Von Anna Hoben
Eine Geste sagt mehr als viele Worte: Nach zwei Stunden Diskussion nimmt Claudia Kaulfuß, die Geschäftsführerin des Karl-May-Museums, den amerikanischen Gast kurz beiseite. Die beiden umarmen sich, Kaulfuß übergibt Cecil Pavlat ein Geschenk: eine Uhr, die Villa Bärenfett ist hineingraviert. In dem Haus ist im Radebeuler Karl-May-Museum die Ausstellung über die amerikanischen Ureinwohner untergebracht. Pavlat, 61, hat Tränen in den Augen. Für ihn gibt es seit dem Wochenende allen Grund zu hoffen, dass der Streit zu einem versöhnlichen Abschluss kommt.

Cecil Pavlat gehört dem Sault-Sainte-Marie-Stamm der Ojibwe-Indianer im US-Bundesstaat Michigan an und ist dort als Rückführungsbeauftragter tätig. Im März hatte er einen Brief an das Karl-May-Museum geschrieben, in dem er einen Skalp zurückfordert, der möglicherweise von einem Angehörigen seines Volkes stammt. Der Umgang mit den Überresten seiner Vorfahren sei „respektlos, beleidigend und unverantwortlich“, schrieb er. Der Skalp solle in der Heimat bestattet werden. „Vielleicht klang der Brief aggressiv“, sagt Pavlat jetzt, „dafür entschuldige ich mich.“ Die Formulierungen hätten aber auch deutlich gemacht, wie ernst den Indianern die Sache ist. Es ist Sonnabend, die untergehende Sonne taucht den Hohen Stein beim Karl-May-Fest in ein schönes Licht, darunter sitzt Cecil Pavlat und spricht über Moral.
Die Stadt Radebeul hat diese Gesprächsrunde mit dem Titel „Indian Spirit“ möglich gemacht. Etwa 150 interessierte Besucher sind gekommen. Neben Pavlat diskutiert der Oneida-Häuptling Ray Halbritter. In der Runde sitzt auch der in Berlin lebende amerikanische Journalist Mark Worth, der die Angelegenheit mit dem Skalp überhaupt erst ins Rollen gebracht hat.
„Als ich gehört habe, dass das Karl-May-Museum Skalpe ausstellt, konnte ich es nicht glauben“, sagt er. „Das entspricht in keiner Weise unseren heutigen Wertvorstellungen und einer modernen Museumsarbeit“, sagt er. Also setzte er sich hin und schrieb Briefe, an Politiker und Botschafter. Er dachte, in wenigen Wochen sei die Sache erledigt. Schließlich gibt es eine Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker. „Indigene Völker haben das Recht auf die Rückführung ihrer sterblichen Überreste“, heißt es dort. Deutschland hat die Erklärung im Jahr 2007 unterschrieben. In den USA ist die Rückgabe sterblicher Überreste seit 1990 gängige Praxis. Und auch in Europa gibt es Präzedenzfälle: So hat etwa die Berliner Charité gerade Gebeine an Namibia, die ehemalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika, zurückgegeben, die vor mehr als hundert Jahren für sogenannte Rassenforschung verwendet worden waren.
Drei Pullen Schnaps und 100 Dollar
Doch es tat sich nichts – viereinhalb Jahre lang. Erst als Worth sich direkt an die Indianerstämme wandte und Cecil Pavlat sich im vergangenen März an das Museum, entstand eine öffentliche Aufmerksamkeit. Das Museum entfernte die Skalpe aus der Ausstellung, sie lagern jetzt im Depot. „Wir sehen die Skalpe als unser rechtmäßiges Eigentum an“, sagte Museums-Geschäftsführerin Claudia Kaulfuß damals. Denn der Indianerforscher und Artist Patty Frank, der erste Direktor des Karl-May-Museums, hatte den Ojibwe-Skalp im Jahr 1904 einem Dakota-Indianer abgekauft – für 100 Dollar und drei Flaschen Schnaps. So jedenfalls beschreibt er es in dem Text „Wie ich meinen ersten Skalp erwarb“, der 1929 im Karl-May-Jahrbuch erschien.
Den Museumsleuten reicht das als Nachweis jedoch nicht aus. „Genau wie Karl May war auch Patty Frank ein Geschichtenerzähler“, sagt der wissenschaftliche Assistent Robin Leipold. Ob die Geschichte wahr ist, soll nun geklärt werden – bis Ende des Jahres sollen Akten gesichtet werden, dann könnten wissenschaftliche Tests stattfinden. „Wir bestehen nicht darauf, den Skalp zu behalten, aber wir wollen wissen, wo er herkommt“, sagt Claudia Kaulfuß. In Zukunft wolle man bei der Konzeption von Ausstellungen außerdem mit den Indianern zusammenarbeiten.
Ein Hoffnungsschimmer für Cecil Pavlat. Die Reise nach Radebeul ist – mit Ausnahme von Kanada – seine erste Auslandsreise. Er sei von den Deutschen herzlich empfangen worden, sagt er. Als Optimist sei er zuversichtlich, dass sein Volk zurückbekomme, „was uns gehört“. Dass er zum Karl-May-Fest gekommen ist, dass dieser Austausch stattfindet, man kann das als einen historischen Moment bezeichnen.