Verwurzelt in Sprache, Glauben und Tradition

Ein großer Festumzug erfreute die Rohner und ihre Gäste im September 2006. Er erinnerte an das 200-jährige Bestehen des Hanzo-Njepila-Hofes. Mittendrin stellte die Gesangsgruppe „Rowniske głosy“ (Rohner Stimmen) ein Bild dar. Es zeigte den sorbischen Brauch des Feldsingens „Pćezpolne spiwanje“. „Dieser Brauch war in Rohne bis 1955 lebendig. Um ihn authentisch vorzustellen, waren viele Vorarbeiten notwendig“, erzählt die Rohnerin Erika Petrick. Interessierte Frauen galt es für die Gruppe zu finden. Ebenso wichtig war das Zusammenstellen der Tracht der Feldsängerinnen. Sie besteht aus dem blaugrün plissiertem Rock, der blütenweißen Schürze und dem Sonnentuch, einem weißen Tuch mit Rosenmuster.
„Vertraue auf Gott“
Vor allem Erika Petrick und Rita Krautz suchten damals gezielt Mitglieder. Sie fanden interessierte Frauen aus Rohne, Trebendorf, Mulkwitz, Schleife, Bautzen und Cottbus. Fleißig erlernten die Frauen den für den Brauch des Feldsingens typischen Choral „Dowěr so Bogoju“ (Vertraue auf Gott). Die Hauptverantwortung für Inhalt und Gestaltung des Bildes lag bei Rosmarie Schenker (Roža Šenkarjowa). Die Rohnerin war Redakteurin und Moderatorin im Niedersorbischen Hörfunk. Als künstlerische Leiterin studierte sie damals Choreographie und Choral intensiv mit den Frauen ein. Eng verbunden war sie durch ihre Mutter mit dem Liedgut und Brauchtum der Struga-Dörfer. Diese war früher selbst Kantorka (Vorsängerin). Von ihr lernte Rosmarie Schenker viel. Später schrieb sie das Lied „Spiwanje pćez pola“ (Feldsingen). Seit Sommer 2006 übte Rosmarie Schenker mit den Frauen den Gesang ein. „Ohne sie gäbe es unsere Gruppe nicht“, unterstreicht Erika Petrick. „Das, was wir heute sind, verdanken wir ihr. Bis 2016 war sie unsere Kantorka und künstlerische Leiterin. Bis heute berät sie uns.“
Der Brauch des Feldsingens wurde im Festumzug 2006 mit seinen zwei Bestandteilen vorgestellt. Im religiösen, christlichen Teil beten die Frauen singend für eine gute Ernte. Sie bitten um Gottes Segen. Dabei singen sie den Choral „Dowěr so Bogoju“ (Vertraue auf Gott). Im weltlichen, fröhlichen Teil frühstücken sie im Wald. Junge Burschen gesellen sich hinzu. Sie necken die Mädchen und werben um sie. So zeigt sich, wer bald heiratet. Singend gehen die Mädchen zum Dorf zurück. Ihr Feldgesang endet mit einem Choral auf den Singebänken. „Unser Auftritt im Festumzug kam gut an“, erinnert sich Erika Petrick. „Dieser Erfolg – mit viel Fleiß und Engagement erarbeitet – und die Freude am gemeinsamen Singen ermutigten uns, als Gruppe weiter zu wirken.“
Acht Frauen gehören heute zum festen Kern. Älteste im Bund ist Emma Krahl. Die 88-jährige Rohnerin gehört von Anfang an dazu. Heute ist sie im Alltag die älteste noch verbliebene sorbische Trachtenträgerin im Ort. Als eine der wenigen kennt sie den Brauch des Feldsingens noch aus eigenem Erleben. Belebend für die Gruppe war von Anfang Ingrid Nagels Mitwirken. Die Cottbuserin, Schwester der Rohnerin Rosmarie Schenker, beherrscht noch das gutturale (Kehl-) Singen – den Rufgesang. Dieser ist für viele Lieder im Schleifer Sorbisch typisch. In der Vergangenheit führten kulturelle Auftritte Ingrid Nagel, die früher Lehrerin war, auf nahezu alle Kontinente. Die gebürtige Rohnerin schrieb auch zahlreiche Lieder.
Bereichernd für die heutige Gesangsgruppe Rohner Stimmen ist auch Dana Kavelmann. Durch ihre Jugend, ihren frischen Gesang, ihr Flötenspiel und ihre natürliche Ausstrahlung in der Tracht bereichert sie die Gruppe. Mutter Marita Kavelmann ist seit 2016 organisatorische Leiterin und Kantorka. Sie koordiniert und stimmt wichtige Termine ab. Als sichere Sängerin ist sie erfahren im Schleifer Gesang. Früher sang sie im Schulchor und im Sorbischen Folkloreensemble Schleife. Ihre gesamte Familie fühlt sich heute mit der Schleifer Folklore verbunden und unterstützt die Rohner Stimmen. Das reicht vom Transport bei Terminen bis hin zu szenischen Auftritten.
