Von Doreen Lehmann
Überall blaue Flecke. Thorn winkt lässig ab, das passiert eben. Kurz vorm Tor darf man nicht zimperlich sein: „Da muss man Power geben.“ Das sportliche Mädchen aus Bangkok hat mit den Kösters einen buchstäblichen Sechser im Gastfamilienlotto gelandet: Torben (12), Birte (15), Wiebke (17), Henning (19) und die Eltern Sigrun und Günter sind allesamt Handballer aus Leidenschaft. Seit September wohnt die junge Thailänderin bei ihnen in Großenhain.
Von Heimweh keine Spur
Derzeit ist die Stammformation allerdings etwas durcheinander gewirbelt. Wiebke ist in Texas, wo sie ein Jahr lang zur High School geht, und Henning leistet seinen Zivildienst in Peru. Dass es nicht zu ruhig wird im Kleinraschützer Haus am Hügel, dafür sorgt jetzt Thorn. Im Pass steht eigentlich Thalathon Sangtirasintob. Doch bevor sie in Deutschland aus dem Buchstabieren nicht mehr herauskommt, bleibt es für alle beim Spitznamen. Und die Heimat vermisst Thorn schon kein bisschen mehr: „Die Umstellung auf eine kleine Stadt wie Großenhain war also gar nicht so schwer“, sagt sie und zwirbelt an einer Haarsträhne.
Der allererste Schritt in die Selbstständigkeit führte auch gleich zum Friseur. Aus dem braven Glatthaarschnitt wurde ein fransiger Wildschopf. In Thailand wäre so viel Aufsässigkeit gleich vom Schuldirektor abgetadelt worden. Aber der ist weit weg, für ein Jahr hinter sich gelassen wie die biedere Schuluniform auch. Die kleine Thailänderin hat sich schnell eingelebt. „Sie ist ein ganz unkomplizierter, lieber Mensch, da haben wir zum zweiten Mal wohl wirklich Glück gehabt“, meint Mutter Sigrun. Den ersten Gastschüler, Paulo aus Brasilien, hatte die Familie vor zwei Jahren aufgenommen: „Damals wurde ein Kinderzimmer frei, Henning ging für ein Schuljahr nach Iowa, und da dachten wir: Mensch, warum eigentlich nicht auch jemanden aufnehmen“. Das mulmige Gefühl, ob es eine gute Entscheidung war, verflog im Nu: „Paulo war so lieb und anhänglich, er gehörte wie selbstverständlich in die Familie“, erzählt Sigrun Köster. Wie jetzt auch Thorn. Kösters wissen auch aus eigener Erfahrung, was es heißt, woanders ganz neu anzufangen. Nach der Wende kamen sie aus Steinfurt bei Münster nach Sachsen. Ehemann Günter hatte eine Stelle beim Amt für Landwirtschaft in Großenhain angenommen, und die Familie zog schnell nach. Eine gehörige Umstellung für die tief verwurzelten Ur-Westfalen: „Meine Frau und ich, wir sind beide aus dem gleichen Ort und haben unseren Familienstammbaum seit dem 16. Jahrhundert dort“, erzählt Günter Köster.
Vorurteile hatten sie keine, nur ihr erstes Haus in Cunnersdorf machte den Sprung ins kalte Wasser ein wenig abenteuerlich. Dort gab es keine Zentralheizung, geschweige denn ein Telefon. „Doch durch die Kirchgemeinde und den Sport bekamen wir schnell Kontakt und wurden heimisch“, sind sie heute froh. Die Arbeit als Tierärztin gab Mutter Sigrun auf. Sohn Torben wurde geboren, und Ehemann Günter brachte nach und nach Schwung ins Großenhainer Handballerleben. Fast der halbe Verein wohnt mittlerweile in ihrer Eigenheimsiedlung am Westzipfel Großenhains.
Die Woche der Kösters ist mit Training und Spielen fast restlos ausgebucht. Allein Leidenschaft Nr. 2 hat immer Platz: Die Musik. Mutter Sigrun singt und engagiert sich in der Kantorei, der Rest der Familie könnte glatt ein kleines Orchester abgeben. Trompete, Posaune, Tenorhorn, Klarinette, Klavier – jeder spielt begeistert ein Instrument: „Wenn alle üben, ist das bei uns schon mal wie in der Musikschule“, lacht Sigrun.
Mit Birte geht Thorn in den Gospelchor und – wenngleich mit einem Fünkchen weniger Enthusiasmus – in die 10. Klasse des Großenhainer Gymnasiums. Es ist die verflixte Mühe mit der deutschen Sprache: „Im Unterricht verstehe ich gar nichts“, gesteht sie. Als Thorn vor zwei Monaten ankam, konnte sie kaum ein Wort Deutsch. Bislang hangeln sich Kösters und ihr Gast noch mit einem bunten Sprachengemisch durch den Alltag. Aber eine sächsische Insidervokabel ist der jungen Thailänderin schon sehr geläufig: „Bemme!“
Nudelvorrat mitgebracht
Warum die Deutschen aber auch immer so viel Brot essen müssen?Vorsichtshalber hat sie sich gleich einen Vorrat Instant-Nudeln aus der Heimat mitgebracht. Richtig schön scharf mit Chili, so liebt sie es. Einzig die deutsche Bratwurst, ja die würde sie glatt nach Thailand schmuggeln: „Verdammt lecker“, lacht sie. „Das ist ja gerade das Schöne an diesem Austausch – wir können so viel erfahren über eine fremde Kultur, und unser Gast lernt bei uns das normale Familienleben in Deutschland kennen“, sagt Sigrun Köster. Gestern gab es noch eine Besonderheit: Thorn feierte ihren 18. Geburtstag. Den geheimen Wunsch ihres Gastes hat Familie Köster gern erfüllt: einen Original-Trainingsanzug des Großenhainer Handballvereins.