es ist geschafft. Der Oberelbe-Marathon ist ihr Siebenter – und der Erste als Letzte. „Irgendjemand muss es sein und diesmal war ich es eben. Ich bin immer im letzten Drittel, aber ganz hinten war ich noch nie. Hauptsache, ich habe es geschafft“, sagt die Kölnerin über ihre besondere Dresden-Premiere.

Beim Start gestern Morgen in Königstein reiht sich die Hobby-Läuferin wie immer im letzten Block ein. Dass sie schon 300 Meter später eine persönliche Begleitung für den Rest der Strecke bekommt, überrascht sie doch ein wenig. Der Mann mit dem Besen auf dem Gepäckträger – daran ist wie im Radsport das Schlussfahrzeug zu erkennen – radelt fortan immer hinterher. „Meistens zeigte der Tacho zwischen sechs und sieben Stundenkilometer an, manchmal auch nur fünf“, berichtet Jürgen Weinzierl. Seit drei Jahren ist er der Schluss-Fahrer beim Oberelbe-Marathon und begleitet die langsamsten der mehr als 1 000 Marathonis ins Ziel. „Es macht mir Spaß. Man kommt mit den Läufern ins Gespräch, obwohl ich nichts davon halte, die Teilnehmer zuzuquatschen“, sagt der ehrenamtliche Helfer. Für seine spezielle Läuferin an diesem Sonntag ist es die richtige Dosis. „Ich hatte nie das Gefühl, dass mich die Männer drängeln“, sagt Köhne. Abgesehen von Weinzierl fahren noch ein weiterer Radbegleiter sowie zwei Sanitäter nebenher.
Als der Ukrainer Wiktor Starodubtsew nach 2:25:58 Stunden als Erster im Ziel ist, hat die 52-jährige Köhne noch nicht einmal die halbe Strecke bewältigt. Ans Aufgeben denkt sie aber nie. „Schmerzen zählen nicht, da muss es gar nicht mehr gehen“, findet Köhne. Nur die warmen Temperaturen machen ihr wie vielen der 6 206 Läufer, die damit erneut eine Bestmarke aufstellen, bei der 17. Auflage zu schaffen. Trotzdem hofft sie, noch überholen zu können. Eine Frau und ein Mann sind in Sichtweite. „Als ich mich rangepirscht hatte, gaben die wieder Gas.“ Das wenige Training in den vergangenen Wochen rächt sich. Als Servicemitarbeiterin im Schichtdienst eines Krankenhauses und Mutter von zwei Kindern blieb zuletzt kaum Zeit zum Laufen. Dazu pflegt Ulla Köhne zu Hause im Rheinland noch ihren Vater. „Vorbereitung sieht anders aus“, gibt sie später zu. Dann muss sie eben in Dresden langsamer rennen. Was die Genuss-Läuferin bis am Rande des Elberadwegs erlebt, ist neu für sie. „Das ist der erste Marathon, bei dem es bis zum letzten Versorgungsstand noch ausreichend Getränke gibt. Und am Ende hat die Samba-Band nur noch für mich gespielt.“
Den Zielschluss, der laut Ausschreibung nach fünfeinhalb Stunden ist, haben die Organisatoren im Sinne der Langsam-Läufer großzügig ausgedehnt. Immer wieder trudeln noch Teilnehmer im Stadion ein, auch wenn die Abstände allmählich größer werden.
Als Köhne endlich mit dem Rad-Tross im Ziel ist, kommt sie zwar nicht mehr in den Genuss einer Massage, dafür bekommt sie zumindest ihren Gepäckbeutel persönlich auf der Wiese vorbeigebracht. Dort sitzt sie mit ihrem Mann Heinz-Werner, der schon knapp zweieinhalb Stunden zuvor angekommen ist. Im Urkunden-Vergleich schneidet die Schluss-Frau auf Platz 178 übrigens besser ab als der Mann (303). „Ich kann langsam laufen, wie ich will, und bin trotzdem besser platziert.“