Von Tilo Berger
Das wochenlange Gezerre um eine mögliche Klimaschutz-Abgabe für ältere Braunkohlekraftwerke ist vorbei. Stattdessen sollen die Kraftwerksbetreiber ab 2017 insgesamt 2,7 Gigawatt an Leistung vom Netz nehmen und so Kohlendioxid sparen. Zunächst gehen die betreffenden Kraftwerksblöcke in eine Kapazitätsreserve, bleiben dort vier Jahre und gehen schließlich ganz außer Betrieb. Darauf hat sich die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD geeinigt. Aber was bedeutet das?
2,7 Gigawatt sind 2 700 Megawatt (MW). Das ist also weniger, als allein das 3 000-MW-Kraftwerk Jänschwalde des Energiekonzerns Vattenfall zu leisten vermag. Auf ganz Deutschland bezogen, sind 2 700 Megawatt rund zwölf Prozent der Gesamtleistung aller Braunkohlekraftwerke. Die liegt nach Angaben des Bundesverbandes Braunkohle bei 22 637 Megawatt. Dazu gehören Energieriesen wie das rheinische Kraftwerk Neurath, das allein 4 414 Megawatt Strom liefern kann. Aber auch kleinere Anlagen zählen in diese Summe mit rein, wie das 20-Megawatt-Kraftwerk, mit dem die Zuckerfabrik Zeitz ihren eigenen Strombedarf deckt.
Steuergelder für Kraftwerksbetreiber
Welcher Kraftwerksbetreiber soll nun auf wie viel Megawatt verzichten, damit es am Ende 2 700 weniger sind? Genau steht das noch nicht fest, antwortet das federführende Bundeswirtschaftsministerium auf eine Anfrage der SZ. Die Details werden „mit den Betreibern vertraglich geregelt und gesetzlich umgesetzt“, erklärt Beate Braams von der Pressestelle des Ministeriums. Das solle im Herbst dieses Jahres geschehen. Dann werde auch geklärt, welchen finanziellen Ausgleich der Bund den Kraftwerksbetreibern dafür zahlt, dass sie auf einen Teil ihrer geplanten Einnahmen verzichten müssen. Dafür werden also Steuergelder fließen. „Der Aufbau der Kapazitätsreserve soll im Jahr 2017 beginnen und dann bis 2020 auf 2,7 Gigawatt gesteigert werden“, erklärt die Ministeriumssprecherin. „Wichtiges Merkmal der Kapazitätsreserve ist es, dass Kraftwerke in der Reserve keinen Strom produzieren und nicht am Strommarkt teilnehmen.“
Im Moment will kein Kraftwerksbetreiber öffentlich darüber orakeln, ob und wie er vom 2 700-MW-Einsparprogramm betroffen sein könnte. Der Vattenfall-Konzern will zunächst abwarten, bis der Bundestag das Programm beschlossen hat „und Klarheit über die Ausgestaltung besteht“. Im selben Tenor antworten auch andere Unternehmen.
50 Jahre alte Blöcke vor dem Aus
Doch natürlich dürften die Chefetagen intern schon Szenarien durchrechnen. Auch in Koalitionskreisen gibt es relativ klare Vorstellungen, welche Kraftwerksblöcke erst in Reserve und dann außer Betrieb gehen könnten. Informationen aus zuverlässiger Quelle zufolge soll vor allem der rheinische Energiekonzern RWE Kapazität abbauen. Im Gespräch sind die letzten beiden 300-MW-Blöcke des Kraftwerkes Frimmersdorf, die aus den 60er Jahren stammen und ohnehin 2018 vom Netz gehen sollten. Im Kraftwerk Niederaußem soll der älteste 300-Megawatt-Block auf der internen Streichliste stehen. Weitere 300 MW soll RWE in Weisweiler und 150 MW in Goldenberg vom Netz nehmen. Die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) würde ihr 350-MW-Kraftwerk Buschhaus bei Helmstedt verlieren. Das macht auch Sinn, da der benachbarte Tagebau Schöningen ohnehin 2017 ausgekohlt ist. Die Kohle für Buschhaus sollte ab 2017 in Zügen aus dem Leipziger Revier kommen.
Bei Vattenfall, das in der Lausitz und bei Leipzig insgesamt 14 Kraftwerksblöcke betreibt, trifft es wahrscheinlich die beiden ältesten Anlagen in Jänschwalde bei Cottbus, also insgesamt 1 000 Megawatt. Nach SZ-Informationen sollen beide Blöcke noch bis 2019 Strom produzieren, dann vier Jahre in Reserve und 2023 ganz außer Betrieb gehen. Das hätte mit Sicherheit Auswirkungen auf die Tagebaupläne des Konzerns – wie immer der dann heißen mag. Denn Vattenfall will sich aus der Lausitzer Kohle zurückziehen.