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Vom Flügel an die Spargelkiste

Als sonst gefragter Künstler hat Holger Miersch derzeit kaum Einnahmen. Deshalb steht er für den Obsthof Ibisch auf dem Großenhainer Wochenmarkt.

Von Kathrin Krüger
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Holger Miersch ist Pianist, er tritt mit der Elbland Philharmonie auf und gastierte schon in vielen Ländern.
Holger Miersch ist Pianist, er tritt mit der Elbland Philharmonie auf und gastierte schon in vielen Ländern. © [email protected]

Großenhain. Es war der Moment, als ihm der Atem stockte. Mit blauem Mundschutz und Gummihandschuhen hantierte Holger Miersch als Mitarbeiter auf dem Großenhainer Wochenmarkt, als plötzlich Jürgen Becker vor ihm stand. Der Pianist aus Klipphausen ist mit dem Großenhainer ehemaligen Leiter des philharmonischen Kinderchores Dresden einst um die halbe Welt getourt. Jetzt trafen sie sich als Käufer und Verkäufer. Jürgen Becker erkannte den Pianisten auch hinter der Verhüllung.      

Doch weder setzte der eine eine Mitleids-Maske auf. Noch fühlte sich der andere wie die Prinzessin im Märchen vom König Drosselbart, die Töpfe auf dem Markt feilbieten soll. Corona hat die Prioritäten verschoben. Künstler sind nicht systemrelevant - wenn man ihre finanzielle Lage betrachtet. Holger Miersch ist Freiberufler, er will und muss Geld verdienen. "Jürgen Becker hat zwar erstaunt geguckt und mich nicht bedauert - aber unsere Tomatenpflanzen gefielen ihm dennoch nicht", lässt der Klipphausener durchblicken. 

Miersch ist froh, den Job beim Osthof Ibisch aus Blattersleben gefunden zu haben. Als die Corona-Beschränkungen begannen, ging es ihm noch gut. "Ich habe es anfangs genossen, viel Zeit für die Familie zu haben, in Garten und Schuppen arbeiten zu können", erzählt der  gebürtige Zwickauer. Doch dann häuften sich die Absagen und gehen jetzt schon "bis weit in den Herbst hinein". Fehlen dem Pianisten nach zwei Monaten schon rund 4.500 Euro Einnahmen, so wird es bald eine fünfstellige Summe sein. Holger Miersch wird derzeit weder von der Elbland-Philharmonie gebucht noch von der Dresdner Staatsoperette. Einzelauftritte gibt es auch nicht.     

Der Künstler ist jetzt Verkäufer auf dem Großenhainer Markt: Spargel und Tomatenpflanzen statt Dresdner Staatsoperette.
Der Künstler ist jetzt Verkäufer auf dem Großenhainer Markt: Spargel und Tomatenpflanzen statt Dresdner Staatsoperette. © privat

Der Künstler fühlte sich bald nutzlos, wie im Berufsverbot. "Keiner will mich hören, mir fiel die Decke auf den Kopf", beschreibt der 51-Jährige seinen Gemütszustand. Freilich habe er mit seinem neunjährigen Sohn Klavier geübt und mit ihm Fußball gespielt. Die 18-jährige Tochter habe er mit aufs Abitur vorbereitet. "Doch das ist kein wirklicher Trost für fehlende berufliche Bestätigung", gibt Holger Miersch zu. Er musste wieder etwas tun. 

Seine Idee war dann, sich beim Spargelstechen zu bewerben. Auch in Nieschütz an der Elbe brauchen sie doch sicher Leute, dachte er sich. Doch ihn brauchten sie nicht. So suchte er weiter. Und stieß im Internet auf die Mitarbeitersuche des Obsthofes. Seit drei Wochen ist er nun dienstags und donnerstags Aushilfe im Verkauf. 

Die Umstellung war anfangs sehr hart. Das betraf nicht nur das schwere Kistenschleppen, die teilweise schmutzigen Hände und das lange Stehen - mit dem Ergebnis abendlicher Rückenschmerzen. "Der Umgangston ist auch ein anderer wie unter uns Musikern", formuliert Holger Miersch vorsichtig. Aber die Chefin Birgit Herrmann sei nett. Und die Mitarbeiter hätten ihn gut aufgenommen. Er wäre zudem nicht der Einzige, der hier "gestrandet" ist.  Auch eine ausgebildete Kamerafrau aus Dresden müsse jetzt so ihr Geld verdienen, weil anderes nicht geht. 

Maske "brennt" sich ins Gesicht ein

Also ist da doch ein Gefühl, sich unter Wert zu verkaufen. Holger Miersch aber winkt ab. "Ich habe lange beim Kabarett gearbeitet, da bin ich schon Kummer gewöhnt", meint er spöttisch und muss lachen. Diese Auftritte hätten ihn abgehärtet. Seinen Humor verlor er nicht. Dass er ungelernt hier ungewohnte Arbeitet tut, helfe ihm nicht nur, finanziell um die Runden zu kommen. "Ich merke auch, wie schwer manche Menschen arbeiten müssen", so der Pianist. "Für relativ wenig Geld." Und dann noch mit Mundschutz. Der sich am Abend anfühlt, als habe er sich ins Gesicht eingebrannt. 

Was ihm jedoch noch mehr zu schaffen macht, ist die Planungs-Unsicherheit. "Die Gefahr, dass die Leute sich an die jetzige Situation gewöhnen und Live-Kultur für sie nicht mehr so wichtig ist." Das wäre für ihn das Aus. Holger Miersch spielt auch auf Jugendweihen und zu Hochzeiten. Die wurden jetzt meist in den Herbst verlegt. Der Pianist hofft auf dieses "Licht am Ende des Tunnels".  Denn auch Spargel-Verkaufen ist nur ein Saisongeschäft.

Doch während er nun zwei Tage um fünf Uhr morgens aufstehen muss und erst nach 18 Uhr zu Hause ist, hat die Dresdner Hochschule für Musik wieder ihren Betrieb aufgenommen. Hier ist Holger Miersch noch als Honorarlehrer tätig. Zwei Mal war er in diesem vertrauten Umfeld schon wieder im Einsatz. "Es läuft langsam an", sagt er zuversichtlich. Nun muss er noch mehr aufpassen, sich an den Gemüsekisten nicht die Finger zu quetschen.   

Tipp: Holger Miersch und Kathy Leen gastieren am 29. Mai um 20 Uhr im Comedy & Theaterclub Dresden, Hauptstraße 13, mit "Frivol als auch". Eintritt: 20 Euro  

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