Schritt für Schritt aus der Corona-Schockstarre

Das Klubheim wurde generalgereinigt, keine Ecke beim Putzen ausgespart. Der Rasen des Hockeyfeldes nebenan bekam eine Extraportion Dünger. Wie andere Vereine versuchte der MSV Bautzen die Wochen, in denen organisiertes Sporttreiben strikt verboten war, irgendwie zu nutzen. Als in der ersten Stufe der Lockerungen Leibesübungen unter freiem Himmel wieder erlaubt waren, reaktivierten die Bautzener eine Sportart, die seit den 1970er-Jahren nahezu verschwunden ist: Feldhandball.
Auch viele der anderen 24 Abteilungen des 2.000 Mitglieder starken Vereins suchten nach Lösungen, ihre Sportart ins Freie zu verlegen und wurden am Mittwoch vom Vorstoß der Landesregierung überrascht, dass bereits ab Freitag die Hallen wieder öffnen dürfen. Steffen Waldmann fühlte sich ein bisschen überrollt. „Bei aller Euphorie über die Lockerungen: Das ist schon sehr forsch“, findet der Geschäftsführer des MSV Bautzen. „Ich musste sofort aufgeregt anrufende Mitglieder beruhigen und ihnen sagen, dass es wohl noch einige Tage dauern wird.“
Der Lockdown bedeutete: Von 100 runter auf 0
Wenn die Staatsregierung Verbote aufhebt, heißt dies noch nicht, dass die Sportler sofort loslegen können. Erst müssen die Kommunen oder die Betreiber der Hallen ihre Richtlinien vorlegen – und dann die einzelnen Abteilungen der Vereine ein Konzept, wie sie die ganz konkret umsetzen. Das sind nicht die einzigen Hürden. „Bei uns sind viele Turnhallen derzeit durch die Schulen belegt, dort werden Prüfungen geschrieben. Das geht also gar nicht so einfach“, schildert Waldmann, der im MSV-Sportpark Hinweisschilder mit Verhaltensregeln in Piktogrammform aufgehängt hat. Eigentlich müsste er die jetzt gleich wieder überarbeiten.
Der MSV Bautzen ist kein Einzelfall. Eine SZ-Umfrage unter den acht größten Sportvereinen in Ostsachsen – Dynamo und Dresdner SC ausgeklammert – zeigt, dass die Rückkehr zu einer Art Normalität im Breitensport schwierig und langwierig wird. „Im März ging es von 100 auf 0 runter. Aus dieser Schockstarre kommt man nicht so schnell wieder raus“, findet Daniela Fünfstück, Geschäftsführerin des SC Hoyerswerda.

Dabei mangelte es ihr und den Trainern nicht an Ideen. Zunächst gab es Online-Angebote für die einzelnen Gruppen, dann wurden Einheiten auf die Außenanlagen verlegt. „Nach einer so langen Pause sind zunächst Grundlagenausdauer und Kraft wichtig“, erklärt die 53-Jährige. „Und das kann man prinzipiell in jeder Sportart auch im Freien machen.“ Ringer haben allerdings nur bedingt Spaß, wenn sie mit gebotenem Abstand immerfort Runden auf der Tartanbahn drehen und Klimmzüge an der Kletterstange machen sollen.
Vereine wie der MSV Bautzen und der SC Hoyerswerda sind da noch im Vorteil, weil sie gepachtete Sportplätze haben. Der USV TU Dresden, mit 4.000 Mitgliedern einer der größten in der Stadt, musste beim Re-Start etwa der Leichtathleten nach Alternativen suchen. Dabei wären die naheliegend, Großer Garten und das Elbufer etwa bieten viele Laufstrecken. „So einfach ist das aber nicht“, warnt Heiko Taubenreuther, der stellvertretende Geschäftsführer des USV. „Organisiertes Sporttreiben außerhalb der Sportanlagen ist eigentlich verboten.“ Die Leichtathleten seien deshalb einzeln im Großen Garten gelaufen.
Das Angebot ist weiterhin eingeschränkt, wie stark sich das durch die Hallenöffnungen ändert, kann Taubenreuther nicht sagen, „weil ich die Auflagen noch nicht kenne“. Wenn die Vorgabe, maximal ein Sportler auf 20 Quadratmetern, auch beim Training unterm Hallendach gelten sollte, dürfte es bei vielen Gruppen eng werden.
Was wird eigentlich mit dem Mitgliedsbeitrag?
Wochenlang konnten die Vereine gar nichts anbieten, sie fürchteten deshalb eine Austrittswelle. Doch die blieb, das bestätigen alle acht, aus. Lediglich einige Anfragen und Einzelfälle hätte es gegeben, sonst aber viel Solidarität und Verständnis. Beiträge zurückzubuchen oder einfach mit den Zahlungen auszusetzen, sei auch unzulässig, erklärt Taubenreuther.
„Mit dem Mitgliedsbeitrag erwirbt man sich nur das Recht, Mitglied im Verein zu sein, nicht aber auf konkrete Trainingsangebote. Wenn wir jetzt Beiträge wegen ausgefallener Übungseinheiten zurückerstatten, würden wir unsere Gemeinnützigkeit verlieren.“ Bei Kündigungen wiederum müssen Fristen eingehalten werden. Lediglich bei den Neuzugängen registriert der USV derzeit ein kleines Minus gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Über die Öffnung der Hallen freut sich auch Lutz Wittenberg – mit Einschränkungen. Der stellvertretende Vorsitzende des Post SV Dresden ist Volleyball-Trainer. Mit seiner Mannschaft wäre er zuletzt gerne auf Sand ausgewichen. „Doch in der ganzen Stadt gibt es lediglich vier Beach-Plätze, die noch dazu nur zu bestimmten Zeiten für Vereine zugänglich sind“, erklärt er. Und die Netze einfach auf der grünen Wiese aufspannen ginge nicht, da verweist er wie sein Kollege vom USV auf „Rechts- und Versicherungsprobleme“.

