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Verraten Zahlen die Gesinnung?

Autokennzeichen mit nationalsozialistisch wirkenden Kürzeln sind unerwünscht. Es gibt sie dennoch.

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Von Ralph Schermann

Anita Gärtner ist zugleich „wütend und entsetzt“. Die Görlitzerin zeigt auf einen grauen Kombi mit dem Heckscheiben-Aufkleber „Freiwild“ und einem amtlichen Kennzeichen, das die Kombination AH 88 trägt. „Wie kann es heutzutage möglich sein, dass eine Gesinnung so zur Schau gestellt werden darf“, fragt die Leserin empört und hofft: „Dagegen muss man doch wohl etwas machen können!“

Genau das aber ist rechtlich schwierig. In der Fahrzeug-Zulassungsverordnung ist lediglich verankert, dass „Zeichenkombinationen nicht gegen die guten Sitten verstoßen“ dürfen. Gerichte gehen davon aus, dass mit „guten Sitten“ zwar „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ beschrieben ist, der Begriff aber ständig einem gesellschaftlichen Wandel unterliege und daher Beurteilungsspielraum zulasse. Da Fahrzeugzulassungen Ländersache sind, wurde das Problem schon mehrfach von einem Bund-Länder-Fachausschuss geprüft, der zuletzt im Jahr 2000 eine Empfehlung bekräftigte: Buchstabenkombinationen sind möglichst zu vermeiden, wenn sie unerwünschte eindeutige Wortbildungen ergeben (zum Beispiel NA-ZI, N-PD oder HEI-L) sowie deutlich für nationalsozialistische Kürzel stehen (SS, KZ). In Görlitz wurde schon Anfang der 1990er Jahre darauf geachtet, als ein Abgeordneter das Schild GR-NS wieder abgeben musste. Dabei hatte er gar keinen Nationalsozialismus im Sinn, sondern wollte lediglich Niederschlesien huldigen.

Unterschiedlich ausgelegt werden dagegen Symbole im übertragenen Sinn. Dass mit HH Heil Hitler gemeint sein könnte, ärgerte jetzt zum Beispiel Helmut Hasch in Bayern, wo der Firmeninhaber alle seine Fahrzeuge mit M-HH zulassen wollte und nicht durfte. Rechtlich ist das seit Jahrzehnten umstritten, fahren doch in Hamburg ganz offiziell alle Fahrzeuge mit einem HH herum. Selbst die Zahl 88 steht in der betreffenden Szene für den Hitler-Gruß, auch wenn beim Kennzeichenwunsch diese Ziffern mehr als Eselsbrücke für ein Geburtsjahr oder eine Hausnummer angegeben werden. Überhaupt sind die Möglichkeiten unerwünschter Kombinationen vielfältig, dem Halter ist jedoch eine entsprechende Absicht nachzuweisen, soll so ein Wunschkennzeichen als Verwendung verbotener Symbole verfolgt werden. Der Brandenburger Verfassungsschutz blitzte deshalb auch mit seinem Vorstoß ab, gleich alle in der Szene als Erkennungszeichen kursierenden Darstellungen für Fahrzeuge zu verbieten. Das wären dann Verbote für die 18 (Adolf Hitler), die 14 (Zeichen der rassistischen White-Power-Bewegung in den USA), die 28 („Blood & Honour“), die 44 („Deutschland den Deutschen“), die 47 („Deutscher Gruß“), die 74 („Großdeutschland“), die 84 („Heil Deutschland“), die 198 („Sieg Heil“), die 88 sowieso und Dutzende Buchstabenkopplungen dazu. So viele Verbote scheitern ganz simpel schon am Ablauf, heißt es in einer Begründung der Bundesregierung: „Angesichts des wachsenden Fahrzeugbestandes sind die Zulassungsbehörden auf die Ausnutzung der Buchstabenkombinationen angewiesen.“

Diese bisherigen Abwägungen führten dazu, dass tatsächlich auch im Kreis Görlitz Kennzeichen wie AH 88 und HH 88 vernachlässigt wurden und deshalb im Stadtbild anzutreffen sind. Für sie gilt jedoch rechtlich ein Bestandsschutz. Seit sie vom sächsischen Innenministerium 2013 aber auf zunehmende Buchstabenkombinationen mit nationalsozialistisch auslegbaren Bezügen aufmerksam gemacht wurde, lehnt die Zulassungsstelle des Landratsamtes solche umstrittenen Wunschkennzeichen jetzt generell wieder ab, bestätigt Landkreissprecherin Marina Michel.

Das sieht auch Philipp Kroschke so. Der Geschäftsführer eines Fahrzeugdienstleisters betreibt in Görlitz eine Präge-Filiale. „Aus moralisch-ethischen Gründen begrüßen wir Einschränkungen bei Kennzeichen-Kürzeln“, sagt er. Zwar treffe die Zulassungsstelle und nicht der Schilderpräger die Entscheidung, doch „fällt uns auf, dass ein Kennzeichen problematisch sein könnte, weisen wir den Kunden darauf hin.“

Die Kroschke GmbH ist zudem längst nicht mehr nur lokaler Schilderpräger vor Ort, sondern mittlerweile bundesweiter Zulassungsdienstleister und großer Online-Anbieter für den gesamten Prozess einer Fahrzeugzulassung. „Bei Reservierungen von Wunschkennzeichen beraten wir unsere Kunden entsprechend, so dass über uns sittenwidrige Kennzeichen möglichst gar nicht erst reserviert werden.“

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