Von Katja Schreiber
Marlene Schönherr aus Wehlen kann wieder Luft holen. Nach Tagen des Schuftens erledigen momentan Trockner die Arbeit für sie. Sie brummen im „Marktstübchen“, dem Eiscafé ihres Sohnes. Nur ab und zu muss sie das Wasser, das die Maschinen aus den Wänden saugen, ausleeren.
An der Elbe ist ein wenig Frieden eingekehrt. Enten schwimmen auf dem Fluss. Ein junger Mann sitzt auf dem Rasen, während sein Sohn am Ufer spielt. Die Sonne scheint zum Tagesende. Es ist Abendbrotzeit. Von einem Balkon des Hauses gegenüber dringt Besteckklappern zum Elbeparkplatz. Das Leben geht weiter. Aber die geborstenen Fenster im verlassenen Erdgeschoss sprechen Bände.
Es ist die berühmte Ruhe nach dem Sturm. Erst kam das Wasser, dann die Helfer. Emsig wurde entschlammt, gesäubert, geräumt. Jetzt ist das Zentrum wie ausgestorben – dort wo sonst Touristen flanieren. Kaum ein Mensch ist auf der Straße, doch alle Türen und Fenster der Häuser sind geöffnet.
Kerstin Stammwitz sammelt in ihrem Garten Steine auf. Der gesamte verfallene Pavillon des Nachbarn hatte sich über ihr Grundstück verteilt. Wie alles begann – sie kann sich kaum noch erinnern. „Ich bin nur froh, dass das Wasser weg ist“, sagt die 39-Jährige. Sie wurde mit ihrer Familie nach Dorf Wehlen evakuiert. Immer wieder sahen sie nach, wie hoch das Wasser stand. Die Tage bestanden aus Hoffen und Bangen: „Als das Erdgeschoss verloren war, bibberten wir, dass der erste Stock verschont bleibt.“
Neuaufbau mit Respekt vor dem Wasser
Im Erdgeschoss riecht es nach Keller – und es sieht auch so aus. Pure Betonwände und kein Fußboden mehr. In der Ecke stehen ein paar Gummistiefel. Die hübsche Deckenlampe, die Gardinenstange mit der Spitzenbordüre und der Fensterbogen aus buntem Glas über der Tür erinnern daran, wie schön es hier einmal war. Eine Geranie, die von der Decke der Veranda baumelt, steht in krassem Gegensatz zur verstaubten Rose am Boden.
Im Nachbarhaus in der Rosenstraße 14 steht die Tür offen. Drinnen endet eine Treppe im Nichts. Die Decke existiert nicht mehr, Wände fehlen und geben den Blick auf die Zimmer in der oberen Etage frei. Draußen an der Fassade rankt Wein, dessen Trauben unecht aussehen, so schön glänzen sie.
Ohnmacht überkam Kerstin Stammwitz, als sich die Elbe zurück zog. Doch auch da blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken. Es ging ans Aufräumen. Bis aus der Partnerstadt Wangen im Allgäu kamen die Helfer, um die Wehlener zu unterstützen. Deren Feuerwehr blieb eine Woche. Ein Konvoi des THW brachte Motorsägen, Notstromaggregate, Lebensmittel und Hygieneartikel. Familie Stammwitz kam schnell voran, und bald war Land in Sicht. „Zumindest wissen wir jetzt, was wir im nächsten halben Jahr zu machen haben.“ Sie schätzt jedoch, dass zwei bis drei Jahre vergehen, bis es wieder so schön sein wird wie vorher – oder noch schöner.
Frank Schönherr vom Eiscafé „Marktstübchen“ steckt schon wieder voller neuer Ideen und Tatendrang. Bereits seit Freitag gibt es bei ihm wieder Kaffee, Kuchen, Eis und Getränke. Richtig eröffnet wird allerdings erst Ostern. Ein Schaden von über 80 000 Euro muss behoben werden. Das Wasser stand bis zur Decke.
Auch Franks Mutter Marlene kann sich kaum noch erinnern, wann der Alptraum begann. „Wir hatten ein schönes, erfolgreiches Wochenende, das weiß ich noch.“ Auf dem Marktplatz hatte ein Konzert stattgefunden. Dann kam das Wasser. Sie beobachteten, wie es von beiden Seiten den Marktplatz hochkroch, sich schloss und immer dichter kam. „Wir haben geräumt und geräumt. Doch alles konnten wir nicht retten“, erinnert sie sich. Es war ein mulmiges Gefühl, als das Wasser über einen Meter hoch stand und ihr Sohn sagte: „Jetzt muss ich fluten, sonst gehen die Scheiben kaputt.“
Jetzt will Frank Schönherr einiges anders machen, falls wieder eine Flut kommt. Er will so bauen, dass der Laden in fünf Wochen wieder öffnen könnte. Zum Beispiel: Kein fest installierter Tresen mehr. Die Familie hofft, dass auch die Experten gelernt haben und nächstes Mal früher warnen.
Die 59-jährige Mutter Marlene ist ein wenig traurig. Auch ihr Sohn ist noch dabei, einen Kredit abzuzahlen: „Und wie jetzt alles aussieht.“ Auf der anderen Seite beruhigt sie die Energie ihres Sohnes: „Wir sind nicht am Boden zerstört, sondern werden damit fertig. Wir haben wieder Mut.“