Umfangreich ist das religiöse Liedgut der Rohner Stimmen. Die Gesangsgruppe begleitet in Schleifer Sorbisch immer wieder Gottesdienste in der Kirche in Schleife, auf dem Hanzo-Njepila-Hof in Rohne und auf dem Hans-Schuster-Hof in Trebendorf. Regelmäßig singt sie zum Gottesdienst am Reformationstag an verschiedenen Orten im Schleifer Kirchspiel.
Stärkung und Erfrischung
Vielfältig ist auch das Liedgut in Verbindung mit der Brauchtumspflege. Die Rohner Stimmen singen am vierten Advent bei der Ankunft des Friedenslichtes im Ort. Im Januar widmet sich eines ihrer Lieder dem Schlachtfest auf dem Njepila-Hof. Die Gruppe singt ebenfalls zum jährlichen Ostereier-Markt in Schleife, zur Eröffnung von Ausstellungen im Sorbischen Kulturzentrum Schleife, zu Frühlingskonzerten und Herbstkonzerten und zur Kirmes. Zuverlässig unterstützen Werner Hanusch (am Keyboard) und Frank Hermasch (auf der Trompete) die Gruppe. „Vor allem die Frühlingskonzerte und Herbstkonzerte sind mit viel Aufwand und Mühe verbunden“, sagt Marita Kavelmann. „Meist dauert ein Programm gut 90 Minuten. Umso mehr berührt uns am Ende der Dank des Publikums. 2018 zum Beispiel, beim Herbstkonzert im Schloss Wurschen, kam spontan von den Zuhörern ein kraftvolles dreifaches «Sława, jim sława» («Ehre ihnen, Ehre!»). Das ist Ausdruck höchster Ehrerbietung.“
2019 fand erstmals auf dem Erlebnishof Krabatmühle Schwarzkollm ein sorbisches Herbstkonzert statt. Die Rohner Stimmen gestalteten das Programm. „Das war eine besondere Ehre“, erzählt Marita Kavelmann. „Niemand wusste, was auf uns zukommt. Der Beifall am Ende war höchster Lohn.“ Gerade in solchen Momenten wie in Wurschen und in Schwarzkollm kommen Menschen spontan auf die Gruppe zu. Sie ermutigen die Frauen zum Weitermachen, zu immer wieder neuen Auftritten. Für Marita Kavelmann und ihre Mitstreiterinnen ist das Anerkennung und Ansporn.
Jede der Frauen fühlt sich verwurzelt in Sprache, Glauben und Traditionen im Schleifer Kirchspiel. Das Singen, so sind sie sich einig, stärkt und erfrischt im Glauben. Das Singen belebt und bereichert den Alltag. „Rosmarie Schenker hat mich für das Schleifer Sorbisch und für die Singweise der Schleifer Lieder sensibilisiert“, meint Ruth Mrosk. Die heutige Bautzenerin stammt aus Trebendorf. Sie spricht Obersorbisch und Niedersorbisch. „Das Schleifer Sorbisch – als dritte Sprache – wurde mir in die Wiege gelegt. Zu Hause in Trebendorf wurde immer Sorbisch gesprochen, so dass ich die Sprache nie verlernte, aber sie nicht wertschätzte und sie in der Kindheit gar nicht anwenden wollte. Erst durch meine Schulzeit im Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus lernte ich, auf meine Wurzeln stolz zu sein. Ich identifizierte mich mit meiner Heimat. Bis heute fühle ich mich mit den Struga-Dörfern verbunden.“ Heute ist sie Mitglied in der Trebendorfer Domowina-Ortsgruppe und in der Gesangsgruppe Rohner Stimmen.
In früherer Zeit, so erläutert sie, schöpften die Feldsängerinnen aus dem Obersorbischen Evangelischen Gesangbuch. Seit 2007 hat die Gesangsgruppe Rohner Stimmen ein eigenes Gesangbuch. Darin sind 24 Schleifer Choräle und kirchliche Gesänge auf den Seiten 350 bis 374 verzeichnet. Rosmarie Schenker übertrug sie ins Schleifer Sorbisch. „Besonders gern singen wir den Choral „Pó tebi mam styskanje“ (Nach dir hab’ ich Sehnsucht, du mein Hirte, Jesus)“, unterstreicht Ruth Mrosk. „Das Lied stammt von Julius Eduard Wjelan, der von 1852 bis 1892 Pfarrer in Schleife war.“
Jeden Freitag ab 16.30 Uhr probt die Gesangsgruppe Rowniske głosy auf dem Njepila-Hof in Rohne. Neue Sängerinnen sind stets willkommen.
Kontakt: Marita Kavelmann (organistorische Leiterin), 1 035773 71111
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