Skeptisch ist er nun bei den Hygieneanforderungen in den Hallen. „Die sind von den Vereinen kaum umsetzbar“, vermutet er. Es ginge dabei auch um Toiletten, Türklinken, Sanitätsräume – „alles schwierig“.
Beim SC Riesa hatten sich die Abteilungen „tiefgreifende Gedanken gemacht und Konzepte für Draußen entwickelt“, erzählt Vorstandsmitglied Sebastian Lohse. „Gruppen wurden geteilt, abwechslungsreiche Übungen erarbeitet, Trainingszeiten angepasst, damit jeder die Möglichkeit zum Sporttreiben hat.“ Nun müssen die Pläne den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Das geht auch dem VfL Pirna-Copitz so. Nicht nur die Fußballer aller Altersklassen trainieren – in einer Art Probelauf, wie der Verein mitteilt. Am Wochenende öffnet das Sportcasino wieder, dort können die Spiele der Bundesliga geschaut werden – mit dem nötigen Abstand natürlich.
Beim Radeberger SV denkt Präsident Knut Mulansky vor allem an den Nachwuchs. Die Kinder und Jugendlichen hätten wochenlang nur zu Hause gesessen. Man spüre, dass sie wieder raus wollen, findet der 68-Jährige. „Es muss auch wieder in Gang kommen, sonst drehen sie doch durch.“ Die neuen Verhaltensregeln würden das Sporttreiben zwar erschweren und besonders die Jüngeren mit ihrem noch ungestümen Bewegungsdrang „tun sich damit schwer. Doch dieser Kompromiss ist besser als nichts“.
Auch die Sorge um die Ehrenamtlichen ist da
Daniela Fünfstück aus Hoyerswerda hat in den vergangenen Wochen viel telefoniert – mit den Mitgliedern natürlich, aber auch mit den ehrenamtlichen Übungsleitern. Sie war besorgt, weil die womöglich merken könnten, dass es doch ganz schön ist, nach der Arbeit auf der Couch zu liegen, statt auf dem Sportplatz zu stehen. Deshalb war es ihr wichtig, mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Fünfstück musste ihnen auch erklären, dass sie ohne Training keine Aufwandsentschädigung bekommen. „Kurzarbeitergeld für Ehrenamtliche gibt es ja leider nicht“, bedauert sie.
Nun läuft alles wieder an, Wettkämpfe aber wurden meist schon bis in den Herbst hinein abgesagt. Das sei ein großes Problem für die Motivation vor allem der Kinder. „Sie fragen sich, wofür sie eigentlich gerade trainieren“, erklärt Fünfstück. Wenn die Mädchen und Jungen darauf keine Antwort finden, könnten sie wegbleiben. Dann droht die junge Generation noch träger zu werden als ohnehin schon.
In den Vereinen gibt es viele engagierte Ehrenamtliche, das hat die Umfrage gezeigt, die diesen Trend stoppen wollen – jetzt, da sie wieder dürfen. Nicht nur im Osten Sachsens.