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Verliebt in Klein-Paris

Der ehrwürdige Görlitzer Untermarkt ist zurzeit nicht wiederzuentdecken. Die Verwandlungskünstler aus Babelsberg bringen es zu Wege: Ein Klein-Paris entsteht.

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Von Peter Chemnitz

So heimisch hat sich Catie Le Noane in Görlitz noch nie gefühlt. Nicht einmal, dass sich ein Rechtschreibfehler in die Reklamefelder geschlichen hat, beeinträchtigt das Wohlgefühl der kleinen Französin, die seit sechs Jahren in der Neißestadt wohnt. Wer weiß auch schon, dass sich der Feinwaren- und Obstladen „Epicerie – Fruterie“ im richtigen Französisch „Fruiterie“ schreiben müsste. Mit dem Fotoapparat hat Frau Le Noane ihr Lieblingsrestaurant „Le Trou“ aufgesucht, was jetzt „Café du Commerce“ heißt. Aber das macht wenig, ist doch Lutz Meinecke der Chef dieser Stätte französischer Gastlichkeit geblieben. Mit dem Fotoapparat hat die Französin jedenfalls den Wandel des Untermarktes in ein Klein-Paris festgehalten. Freunde und Verwandte sollen erfahren, wie Görlitz sich verkleidet hat. „Ich wünsche mir, dass die Schilder möglichst lange hängen bleiben“, sagt Catie Le Noane. Auch Sophie, Claude und Isabelle sollen sie noch zu sehen bekommen. Ihre drei Pariser Freundinnen, die demnächst die Neißestadt besuchen. Was für ein Gaudi, gemeinsam durch das Paris des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts zu spazieren!

Beeindruckt ist Catie Le Noane insbesondere über die Details. Die Kulissenbauer achteten selbst auf Kleinigkeiten. So sieht das Werbeschild des Volks-Zahnarztes auf der Weberstraße, pardon, auf der „rue de l‘hotel de Paris“ etwas schmuddliger aus als beispielsweise das des Hutmachers. Auch auf den zweiten Blick sieht vieles so täuschend echt aus, dass Renate Kästner, Inhaberin der gleichnamigen Pension auf der Weberstraße 21, einige ihrer Gäste aufklären muss. Darüber, dass Görlitz nicht die heimliche Hauptstadt der aus ihrer Heimat geflüchteten Hugenotten ist, sondern dass hier lediglich Filmarbeiten stattfinden. Frau Kästner findet den ganzen Trubel jedenfalls gut fürs Geschäft und freut sich daran, dass „Touristen herumlaufen wie Hans guck in die Luft“. Und zumindest das ruinöse Eckhaus Weberstraße, das durch die Hollywood-Akteure zum Künstlerladen („couleurs pour artistes“) aufgepäppelt wurde, sollte mitsamt Fensterläden auch nach den Dreharbeiten so bleiben, wünscht sie sich. Auch Anwohner Ulf Schütze wollte die Chance nutzen, und den Filmleuten einen Balkon für das Haus Untermarkt 11 abtrotzen. Unwiederlegbare Argumente fuhr er dafür auf: Romanautor Jules Verne habe den Balkon am Haus des Herrn Gaultier genau beschrieben. Aber auf den dann angebotenen Sperrholzanbau (Betreten verboten) verzichtete Schütze lieber. Babelsberg baut eben doch nur Potemkinsche Dörfer.