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Vergesst den Meister nicht

Musik. Erich Mitzscherlich, bedeutendster Komponist unserer Heimat, begann vor 100 Jahren sein irdisches Gastspiel.

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Von Heinz Fiedler

Ein Lied von Erich Mitzscherlich, wann haben wir das in der Öffentlichkeit zuletzt gehört? Das scheint eine kleine Ewigkeit her zu sein. Unwillkürlich muss man an das Bibelwort denken, wonach der Prophet nichts im eigenen Lande gilt. Es ist nicht nur die Jugend unserer Tage, die mit dem Namen des Tonschöpfers nichts anfangen kann. Auch Leute im vorgerückten Alter können kaum ein Wort mitreden, wenn es um den Meister und sein Werk geht. Schlimm genug, haben wir es doch mit dem einzigen Komponisten des Plauenschen Grundes zu tun, der überregionale Bedeutung erlangt hat.

Als Erich Mitzscherlich am 16. März 1985 für immer von uns geht, hinterlässt er über 50 meist an klassischen Vorbildern orientierte Kompositionen, darunter Sinfonien, Kammer-, Kirchen- und Weihnachtsmusiken sowie klangschöne Sonaten. In Verehrung für seine Mutter schreibt er nach Versen von Ricarda Huch, Rilke, Fontane und Theodor Storm die so genannten Mutterlieder, die u.a. die in Freital ansässige Dresdner Konzertsängerin Charlotte Stephan-Hamann vorträgt.

Um Aufführungen von Werken des Komponisten bemühen sich die Dresdner Philharmonie, eine Wiener Konzertvereinigung, das Kreisgemeinschaftsorchester Freital und vor allem die von dem Ehepaar Walter und Johanna Morgenstern gegründete Kammermusikvereinigung Tharandt. Über die Morgensterns und ihr aufopferungsvolles Wirken soll in einem späteren Beitrag gesondert berichtet werden. Frau Johanna, inzwischen im 91. Lebensjahr, ist gegenwärtig in Wilsdruff zu Hause.

Mit Weißeritzwasser ist Mitzscherlich nicht getauft. Seine Wiege steht in Kötzschenbroda, wo er am 3. August 1906 zur Welt kommt. Er wächst in bescheidenen, aber harmonischen Verhältnissen auf. Als der Knabe beim Herumstöbern auf dem Dachboden des großelterlichen Hauses eine alte, verstaubte Geige entdeckt, versucht er dem Instrument sogleich einige Töne zu entlocken. Heimlich übt er Weihnachtslieder ein, die er zur allgemeinen Überraschung Heiligabend im familiären Kreise vorspielt.

Mit einigen Schnörkeln

Sein beruflicher Weg weist etliche Schnörkel auf. Reich mit handwerklichem Geschick und praktischem Verstand gesegnet, wird er bei Seidel und Naumann in Dresden als Werkzeugmacher und Techniker ausgebildet. Das geht allerdings nicht ohne innere Zweifel ab. Er fühlt sich so stark zur Musik hingezogen, dass er bei Paul Büttner Geigen- und Theorieunterricht nimmt. Obwohl es ihm an den nötigen finanziellen Mitteln fehlt, absolviert er von 1927 bis 1930 ein Studium am Konservatorium Dresden, wo man ihn wegen seiner großen, an praktische Arbeit gewöhnten Hände zum Fach Kontrabass, einschließlich Tenorhorn, rät. In dieser Zeit entstehen seine ersten Kompositionen. Mitzscherlich beendet das Studium mit Bestnoten. Die Malerei, der er sich, vom Vater inspiriert, widmet, bleibt ihm zeitlebens eine geliebte Passion.

Unruhige Zeiten brechen an. Bei der Dresdner Philharmonie wäre er als Kontrabassist willkommen gewesen, indes, die Anstellung fällt der allgemeinen Wirtschaftskrise zum Opfer. Der Musiker, ein Mann mit markanten Gesichtszügen und stattlicher Statur, muss nehmen, was sich gerade bietet, und das ist nicht immer nach seinem Geschmack. In Hannover reiht er sich in ein Orchester ein, das Volksfeste und Bierzeltvergnügen musikalisch berieselt. In Görlitz, Cottbus, Meiningen und Mühlhausen, wo er seine Gattin kennen lernt, bewährt er sich als Orchestermusiker. Krieg und Gefangenschaft bleiben ihm nicht erspart. 1947 siedelt er sich mit Frau und der 1942 geborenen Tochter in Wurgwitz, dem Wohnsitz der Eltern, an.

Wo immer er arbeitet, das Komponieren lässt er nie. Direktor Ernst Baumann holt Mitzscherlich als Pädagoge (Kontrabass Theorie) an die Musikschule Freital. Von den Schülern wegen seiner Herzlichkeit und Wärme verehrt, schreibt er Stücke für Konzerte der Bildungsstätte.

Heinrich Mühlberg, langjähriger Pädagoge im Altkreis Freital, und enger Freund des Musikers, charakterisiert Mitzscherlich als eine Persönlichkeit von absoluter Wahrhaftigkeit und großer Toleranz. „Gemeinsam haben wir in der Wurgwitzer Schule musikalisch-literarische Programme gestaltet. In der von Erich am Flügel gespielten musikalischen Illustrationen spiegelte sich eindringlich die von den Wortbeiträgen ausgehende Stimmung. Klangbilder von seltener Schönheit.“

Erich Mitzscherlich fühlt sich in seiner Wurgwitzer Zeit auch als schlichter Landmann, der neben der Musik gern gärtnerische Arbeiten verrichtet, gern lacht und mit gesundem Appetit seine Mahlzeiten einnimmt. Die Stadt Dresden ehrt den Komponisten 1966 mit der Verleihung des Martin-Andersen-Nexö-Preises.