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„US-Regierung könnte Konten sperren lassen“

Trump droht wegen Nord Stream 2 mit weiteren Sanktionen. Was bedeuten die für das Projekt Ostsee-Pipeline?

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Das russische Verlegeschiff „Akademik Tscherski“ – hier im Mai beim Erreichen der Ostsee vor Rügen – soll die Pipeline zu Ende führen.
Das russische Verlegeschiff „Akademik Tscherski“ – hier im Mai beim Erreichen der Ostsee vor Rügen – soll die Pipeline zu Ende führen. © dpa

US-Präsident Donald Trump kritisiert die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 seit Langem. Er wirft Deutschland vor, es lasse sich militärisch vor Russland schützen, verschaffe Moskau aber gleichzeitig hohe Einnahmen aus Gasexporten. Er hatte bereits Ende 2019 Strafmaßnahmen gegen bestimmte Unternehmen ermöglicht, die am Bau der Trasse von Russland nach Deutschland beteiligt sind. 

Diese Sanktionen aus dem „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ betreffen vor allem Firmen, die die Schiffe zur Verlegung der Rohre stellen. Die Sanktionen haben den Bau der Pipeline verzögert, aber nicht – wie von den USA angestrebt – gestoppt. Jetzt hat die US-Regierung eine Ausweitung der Sanktionen angedroht. Unter dem amerikanischen CAATSA-Gesetz („Countering America’s Adversaries through Sanctions“) aus dem Jahr 2017 könnten Unternehmen, die an der Fortführung des Projekts beteiligt sind, auf mögliche Konsequenzen für diese Aktivitäten hin überprüft werden, sagte US-Außenminister Mike Pompeo in der vorigen Woche. CAATSA sieht für Geschäfte mit Russland Sanktionen auch gegen ausländische Firmen vor. 

Was das für Nord Stream 2 bedeutet, darüber sprach die SZ mit Michael Harms, er ist Geschäftsführer des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft. Dieser vertritt Firmen, Wirtschaftsverbände und deren Interessen in 29 Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas, im Südkaukasus und Zentralasien.

Herr Harms, die US-Regierung hat Sanktionen gegen europäische Firmen wie Wintershall, Uniper und Shell angekündigt, falls diese an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 festhalten. Womit müssen die Firmen rechnen?

Einzelne Unternehmen sind bisher nicht genannt – ebensowenig die genauen Maßnahmen. Theoretisch könnte Managern beteiligter Firmen die Einreise in die USA verwehrt werden. Den wirksamsten Hebel aber böte der Finanzsektor. Die US-Regierung könnte die Konten beteiligter Firmen sperren lassen. Sanktionen drohen eventuell auch den finanzierenden Banken – ein sehr scharfes Schwert.

Ist das Vorhaben damit nicht tot?

So weit sind wir noch nicht. Aber die USA-Botschaft in Berlin drängt einige Firmen bereits mit konkreten Terminvorgaben zu Gesprächen. Ein solches Vorgehen halten wir unter Partnern für befremdlich. Wir stehen dazu auch in enger Abstimmung mit der Bundesregierung.

Drohen Firmen Strafen, wenn sie die Röhren zwischen Russland und Deutschland weiterbauen, oder auch dann, wenn sie sich später am Gasexport beteiligen?

Die Sanktionsdrohungen zielen aktuell auf die bauliche Fertigstellung. Sie laufen augenblicklich auf zwei Ebenen: Der US-Kongress wendet sich vor allem gegen Dienstleister, die das Vorhaben unterstützten, beispielsweise Bau- und Transportfirmen, Versicherer und Zertifizierer. Die US-Regierung droht allen Unternehmen, die den Bau entscheidend vorantreiben.

Bereits jetzt sind US-Sanktionen gegen Baufirmen in Kraft. Deshalb hat ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen seine Verlegeschiffe abgezogen. Wird das Projekt überhaupt noch fertig?

Sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission lehnen die US-Sanktionen als völkerrechtswidrig ab. Das Projekt Nord Stream 2 ist nach EU-Recht genehmigt. Wir setzen also darauf, dass die EU die von ihr erlassenen Regeln auch durchsetzen kann. Technisch sollte der Weiterbau kein Problem darstellen. Aber es ist fraglich, wie sich später beispielsweise die Versicherungen verhalten. Wir halten die Pipeline nach wie vor für extrem wichtig: Sie trägt dazu bei, die Gasversorgung zu sichern, den Preis niedrig zu halten, und sie dient dem Klimaschutz. Aber es geht nicht nur um Nord Stream 2. Die angedrohten US-Sanktionen betrachten wir als einen gefährlichen Präzedenzfall. Die EU muss wirksam dagegenhalten. Man muss vermeiden, dass andere Staaten auf ähnliche Ideen kommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte kürzlich, sie unterstütze den Weiterbau. Wird die Regierung die Unternehmen für die Verluste durch US-Sanktionen entschädigen?

Bisher haben wir immer vor harten Gegenmaßnahmen in Richtung USA gewarnt, weil wir in keine Sanktionsspirale hineinkommen wollen. Nun sehen wir das etwas anders. Wir arbeiten intensiv an konkreten Vorschlägen. Diese können von klaren diplomatischen Äußerungen über Entschädigungen hiesiger Firmen bis hin zu defensiven Gegensanktionen reichen.

Womit müssen Gas-Kunden in Deutschland und Europa – Firmen und Privathaushalte – rechnen, wenn die neue Pipeline nicht in Betrieb geht?

Das Gasangebot würde sinken, weil die abnehmende Förderung in der Nordsee nicht durch zusätzliche russische Lieferungen ausgeglichen würde. Das treibt den Preis nach oben. Die Gasrechnung für Kunden in Europa wird dadurch laut einer Studie um bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr steigen.

Die Versorgung mit Erdgas wäre auch ohne Nord Stream 2 nicht gefährdet?

Die EU ist in einer guten Lage, der europäische Energiemarkt stark liberalisiert. Mehrere Pipelines und rund 30 Terminals für Flüssiggas-Importe stehen zur Verfügung. Gas aus Russland bietet aber den Vorteil der sicheren, günstigen Versorgung und ist unter Klimagesichtspunkten weit sinnvoller als Flüssiggasimporte.

Auch die polnische Regierung kritisiert, dass Westeuropa durch Nord Stream 2 einen exklusiven Zugang zu russischem Gas erhalte. Das gebe Moskau die Möglichkeit, die Ukraine und Polen separat unter Druck zu setzen, indem Gaslieferungen von deren Wohlverhalten abhängig gemacht werden könnten. Wieso ignorieren Sie diese Bedenken?

Wir ignorieren sie nicht. Aber sie sind faktisch unzutreffend. Polen wird ab 2022 kein Gas mehr aus Russland beziehen, sondern vor allem aus den USA und Norwegen. Die Ukraine erhält ihre Lieferungen schon jetzt nur noch über den Umweg Westeuropa.

Sie argumentieren mit dem Schutz des Klimas. Erdgas ist aber ein fossiler Rohstoff. Die neue Pipeline trägt zum Ausstoß großer Mengen Kohlendioxids bei.

Wir brauchen schnell mehr Erdgas, um den Verbrauch von Kohle und Erdöl zu verringern. Diese beiden Rohstoffe verursachen wesentlich mehr Treibhausgase. Wir können die erneuerbaren Energien nicht so schnell hochfahren, dass Erdgas überflüssig wäre. Und das Pipelinenetz hat zudem den großen Vorteil, dass wir es perspektivisch auch für den Transport von Wasserstoff einsetzen können.

Das Gespräch führte Hannes Koch.