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Vom Gauleiter-Betonpalast zum Parteibunker

Abstieg. Welche Mysterien birgt der alte Bunker von Sachsens Chefnazi Martin Mutschmann?

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Von Jörg Stock

„Hoffentlich passen die Dinger.“ André Kaiser bastelt Batterien in seine Taschenlampe, denn der Mutschmann-Bunker ist ein finstres Loch. Genauso finster wie die Zeit, aus der er stammt. Damals, Ende der 1930er Jahre, entdeckten die Nationalsozialisten das Schloss-areal von Grillenburg als Renommierobjekt. Allen voran Martin Mutschmann. Der sächsische Gauleiter, wegen seines selbstherrlichen Gebarens vom Volk als „König Mu“ gehänselt, beköstigte im Neuen Jägerhaus seine Getreuen. Tief unter dem Neorenaissance-Gemäuer baute man ihm noch einen Palast aus Beton. Hier sollte sich der „Landesjägermeister“ vor den feindlichen Bomben verstecken.

Die Batterien passen, und André Kaiser geht voran. Der Harthaer Ortsvorsteher kennt sich hier bestens aus. Als Zivi hat er 1993 das gesamte Haus inventarisiert, bevor es der Freistaat einkassierte. Jüngst kaufte es die Stadt Tharandt und machte so auch diese Exkursion möglich. Zum Bunkereingang geht es durch das grabeskalte Kellergewölbe. Eine Holzbohle stellt sich warnend quer. Doch wir tauchen furchtlos drunterweg und funzeln uns über verdreckte Treppenstufen und modrige Lumpen abwärts.

Als erstes kommt hinter der ehemals gasdichten Blechtür ein voluminöser Zylinder in Sicht, der schräg auf den Treppenstufen liegt. „Die Wasserzisterne“, klärt Kaiser auf. Das Schlossgelände hat seinen eigenen Hochbehälter, und von dort führt eine Leitung in diesen Riesenkübel. Laut Typenschild fasst er 1 500 Liter. Gebaut wurde er aber nicht zu Mutschmanns Zeiten, sondern erst 1961.

Auch die DDR brauchte Luftschutzräume und renovierte die NS-Hinterlassenschaft. Wer hier unterkommen sollte? Kaiser ist unsicher. Wohl nicht die Verfolgten des Nazi-Regimes, die bis zur Wende im Neuen Jägerhaus logierten. Charlotte Junghans, lange Buchhalterin im Kurheim, hatte niemals einen Schlüssel zur Unterwelt. „Alles war immer sehr geheim“, sagt sie. André Kaiser vermutet, dass hier im Ernstfall SED-Funktionäre eingezogen wären. Denn der ursprüngliche Parteibunker hinterm Gasthaus „Waldhof“ sei schon 1956 nach Pfusch beim Bau abgesoffen.

Am Wasserfass vorbei geht es in den eigentlichen Bunker. Doch der Lichtfinger greift ins Leere. Die Wände sind kahl, Einrichtung Fehlanzeige. Dafür Feuchtigkeit allenthalben. Abertausende Wassertropfen glitzern von der Decke und warten darauf, dem seltenen Gast in den Kragen zu springen. Sorgsam verlegte Kabel streben hin und her, Lichtschalter reizen zum Drücken. Doch nichts passiert, alles ist tot.

Immerhin scheint die Lüftungsanlage noch gut erhalten. Ein bulliger Apparat sollte hier für frischen Wind sorgen. Die Filter liegen griffbereit, allein, der Stromerzeuger fehlt. Wäre er hier, könnte sogar der kleine Boiler eine warme Dusche zubereiten – gruseliger Luxus in klaustrophobischer Enge. Wir kehren um. Ach ja! Und was wurde eigentlich aus „König Mu“? Genaues weiß man nicht. Er soll 1950 im Moskauer Geheimdienstgefängnis gestorben sein. Der Betonpalast hat ihm jedenfalls nichts genützt.