Wippel liefert Grund für mildere Strafe

Der Görlitzer Blumendieb, ein 27-jähriger Pole mit einem vietnamesischen Vater, nahm des Urteil des Görlitzer Amtsgerichts erleichtert zur Kenntnis. Er konnte das Gericht nach zweimonatiger Untersuchungshaft gestern verlassen.
Richter Ulrich von Küster hob den Haftbefehl, der seit dem Tattag 7. Mai galt, auf und verurteilte den Blumendieb zu neun Monaten Freiheitsentzug, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden, zu Schadensersatz gegenüber dem Zeugen in Höhe von 1.270 Euro zuzüglich Zinsen und zur Übernahme der Gerichtskosten.
Am Tathergang gab es keine Zweifel, auch aufgrund des vom Opfer selbst aufgenommenen und im Görlitzer OB-Wahlkampf vom AfD-Kandidaten Sebastian Wippel auf Facebook verbreiteten Videos, aber auch wegen des Geständnisses des Polens und der nachgewiesenen Verletzungsspuren beim Opfer.
Der Pole, Familienvater von drei Kindern, hatte am 7. Mai aus den Blumenrabatten am Görlitzer Wilhelmsplatz Tulpen herausgerissen, etwa 30 Stück im Wert von rund 50 Euro – für seine Frau, wie er vor Gericht sagte. Ein Zeuge bemerkte das, filmte ihn mit seinem Handy und sprach ihn an. Der wütende Blumendieb ging daraufhin auf den Zeugen los, schlug ihm das Handy aus der Hand, schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, sodass der Zeuge zu Boden stürzte. Auch als der Mann am Boden lag, hörte der Pole nach Überzeugung des Gerichts nicht auf, traktierte ihn mit mindestens zwei Faustschlägen und mindestens zwei Fußtritten.
Die Fußtritte hatte der Angeklagte im Gericht bestritten, aber die dokumentierten Verletztungen standen dem gegenüber. Der Zeuge wollte sich das alles trotz der ihm zugefügten „Behandlung“ nicht gefallen lassen und filmte weiter. Der Pole reagierte mit einem Fußtritt Richtung Kopf und einem Steinwurf, wobei er beide Male das Opfer nicht traf. Das Gericht wertete beides später eher als Drohgebärde.
Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu hatte eine Verurteilung wegen räuberischen Diebstahls und eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung gefordert. Das Wort „räuberisch“ wegen der angewandten oder angedrohten Gewalt beim Diebstahl erhöht die Mindeststrafe gegenüber einem „einfachen“ Diebstahl mit gefährlicher Körperverletzung um ein halbes auf ein Jahr. Richter Ulrich von Küster urteilte aber anders: „Die Gewalt des Angeklagten gab es nicht, um sich die gestohlenen Blumen zu sichern, sondern wegen des Filmes. Die Blumen hat ihm niemand streitig gemacht. Aus diesem Grund kann es kein räuberischer Diebstahl sein.“
Es bleibt wegen der gefährlichen Körperverletzung ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug. Zugunsten des Angeklagten gab es eine ganze Reihe von Dingen zu berücksichtigen, die jedes für sich und erst recht gemeinsam dafür sorgen, dass das Strafmaß eher am unteren Ende des Strafrahmens liegt. Dazu gehören neben dem Geständnis des Angeklagten, dem Fehlen von Vorstrafen, der geringen Diebstahls-Schadenshöhe, der erlittenen zweimonatigen Untersuchungshaft und dem Jobverlust insbesondere, die Prangerwirkung des Videos, das öffentlichkeitswirksam und im politischen Interesse im Oberbürgermeisterwahlkampf veröffentlicht wurde. „Damit wurde der Angeklagte für alle ersichtlich als brutaler Grobian gebrandmarkt“, so Richter von Küster wörtlich, der auch bemerkte, dass diese Gerichtsverhandlung wohl nur deshalb das besondere Interesse dere Medien hervorgerufen habe.
Gegen den Angeklagten sprach insbesondere die Gewalt, mit der er dem Opfer erhebliche Schmerzen zugefügt hatte. Der Mann ist bis heute nicht beschwerdefrei. Die Geldstrafe von rund 1 300 Euro muss der Blumendieb spätestens beginnend in einem halben Jahr beim Opfer abstottern. Tut er das nicht, kann die Bewährung auch widerrufen werden. Dass Ulrich von Küster ein Richter mit Humor ist, bewies er mit einer weiteren Bemerkung: „Wir haben auch über eine Arbeitsauflage nachgedacht, etwa, dass er Blumen auf dem Wilhelmsplatz pflanzt. Aber davon haben wir abgesehen. Wir hätten wohl den Bock zum Gärtner gemacht“, sagte er schelmisch grinsend.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Beide Seiten, Angeklagter und Staatsanwaltschaft, können binnen einer Woche Revision oder Berufung einlegen.
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