Ein Schuljahr geht zu Ende. Worüber, Frau Kurth, haben Sie sich am meisten geärgert?
Über Unterrichtsausfall – 3,6 Prozent im ersten Halbjahr.
Und was hat Sie am meisten gefreut?
Die vielfältigen Aktivitäten an unseren Schulen, die am Schuljahresende in soliden Leistungen der Schüler gemündet haben. Allein bei den Absolventen verlassen 49 Oberschüler die Schule mit nur Einsern in den Kernfächern. Und über 160 Abiturienten machten ein 1,0-Abitur.
Sie legen heute im Landtag ein neues Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft vor. Ist Ihnen damit ein großer Wurf gelungen?
Wenn ich den Prozessverlauf rekapituliere, erscheint es mir besonders wichtig, viele Gespräche geführt und mir Sorgen und Nöte angehört zu haben. Auf der Grundlage der Verfassung und des Verfassungsgerichtsurteils haben wir – das ist meine Überzeugung und Zuversicht – einen Konsens gefunden und einen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt, der uns gemeinsam in die Zukunft blicken lässt. Das ist mir ein Herzensbedürfnis, dass Schulen in freier Trägerschaft und öffentliche Schulen in gutem Miteinander den sächsischen Weg weitergehen und gestalten, und dass beide voneinander lernen.
Sie nannten das Ärgernis Unterrichtsausfall. Warum fällt der so hoch aus?
Da müssen wir in die Lehrerzimmer schauen, wo sich momentan der Generationswechsel abspielt und in den kommenden Jahren mit noch größerer Wucht stattfindet. Wir haben also die große Generation der Erfahrenen, der 50- und über 50-Jährigen. Sie fallen häufiger – und dann mitunter länger – krankheitsbedingt aus. Dann hält, Gott sei dank, die jüngere Lehrergeneration Einzug in unsere Lehrerzimmer. Bei der meldet sich – glücklicherweise – auch mal Nachwuchs an. Das heißt, die Lehrerin ist eine Zeit nicht im Dienst. Auch, wenn die Kleinen dann mal krank sind. Das alles sind Fehltage, die ganz normal sind in einer Gesellschaft. Das Problem ist: Uns fehlt die stabile mittlere Lehrergeneration, die das puffern könnte. Diese deutschlandweit fast einmalige Altersstruktur der Lehrerkollegien in Sachsen ist tatsächlich der Hauptgrund für den Unterrichtsausfall.
Das ist ja eine geharnischte Kritik an der Einstellungspolitik der zurückliegenden Jahre.
Die Einstellungspraxis ist auch auf Vereinbarungen mit den Gewerkschaften zurückzuführen. Bei massiv sinkenden Schülerzahlen wurden die Lehrer – auf Teilzeit – im System behalten. Ich möchte jetzt aber nicht zurückschauen, sondern nach vorn. Wir stehen vor einer großen Herausforderung, für die mein Haus im Zusammenwirken mit vielen anderen Maßnahmen eingeleitet hat: Die Lehrerwerbe-Aktion, konkrete Informationen zur Studienorientierung. Ich erkenne da schon ein Umdenken bei den jungen Leuten, die eben nicht mehr alle nur ein gymnasiales Lehramt in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern anstreben. Die Zielvereinbarungen mit den Universitäten, die auch in anderen Bundesländern mit Interesse gesehen werden. Jetzt müssen wir gemeinsam die Geduld aufbringen im Wissen, in drei-vier Jahren die „passgenauen“ Lehrer-Absolventen zu bekommen und einzustellen. Wir sind gemeinsam gefordert, diese Jahre zu kompensieren, damit für die Schüler jetzt kein Nachteil entsteht. Das heißt, wir müssen schulartfremd einstellen – in diesem und in den nächsten Jahren.
... auch Seiteneinsteiger?
Natürlich.
Erhoffen Sie sich von denen auch einen frischen Schwung für die Schulen?
