Virus? Wir!

Von Uwe Salzbrenner
Manchmal passen Notfälle zusammen: Eine Dresdner Galerie, die wie alle Kunsträume schließen muss und deren Schaufensterfront ungeschützt der Sonne ausgesetzt ist. Und ein Wortkünstler und Performer aus dem Raum Stuttgart, der jetzt zu Hause sitzt — und es gewohnt ist, alle möglichen Flächen mit Schrift zu versehen: vor allem Wände und die Fenster von Läden und Wohnungen, aber auch die Frontscheibe eines Autos, einen asphaltierten Fußweg, Handschuhe, Jacken, einen Satz Fingerringe. Bruno Nagel, Jahrgang 1960, braucht für seinen Eingriff oft nur ein Stichwort, einen Slogan: Dorf, Nest, Weltempfänger, Error. Manchmal schiebt er Worte zusammen, ergänzt Buchstaben: Organregung, Darmundreich. „Du bist der Anfing“, schreibt er, „Aus dem Bauch Rausch“, „Beten auf eigene Gefahr“. Manchmal wiederholt er endlos Begriffe aus dem Schwäbischen auf wie Brettlesklinge und Gollenholz. Mit seinen Projekten zur Poetisierung des Alltags war Nagel bereits in verschiedenen europäischen Großstädten zu Gast. Er betreibt außerdem den Blog „Sprachbehausung“, auf dem man Beispiele seiner Kunst finden kann.
Die Galerie Ursula Walter, ein nichtkommerzieller Betrieb von Dresdner Künstlerinnen und Künstlern, hat Nagel bereits zweimal ausgestellt — im Mai 2015 solo und 2018 zur Schau der Handpressendrucke. Aufgrund der aktuellen Situation hat sie ihn eingeladen, eine seiner Schaufensterverklebungen mit Folie fürs Galeriefenster neu zu entwickeln. Mehrere Vorschläge Nagels zum Corona-Thema standen zur Debatte. „Wir|us“, diese Kombination des Deutschen und des Englischen erschien am Ende am treffendsten. Die Galerie übernahm die Produktion, für den Entwurf erhält Nagel ein Honorar. Weitere Aktionen zur Unterstützung von Künstlern hat die Galerie im Plan.
Die Galerie Ursula Walter Dresden befindet sich in Dresden am Neustädter Markt 10, in der Nähe des Goldenen Reiters.