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„Vergessen Sie alle Ernährungsregeln“

Uwe Knop bricht in seinem neuen Buch mit Vorschriften, spricht Übergewichtige frei und verkündet eine simple Lösung.

Von Katrin Saft
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Iss doch, was Dir schmeckt!
Iss doch, was Dir schmeckt! © 123.rfcom

ie Botschaft klingt verlockend: Ernährungswissenschaftler Uwe Knop will den Deutschen „zum besten Essen aller Zeiten“ verhelfen – mit seinem am Freitag erschienenen Buch. Unter einem solchen Superlativ geht es heute nicht mehr. Denn die Läden sind voll von Ernährungsratgebern, die mehr Gesundheit und ein längeres Leben versprechen. Knops „Körpernavigator“ dagegen ist ein Lehrbuch, das mit allen Lehren bricht. Die Kernthese: Vergessen Sie alle Ernährungsregeln. Denn gesunde Ernährung macht nicht gesund und schlank und ungesundes Essen nicht dick und krank.

Knop versichert, für diese Erkenntnis 5 000 Ernährungsstudien aus den Jahren 2007 bis 2019 ausgewertet zu haben. Er wolle Schluss machen mit verkürzten Ergebnissen wie Wurst ist böse, vegetarisch gesund und vegan rettet die Welt. Schluss mit dem Glaubenskrieg ums Essen, der einzelne Lebensmittel zum Feind erklärt und in das paradoxe Credo mündet: „Je mehr ich weglasse, desto mehr gibt mir die Ernährung.“ Dabei geht der 47-Jährige hart mit der Wissenschaft ins Gericht, die er einst studierte. „Ernährungsforschung ist ein Blick in die Glaskugel“, sagt er. Sie sei kannibalisch. Denn was heute gelte, werde morgen gefressen.

Tatsächlich sind viele Menschen verunsichert, was sie denn noch essen und trinken können. Mal erhöhen Eier den Cholesterinspiegel, mal sind sie gesund. Mal verlängert Rotwein das Leben, mal erhöht er das Todesrisiko. Keine Studie ohne Gegenstudie. „Kein Wunder“, sagt Knop. „Denn es gibt keine wissenschaftlichen Beweise, dass gesunde Ernährung die Gesundheit erhält oder gar fördert. Es gibt bis heute noch nicht mal gesichertes Wissen, was gesunde Ernährung überhaupt sein soll.“

Ursache dafür ist laut Knop, dass die Ernährungsforschung auf Beobachtungsstudien beruht. Die liefern zwar statistische Zusammenhänge – wie „die Rotweintrinker haben im Versuch länger gelebt als die Nichtrotweintrinker“ –, aber keine Beweise für Ursache und Wirkung: Lag es am Rotwein oder am Lebensstil, weil Rotweintrinker vielleicht mehr Geld, höhere Jobs oder eine bessere Gesundheit haben? Knop: „Menschen konsumieren Tausende chemische Verbindungen, und das alles bei individuellen Faktoren wie Genetik, Stoffwechsel, Alter und Umweltbedingungen. Wie will man aus dieser Komplexität Kausalaussagen zu einzelnen Lebensmitteln oder gar Inhaltsstoffen wie Kohlenhydraten oder Fetten extrahieren?“

Statistische Spielchen

Zwar versuchen Wissenschaftler, ergebnisverzerrende Einflüsse wie Sport, Gewicht oder Rauchen herauszurechnen. Doch für Knop sind das statistische Spielchen. Genauso gut wie man einen Bezug zwischen Gemüsekonsum und Lebenslänge herstellen könne, ließen sich Daten so lange „bereinigen“, bis sich ein Zusammenhang zwischen Strumpffarbe und Lebensdauer ergebe. Sein überspitztes Fazit: „Die Einteilung in gutes und schlechtes Essen ist reiner Lebensmittelrassismus.“

Die Ernährungsforschung leidet laut Knop noch unter einem anderen Problem. Für belastbare Ergebnisse müssten die Studienteilnehmer zufällig über eine längere Zeit in Gruppen verteilt werden. Doch wer lässt sich schon vorschreiben, dass er zehn Jahre lang kein Fleisch mehr essen darf, weil er in die Vegetariergruppe gelost wurde oder gar umgekehrt. Zudem basieren die Mengen der verzehrten Lebensmittel auf Eigenangaben. Und dabei wird gern geschummelt. Seriöse Studien sind verblindet und placebo-kontrolliert. Bei Ernährungsstudien wissen die Teilnehmer natürlich, was sie gegessen haben.

