SZ +
Merken

„Und dann kam die Flutwelle“

Schäfer Thomas Muche hat 2010 beim großen Erdrutsch im Lausitzer Seenland seine halbe Herde verloren – und beinahe auch sein Leben.

Teilen
Folgen
© Gernot Menzel

Von Jana Ulbrich

Bergen. Die Schafe machen fleißig ihren Job: Sie fressen. Genau das ist ihre Aufgabe hier draußen im Lausitzer Seenland. Thomas Muche blickt zufrieden. Der Schäfermeister hat die Herde in die Nähe des Elsterheider Ortsteils Bergen getrieben. Gar nicht weit entfernt von hier stand er auch an jenem verhängnisvollen Nachmittag, der ihn hätte das Leben kosten können.

Es ist der 12. Oktober 2010, kurz nach 14 Uhr: Thomas Muches Schafe grasen friedlich. Sie haben sich in Grüppchen verlaufen, manche stehen etwas oberhalb auf einer kleinen Anhöhe, andere weiter unten in der Senke. Auch der Schäfermeister steht ein bisschen höher. „Das war mein Glück“, sagt er. „Das hat mit das Leben gerettet.“ Ein bisschen früher, und er wäre noch genau auf der Fläche gewesen, die jetzt nur noch ein großes Loch ist.

„Ich habe plötzlich ein Rauschen und Dröhnen gehört“, erzählt der 51-Jährige. „Und dann kam eine riesige Flutwelle.“ Thomas Muche sieht das Wasser kommen und die Bäume, die darauf schwimmen. Er sieht einen Lkw im Schlamm versinken. Er sieht, wie sich der ganze Boden in Bewegung setzt. Und er sieht seine Schafe, die sich auf einem letzten Inselchen drängeln.

Thomas Muche hat hautnah den größten Erdrutsch miterlebt, den es je gegeben hat in der Nach-Tagebau-Landschaft des Lausitzer Seenlands. Bei dem Grundbruch setzen sich 4,5 Millionen Kubikmeter Erdmassen in Bewegung. Zwischen der Ortslage Bergen und dem Tagebaugebiet Spreetal ist eine weit mehr als 100 Hektar große Fläche betroffen – rund 1,8 Kilometer lang und 600 Meter breit.

Auch jetzt, siebeneinhalb Jahre später, ist die Rutschungsfläche noch gesperrt. „Es sieht immer noch aus, wie eine Mondlandschaft“, sagt Thomas Muche. Der Schäfer verliert bei dem Erdrutsch 83 Schafe. Der Fahrer des Lkw, den Muche hat versinken sehen, wird mit einem Hubschrauber vom Dach des Führerhauses gerettet. Der Lkw liegt dort immer noch in der Erde.

Erdrutsch war eine Ausnahme

Thomas Muche darf seine Schafe wieder bis an der Rand des gesperrten Gebiets treiben. Er muss das auch tun, denn die Herde leistet hier eine wichtige Arbeit. Thomas Muche arbeitet als Schäfer für die Bergener Landschafts-, Nutz- und Wildtierpflege, und seine Schafe sind sozusagen die Landschaftspfleger. „Sie müssen dafür sorgen, dass die Flächen offen bleiben, dass das Gras kurz gehalten wird, und dass sich hier kein Wildwuchs ansiedeln kann“, erklärt der Schäfermeister.

Thomas Muche vertraut dem Boden, auf dem er steht. „Dieser Erdrutsch war eine Ausnahme“, ist er überzeugt. Er sei passiert, weil zu dieser Zeit gerade Erdarbeiten stattfanden und zu viel schweres Gerät auf einmal auf den Kippen und den noch unfertigen Uferbereichen zugange war. So wird es später auch im Untersuchungsbericht des Tagebausanierers LMBV stehen.

Thomas Muche pfeift Lissi und Alma heran, seine beiden Altdeutschen Hütehunde. Sie müssen ihm jetzt helfen, die Herde in den geschützten Pferch für die Nacht zu bringen. Er hat keine Angst davor, dass ihm hier noch einmal der Boden unter den Füßen wegrutschen könnte, sagt er. Viel mehr Angst macht ihm etwas ganz anderes: die Nähe der Wölfe. Dreimal haben sie seine Herde schon angegriffen, erzählt er. Und jedes Mal hätten sie ein oder zwei Tiere gerissen. „Die Wölfe sind hier allgegenwärtig“, sagt Thomas Muche. „Ich sehe sie öfter, als mir lieb ist.“ Aber jetzt muss er sich wieder seinen Tieren zuwenden.