Fourschbar

Der Heilige Benedikt ist bekannt für die vielen Regeln, die er Mönchen auferlegte. Uwe Steimle ist kein Heiliger und weit davon entfernt, ins Kloster zu gehen. Aber er mag pointierte Lebensweisheiten. Deshalb hat er eine von Benedikts Regeln an die Tür seines Hauses genagelt: "Das Murren ist zu unterlassen!"
Während man nun klingelt daheim beim Kabarettisten am südlichen Stadtrand von Dresden, fragt man sich, ob diese Weisung an Besucher gerichtet ist oder eine Selbstermahnung des Hausbesitzers. Oder beides? Ausgerechnet Steimle. Hat der nicht ständig was zu murren über die Verhältnisse im Großen, im Ganzen und im Detail sowieso?
Dass er als schwierig und unberechenbar gilt, damit kokettiert der 53-Jährige selber. Und pariert: "Lieber schwierig als schmierig." Aber dass ihn inzwischen die Pegidisten preisen, die Staatsverächter loben und andere ihn für einen Rechten halten? Dass die AfD ihn als "Wendehelden" feiert ? Dass Lutz Bachmann ihn öffentlich einlädt, bei Pegida zu reden, und die Menge, die sonst "Merkel muss weg" ruft, daraufhin "Uwe, Uwe, Uwe" skandiert? Das misshagt ihm schon.
Steimle hat nicht reagiert auf die Einladung. Er kenne Bachmann nicht und wolle auch nichts mit ihm zu tun haben. "Ich lasse mich doch nicht vereinnahmen." Aber er könne sich auch nicht aussuchen, wer ihm applaudiert. Rechtfertigen will er sich nicht. "Ich habe keine Lust, ständig meinen Klassenstandpunkt darzulegen." Wo wäre der denn, Herr Steimle? "Ich bin ein Linker mit dem Herz am rechten Fleck", sagt er. Und ergänzt: "Recht im Sinne von richtig."
Es ist dieser zweideutig schmale Grat zwischen Parodie und Populismus, der viele an ihm zweifeln lässt - und manche auch verzweifeln. Mit seinem langjährigen Partner Tom Pauls herrscht Funkstille, aus der Jury beim "Sächsischen Wort des Jahres" hat er sich zurückgezogen. Jemand hat ihn sogar einen "völkisch antisemitischen Jammerossi" genannt. Das hat ihn schwer getroffen, er klagt dagegen.
Beim letzten Mal hat ihn die Linkspartei zur Bundespräsidentenwahl geschickt, um für den Kandidaten Peter Sodann zu stimmen. Für das nächste Mal im Februar nominieren sie ihn nicht mehr. Von den Linken hält Steimle ohnehin nichts mehr, so wenig wie von allen anderen Parteien. "Die haben durch die Bank versagt. Alle. Sie bescheißen das Volk." Dass die Leute auf die Straße gehen, kann er gut verstehen. "Das Volk hat doch schon lange nichts mehr zu sagen."
Wenn Steimle sich in Rage redet, purzeln die pegidösen Floskeln: "Was hier abgeht, ist unfassbar." Auch "Volksverräter" sagt er. Spricht von "inszenierter Mediendemokratie". Und predigt: "Ich habe nichts gegen den Muezzin. Gar nichts, aber mir reicht das Glockengeläut." So was hört man auch montagabends in Dresden. "Die schreiben doch von mir ab", sagt Steimle. Die umstrittene Internetseite "Politically Inkorrekt" (PI News) nennt ihn einen "Kabarettisten mit Charakter". Der von Russland finanzierte Fernsehsender "RT Deutsch" lud ihn zum Gespräch unter "Putinverstehern". Da möchte schon manch einer wissen: Sag mir, wo du stehst.
Erklären Sie doch mal, Herr Steimle. Erst mal holt er die Kaffeemühle raus und mahlt Bohnenkaffee, in der heimeligen Küche hängt überm großen Tisch ein erzgebirgischer Weihnachtsleuchter, der Kamin flackert, zwei Katzen streichen herum. Steimle trägt einen Strickpulli, den er später lüpft, um zu zeigen, was er drunter trägt. Jetzt bloß nicht T-Shirt sagen. Nicki heißt das bei ihm, immer noch. Mit seinen Nicki-Botschaften macht er sich gern zur Polit-Litfaßsäule. Ständig neue Sprüche auf der Brust. Dieser lautet: "Schweigen lernen, ohne zu platzen."
Aber reden hilft auch. Es werden fast drei Stunden, dann stellt der höfliche Gastgeber erschrocken fest, dass er zwar Tassen hingestellt, aber den aufgesetzten Kaffee gar nicht serviert hat. Verquatscht, vergessen. "Ist mir ja noch nie passiert."
