SZ +
Merken

Vereine wie Sand am Meer

Sie sind keine Erfindung unserer Tage – Vereine gab’s bei uns schon vor über 300 Jahren. Und was für welche.

Teilen
Folgen

Von Heinz Fiedler

Der erste Schützenkönig im Weißeritztal könnte ein Tharandter gewesen sein. In der von lauschigem Grün umkränzten kleinen Stadt hat man seit einer Ewigkeit eine Menge für Schießübungen mit hoher Trefferquote übrig. Unter dem Datum des 28. Februar 1688 reichen Rat und Bürgerschaft ein Gesuch an die Sächsische Jagdbehörde ein, mit der Bitte um eine Konzession für das Abhalten von Scheiben- und Vogelschießen.

Zeitungsannonce von 1910 – der Pfeifenklub „Dürrer Ast“ lädt zu einem Sommerfest ein.
Zeitungsannonce von 1910 – der Pfeifenklub „Dürrer Ast“ lädt zu einem Sommerfest ein.
Ein Gruß vom Schützenfest im Jahr 1900 auf der Rabenauer „König-Albert-Höhe“. Rechts oben das Schießhaus der örtlichen Schützengesellschaft. Sammlung: Siegfried Huth
Ein Gruß vom Schützenfest im Jahr 1900 auf der Rabenauer „König-Albert-Höhe“. Rechts oben das Schießhaus der örtlichen Schützengesellschaft. Sammlung: Siegfried Huth

Der Antrag ist mit einem schwergewichtigen Argument versehen. Im damaligen Amtsdeutsch heißt es: „Bei jetziger Zeit, da die meisten unter uns keine Büchse laden können, geschweige denn in der Lage sind, Feinde mittels Waffe in die Flucht zu schlagen, scheint es uns geboten, einen Beitrag zur Erhöhung der Wehrhaftigkeit zu leisten. Wir denken dabei an ein gewöhnliches Büchsen- und Armbrustschießen zu bequemer Zeit …“

Die Obrigkeit gibt ihren Segen. In Tharandt darf fortan geschossen werden, fürs Erste auf hölzerne Tiersymbole. Damit distanziert sich Tharandt von Dresden, wo man schon seit geraumer Zeit auf an hochaufragenden Maibäumen gefesselte lebendige Tauben, Adler und Papageien zielte. Ein unerfreuliches Vergnügen, das viele Schaulustige anlockte und jedes Mal einer Hinrichtung glich.

Schießhaus auf der Alberthöhe

Tharandt bleibt am Drücker. Mit großem Gepränge wird am 17. Juni 1818 im Zeisiggrund der akademische Schießstand der Forstakademie eingeweiht. Durch die Straßen der Stadt bewegt sich ein bunter Festzug. Nach dem Preisschießen bitten die Organisatoren zum abendlichen akademischen Ball.

1862 bahnt sich die Gründung der Schützengilde an. Sechzehn Tharandter tragen sich zunächst als Mitglieder ein. Ihr ganzer Stolz ist das am 19. September 1878 in Betrieb genommene Schützenhaus an der Wilsdruffer Straße.

Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts verkörpern Schützenvereine in fast allen größeren Gemeinden des Weißeritztales eine lokale Macht. Nicht jeder hat Zutritt zu einer solchen Gemeinschaft. Männer mit zweifelhaftem Leumund brauchen sich gar nicht erst um eine Mitgliedschaft zu bemühen. Wer mit dabei sein will, der muss schon etwas darstellen und allgemein als redlich und ehrbar gelten.

Ab 1875 tritt die Schützengesellschaft Potschappel regelmäßig an die Öffentlichkeit. Rabenaus Schützengesellschaft formiert sich 1891 und verfügt auf dem Außengelände des Restaurants „König-AlbertHöhe“ über ein Schießhaus mit geradezu komfortablem Zuschnitt. Kurz vor der Jahrhundertwende treten der Schießklub „Jagdlust“ Gittersee, die Vereinigung „Freischütz zur Coschützer Höhe“ und der Klub „Gut Ziel“ Oberweißig in das einheimische Vereinsleben ein. 1900 feiert die Beamtenschützengesellschaft Burgk bereits ihr 50-jähriges Bestehen. Nach Dresdner Vorbild verschmelzen im Plauenschen Grund ab 1925 Schützenfest und Potschappler Vogelwiese zu einer Einheit. Ein Ereignis, das jahrelang echte Volkstümlichkeit erlangte.

Verwirrende Vielfalt

Neben Gesangs- und Sportvereinen stehen Interessengemeinschaften, die sich der Geflügelzucht und Imkerei widmen, hoch im Kurs. Gemeinschaften in Deuben, Potschappel, Tharandt, Kesselsdorf und Kreischa können sich besonders auszeichnen. Ihre Geflügelausstellungen finden für gewöhnlich eine starke Resonanz.

Heimatforscher Leßke, selbst ein Vereinsmensch, formuliert in einem Zeitungsbeitrag: „Es gibt in unserer Gegend Vereine wie Sand am Meer. Aus meiner Sicht sind freilich nicht alle sinnvoll …“

Und in der Tat, die Vielfalt ist geradezu verwirrend. Unter Vorsitz des Coßmannsdorfer Spinnereibesitzers Franz Dietel schlägt im Januar 1887 die Geburtsstunde eines „Nationalliberalen Wahlvereins“. In Deuben existieren gleich drei Militärvereine. Eine wissenschaftliche Gruppierung nennt sich „Diskussion“. Bäcker, Fleischer, die Jünger der Stenografie, Werkmeister, Hausbesitzer, Häkeldamen und Sonnenanbeter – sie alle haben einen Verein.

Männermode-Klub scheitert

Vor reichlich hundert Jahren will man in Deuben nach Berliner und Hamburger Vorbild die Herrenmode reformieren und als Mittel zum Zweck einen Anti-Dandy-Club ins Leben zu rufen. Die Initiatoren melden sich in der örtlichen Presse zu Wort: „Wir brauchen keine spitzen Lackschuhe, keine Schwalbenschwänze und ähnlichen modischen Firlefanz. Lasst uns schlichte, bequeme und trotzdem geschmackvolle Kleidung tragen!“ Liest sich eigentlich vernünftig. Indes, der Appell bewirkt nichts. Ein Verein wird mangels Interessenten gar nicht erst gegründet, und der Mode Lauf lässt sich erwartungsgemäß nicht stoppen. Was der Vereinsmeierei nicht schadet, sie bleibt in Mode.