Ja sicher, weil sie ganz andere Perspektiven hereintragen. Sie haben andere praktische Erfahrungen aus ihrer bisherigen Berufsbiografie, andere Motivationen. Was nicht passieren darf, ist, dass sie in die Klassenzimmer geschickt und allein gelassen werden. Es bedarf berufsbegleitender Qualifizierungsprogramme. Sie müssen die Möglichkeit bekommen, Lehrbefähigungen zu erlangen. Da sind wir gefordert.
Neuen Schwung in den Schulen erhofft sich offenbar die gesamte Gesellschaft mit einem Fach Alltagswissen. Auch Politiker forden das zunehmend ...
Was Schule alles soll! Ich stelle die Frage: Soll Schule Reparaturbetrieb für die Gesellschaft sein? Welche Rolle spielt denn das Elternhaus? Haben Eltern nicht eine natürliche Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder? Müssen sie ihnen nicht Werte und Normen vermitteln? Ich bin entschieden gegen ein solches Fach. Mir ist es wichtig, dass Schulen fachübergreifend arbeiten und sich Alltagsthemen – die natürlich nicht aus dem Klassenzimmer verbannt werden sollen – durch den Unterricht ziehen. Anwendungsorientierte Aufgabenstellungen sind in jedem Fach möglich.
Im zu Ende gehenden Schuljahr, Frau Kurth, sind Lehrer wieder in den Streik getreten wegen ungerechter Bezahlung. Was hat Sie mehr geärgert – dass Lehrer auf die Straße gingen oder die lange unnachgiebige Haltung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder?
Ich mag keine einseitigen Schuldzuweisungen. Wenn Lehrer auf die Straße gehen, ist das für mich ein Signal, dass eine Unzufriedenheit vorherrscht. Solche Signale nehme ich sehr ernst. Welche Gründe haben sie? Ich weiß, sie tun es nicht, um Unterricht nicht stattfinden zu lassen. Lehrer ist ein sehr anspruchsvoller Beruf, der nicht genug Wertschätzung bekommen kann. Da sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Die ewig dummen Sprüche bezüglich langer Ferien höre ich immer seltener. Ich wünsche mir für die Zukunft größeres Verständnis füreinander – von beiden Seiten. Forderungen dürfen nicht maßlos sein, sie müssen sich in einem bestimmten finanziellen Rahmen bewegen.
Sachsen hat ein Willkommens-Problem mit Asylsuchenden. Tut Schule genug?
Die Flüchtlingskinder sind willkommen und haben ein Recht auf Unterricht. Wir haben für Migranten – seit Jahren – ein gut strukturiertes Programm, das mit Vorbereitungsklassen beginnt, wo sie die Sprache lernen, aber auch, wie sie sich im Alltag zurecht finden. Wenn die Kinder dann in die Klassen integriert werden, stellen wir überwiegend eine problemlose Aufnahme fest. Die Kinder gehen gut miteinander um, vor allem, wenn sie Lehrer an ihrer Seite haben, die das steuern. Mir ist es wichtig, dass Probleme, die zu Rassismus führen können, offen und ehrlich besprochen werden – übrigens nicht nur in der Schule. Darüber hinaus ist mir noch etwas sehr wichtig: Wenn die Zahl der Flüchtlingskinder an unseren Schulen von derzeit rund 3 000 auf über 4 000 im neuen Schuljahr wächst, geht das nicht zum Nulltarif. Dafür brauchen wir Lehrer-Ressourcen.
Stichwort neues Schuljahr. Ein neues Schulgesetz rückt in den Mittelpunkt?
An erster Stelle steht die Absicherung des Unterrichts. Ich bin optimistisch, dass das – dank der großen Bewerberlage für die neuen Stellen – funktioniert. Ja, die Novellierung des Schulgesetzes wird mit vielen Gesprächen und Diskussionen einhergehen. Ende 2015 soll der Referentenentwurf auf dem Tisch liegen, der 2016 intensiv diskutiert werden soll. Zum 1. August 2017 soll das Gesetz in Kraft treten – von mir aus deutlich früher. Das und die 2016 beginnenden neuen Haushaltsverhandlungen werden zu einer besonderen Herausforderung werden.
Das Gespräch führte Carola Lauterbach