Dabei war er skeptisch, überhaupt mit dem Reporter zu reden, hatte dann einem Treffen zugestimmt. Am Tag nach dem ersten Telefonat steht Steimle auf der Bühne. "Kulturstätte Wolf" in Gröditz, der Charme des Ostens noch greifbar, ausverkauft wie viele seiner Auftritte. Das Publikum, Alte wie Junge, feixt fröhlich, Steimle fühlt sich wohl, quasselt drei Stunden lang. Mittendrin erzählt er den Leuten, dass dieser SZ-Reporter angerufen hat und mit ihm reden will. "Heinrich Maria heißt der mit Vornamen. Geht das mit dem Genderquatsch jetzt auch bei der Zeitung los?" Was er sonst eigentlich damit sagen will, bleibt unklar. Unberechenbar eben.
"Fourschbar" heißt sein Programm; irgendwann gibt man es auf, zu zählen, wie oft der Begriff fällt. "Es ist das Lieblingswort des Sachsen", meint Steimle. Ein Lebens gefühl, das mit furchtbar nur unzureichend übersetzt wäre. Deutschland schwingt die Sachsenkeule und rätselt, was falsch läuft bei denen tief im Osten. Weiß Steimle es? Er ist schließlich selber einer. "Ich verstehe mich ja manchmal selbst nicht", sagt er. Aber hat seine Thesen: "Der Sachse ist immer unverstellt, kämpft ohne Visier und wundert sich, dass andere nicht das Maul aufmachen."
Das mit dem Maul, das hat er von Luther, der Steimle. Dem Reformator hat er zum Jubiläumsjahr ein Büchlein geschrieben: "Warum der Esel Martin heißt." Darin Steimles Kanzelrede in der Wittenberger Stadtkirche, nette Harmlosigkeiten wie: "Luther würde Wartburg fahren." Aber auch giftige Provokationen: "Warum empfand ich die Diktatur der Arbeiterklasse als weitaus weniger schlimm als die Demokratie der BRD-Gesellschaft?" Wobei in jedem Gespräch mit Steimle der Punkt kommt, an dem er betont: "Ich will doch nicht die DDR zurück." Doch er besteht darauf, dass es früher auch schön war. "Aber noch früher war noch schöner." Steimle'sche Dialektik.
Im besagten Luther-Buch findet sich folgende Sachsendefinition: "Freundlichkeit gegenüber jedermann, unverstelltes Auftreten, Respektlosigkeit gegenüber der Obrigkeit sowie Dialekt und ein mit Witz und Charme gelebter Heimatstolz als Anker ." Zumindest das mit der "Freundlichkeit gegenüber jedermann" sieht manch einer ziemlich anders. Steimle bleibt dabei: "Der Sachse ist der Letzte, der nicht solidarisch ist." Wie bitte? "Aber er versteht nicht, wenn Fremde wichtiger sind als die eigenen Leute. Wenn plötzlich Geld da, weil Fremde kommen."
Wer dem Volk aufs Maul schaut, verbrennt sich schon mal den Mund. "Wobei man heute ja vorsichtig sein muss, wenn man Volk sagt." Gerade deshalb sagt er es nun wohl besonders oft. Die "Obrigkeit" - auch so ein Lutherwort - wisse nicht mehr, was das Volk denkt. "Es ist wie beim süßen Brei. Man versucht, den Deckel draufzuhalten. Aber es quillt und quillt." Der Ruf "Wir sind das Volk" sei schon 1989 zuerst aus Angst gerufen worden und dann erst zum Selbstbewusstsein geworden. So wie heute. "Der Hass entsteht aus enttäuschter Liebe." Ein paar Mal habe er sich Pegida angeschaut. "Ich habe nichts Fremdenfeindliches gehört." Aber wenn er dort Sprüche sieht, wie "Schwarz, Rot, Gold ist bunt genug", dann findet er das durchaus pfiffig.
Man könnte sich oft schnell reflexhaft empören über manches, was Steimle äußert. Aber im Gespräch stößt man auf viel Nachdenklichkeit und Selbstzweifel. "Ich weiß schon auch", sagt er dann, "dass das Volk für die Todesstrafe stimmen würde, und wenn es auf dem Altmarkt Hinrichtungen gäbe, würden die Leute hinlaufen."
Und wer ist jetzt eigentlich genau das Volk, Herr Steimle? "Na die, die das alles hier erarbeiten. Die Arbeiterklasse." Nur die, Herr Steimle? "Na ja, so nu auch wieder nicht. Eben alle, die guten Willens sind, alle, die den Frieden wollen."
In Steimles Welt singen Pazifisten auch Partisanenlieder: "Durchs Gebirge, durch die Steppen zog unsre kühne Division ? " So stimmt er in der Kulturstätte die "Partisanen von Amur" an, und die Gröditzer, noch immer textsicher, schmettern mit. Auch das Lied der Jungen Naturforscher klappt noch: "Die Heimat hat sich schön gemacht ?" Und dann natürlich: "Für Frieden und Sozialismus seid bereit!" - "Immer bereit!" Wie früher eben.