Hinzu kommt laut Knop, dass Studienergebnisse oft selektiv dargestellt, bewertet und interpretiert werden. Das funktioniert ganz einfach, sagt er und nennt ein Beispiel: Laut WHO haben die Schweizer mit 83 Jahren die höchste Lebenserwartung in Europa. Gleichzeitig werden in der Schweiz pro Kopf die meisten Schokoladenerzeugnisse in Europa konsumiert. „Da reizt es doch zu frohlocken: Schweizer Schoki verlängert das Leben!“

Was nach der Generalschelte für seine eigene Branche folgt, liest sich ein bisschen wie ein Freispruch für Übergewichtige. Knops Wortwahl passt dabei in die Zeit des Populismus. Ernährungsempfehlungen wie „fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag“ seien „staatliche Bevormundung“ und „Propaganda auf Basis von Volksverblendung“, schreibt der Autor, der inzwischen Pharma- und Medizin-PR macht und weiß, wie er Botschaften massenwirksam verkauft.

Er erteilt Zucker, Fast Food und tierischen Fetten die Absolution. Es gebe keine „ungesunden Dickmacher“. Vegetarische und vegane Ernährung seien Moden, die mehr der Profilierung der Persönlichkeit als der Gesundheit dienten. Werbeverbote für Kindersüßigkeiten, die Nährwertampel oder eine Limosteuer lehnt er nicht nur ab, sondern bezeichnet sie als „Zwangsmaßnahmen“. Die Ernährungspyramide der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sei absurd und der Body-Maß-Index, der Menschen in Normal- und Übergewichtige einteile, Willkür. Übergewicht habe viele Ursachen: zum Beispiel die Gene, Stoffwechselstörungen, Darmbakterien, Medikamente, Schlafprobleme, sozialer Status und Bildungsgrad. Der Standardratschlag, „weniger essen, mehr bewegen“, helfe oft nicht dauerhaft.

Ein bisschen Polemik

Statt lebenslang gegen seinen Körper zu kämpfen, empfiehlt Knop eine einfache Lösung, die er im Kern schon in anderen Büchern publiziert hat: in den eigenen Körper vertrauen und auf ihn hören. Soll heißen: wieder Gefühle für Hunger, Lust, Sattheit und Verträglichkeit zu entwickeln und zum „intuitiven Körpernavigator“ zu finden. Dabei unterscheidet er zwischen emotionalem und echtem Hunger. Der emotionale aus Stress, Frust, Einsamkeit, Traurigkeit oder Langeweile mache dick. Doch wenn der Magen knurrt, könne man alles essen, worauf man Appetit hat. Nichts ist verboten, was man verträgt. Jeder soll für sich entscheiden, wann, was und wie viel er isst – das beste Essen aller Zeiten also.

Und was sagt die wissenschaftliche Fachgesellschaft, die DGE, dazu? Die Kritik an vielen Studien kann Sprecherin Antje Gahl durchaus nachvollziehen. „Deshalb empfehlen wir ja nicht einzelne Lebensmittel“, sagt sie, „sondern Gruppen wie Obst und Gemüse oder Vollkornprodukte, die das Risiko von bestimmten Krankheiten minimieren. Das heißt aber nicht, dass jemand nicht krank werden kann, der regelmäßig so isst.“ Entscheidend – und das sei wissenschaftlich belegt – sei eine ausgewogene Ernährung. Was das bedeute, zeige die Ernährungspyramide.

Dass Ausgewogenheit und die richtige Menge wichtig sind, streitet letztlich auch Knop nicht ab. Nur: Mit ein bisschen Polemik konsumieren sich Ernährungsweisheiten natürlich unterhaltsamer. Zitat: „Wenn die nächste Studie behauptet, Tomaten verkürzen das Leben, dann ist der Rückgang der Storchenpopulation für die sinkende Geburtenrate verantwortlich.“

„Dein Körpernavigator zum besten Essen aller Zeiten“, Uwe Knop, Polarise, 240 Seiten, 14,95 Euro.
„Dein Körpernavigator zum besten Essen aller Zeiten“, Uwe Knop, Polarise, 240 Seiten, 14,95 Euro. © PR