Es ist ein Stück Heimat, das Steimle seinem Publikum bietet, Heimat mit Garagengemeinschaft und Pulmotin. Eine Welt, die man nicht wirklich zurück will, in der man sich aber zurechtfand. "Heute geht alles so schnell", sagt Steimle. "Und es wird so viel diskutiert. Das gab's früher auch nicht." Wie gut, dass es immerhin noch Dresdner Stollen gibt. "Ihr seid jetzt alle Modernisierungsverlierer", sagt er den Leuten an seinen Lippen. Und man spürt, wie sie das wütend macht.
Es gibt viele Kabarettisten, die in letzter Zeit damit hadern, dass ihr Publikum an falschen Stellen lacht und manche politischen Gags gar nicht mehr lustig findet. Steimle fremdelt nicht mit seinem Publikum - und das nicht mit ihm. Er bietet ein simples Koordinatensystem: wir und die, oben und unten, hüben und drüben. Der Erfinder der Ostalgie buddelt sich noch immer durch den Ossi-Wessi-Graben. "Sie wissen nichts, und das wollen sie uns erklären."
Umso bemerkenswerter, dass an der Spitze dieses Staates, dessen Regierung ihm so zuwider ist, ausgerechnet zwei Ostdeutsche stehen. "Das Merkel", wie er die Kanzlerin nennt, und "der Pfaffe Gauck", den er für einen Hochstapler hält. "Der ist als Letzter auf den Zug der Freiheit aufgesprungen und behauptet, er war immer schon Lokführer." Die Grüne Katrin Göring-Eckardt hat er auch gefressen und erst recht Sigmar Gabriel ("Den sollten wir aushungern."). Als Wirtschaftsminister genehmige Gabriel Rüstungsexporte, und die Rüstungsindustrie lebe davon, dass Menschen getötet werden.
"Wer Krieg sät, wird Flüchtlinge bekommen." Auch so eine Nicki-Parole. Wenn Steimle bestimmen könnte, müssten die Rüstungsfirmen sämtliche Kosten für die Flüchtlinge übernehmen. Ist doch auch wieder so eine einfache, populistische Lösung, oder? "Nein, im Ernst, ich würde das sofort durchsetzen."
Frieden, das ist sein Thema. Vor allem der mit Russland liegt ihm am Herzen. Und steht natürlich auch auf einem Nicki. Mit Friedenstaube. "Mir san Mir" - in kyrillischen Buchstaben. "Mir" heißt ja Frieden im Russischen. Steimle hat das bayerische Bekenntnis zur Friedensbotschaft uminterpretiert. Nachdem Steimle damit im Fernsehen zu sehen gewesen war, trat auch Pegida-Anführer Bachmann mit dem Spruch auf der Brust auf. Daraufhin schaltet Steimle seinen Anwalt ein. "Das ist mein geistiges Eigentum, meine Arbeit."
Für seine Talkshowauftritte ist Steimle berüchtigt . Zuletzt hätte er fast das MDR-Riverboat zum Kentern gebracht, als er dort von Heimat, Volkszorn und Sachsenstolz redete, pauschal alle Parteien verdammte und den Bundespräsidenten sowieso. Der Moderator und andere Gäste empörten sich, die Stimmung war hin.
Wochen später in Gröditz bedankt sich Steimle bei seinen Fans für die vielen positiven Zuschriften nach dem Riverboat. "Haben Sie's gesehen? Der Moderator hatte einen Knopf im Ohr, der bekommt Anweisungen." Überhaupt fühlt er sich ausgebootet. Seit er 2009 als Kommissar im Polizeiruf aufhören musste ("Ich wurde entfernt, weil ich den Mund aufgemacht habe."), stehe er auf der schwarzen Liste und bekomme keine Rollen mehr. Sein Trost: "Wenn man nicht mehr in den Medien groß vorkommt, weiß man, man hat nicht viel falsch gemacht."
Dabei gönnt ihm der MDR sogar eine eigene Sendung: "Steimles Welt", in der er außergewöhnliche Menschen aufsucht. Zuletzt fünf Prozent Marktanteil. Steimle misstraut den Zahlen. Neuerdings entdecken ihn sogar Westsender. Nicht mal der Bayerische Rundfunk scheut zurück, seit er mit dem Münchner Kollegen Helmut Schleich zusammenarbeitet. Steimle macht den Honecker, Schleich den Franz Josef Strauß. Zuletzt waren sie zusammen auf dem Oktoberfest. Mit Maßkrug in der Hand schien sich der schlaksige Sachse neben dem feisten Bayern nicht besonders wohl zu fühlen. "Ich staune", sagte er, "wie man ohne Grund so fröhlich sein kann."