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Vom Raser zum Sonntagsfahrer

Klaus-Dieter Schulze fuhr in der Rallye-Nationalmannschaft der DDR und war auch als Reifentest-Fahrer flott unterwegs.

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© hübschmann

Von Nadja Laske

Cruisen beginnt im Kopf. Mal einen Gang runterzuschalten und gemütlich über Land zu tuckern, ist eine Frage der Einstellung. Mit Anfang 60 war sie bei Klaus-Dieter Schulze gereift. Da kaufte sich der ehemalige Reifen-Testfahrer einen Chevrolet Caprice Classic – lackschwarz mit weißen Ledersitzen. Zwei Meter breit und 5,62 Meter lang. Ein US-Straßenkreuzer zum Sonntagsfahren, mit 220 PS unter der Haube. Die braucht der Cruiser nicht unbedingt. Aber sie stehen ihm gut.

Klaus-Dieter Schulze und seine Frau Christine verlegen sich aufs Cruisen. Ein bisschen Nervenkitzel gönnt sich der frühere Testfahrer trotzdem noch regelmäßig bei Rallyes. Statt in einen Sport-Lada steigt er dafür jedoch in seinen Chevrolet Caprice Classi
Klaus-Dieter Schulze und seine Frau Christine verlegen sich aufs Cruisen. Ein bisschen Nervenkitzel gönnt sich der frühere Testfahrer trotzdem noch regelmäßig bei Rallyes. Statt in einen Sport-Lada steigt er dafür jedoch in seinen Chevrolet Caprice Classi

„Fast mein ganzes Leben lang bin ich gerast“, sagt Klaus-Dieter Schulze. Inzwischen ist er 70 Jahre alt. Die Ruhe hat er trotzdem nicht immer weg. Sein rasanter Beruf im Reifenwerk Riesa endete zwar in den Nachwendejahren. Vom Testwagen stieg er in die eher statische Zentrale eines hochtechnologischen Reifenprüfstandes um. Doch ein sehr mobiles Hobby hat er sich erhalten. Lange Zeit war es eine Art Zweit-Job: Klaus-Dieter Schulze gehörte der Rallye-Nationalmannschaft der DDR an und fuhr Wettkämpfe in fast allen sozialistischen Ländern. Sechsmal wurde er Vize-Meister und gewann 1986 den DDR-Meistertitel. Rallyes fährt er bis heute mit Leidenschaft. Doch die nächste Route führt ins Dresdner Ostragehege zur US-Car Convention. Dort geht es weder um Koordinaten noch um Zeiten.

In der Garage seines Hauses erinnern Wände voller Metallschilder an die Touren seines Lebens. Das älteste stammt von 1971: „Meisterschaft der SDAG Wismut – 25 Jahre“ steht darauf. Insgesamt 182 lange und kürzere, erfolgreiche und vermasselte, hitzige und bitterkalte Rennen ist Schulze nach jener Rallye zu Ehren der uranfördernden Sowjetischen Aktiengesellschaft gefahren, 40 davon im Ausland. „Am härtesten waren die im russischen Winter“, erinnert er sich. Bei minus 18 Grad ging es 2 800 Kilometer weit durch Schnee und Eis. Bloß nicht stehen bleiben! Nur keine Panne haben. Der Frost wäre eine Tortur geworden. Und natürlich ging etwas kaputt: Das Öl – schier unmöglich – gefror in den Stoßdämpfern, und die ganze Vorderachse riss aus der Verankerung. „Aber wir sind ins Ziel gekommen“, sagt Schulze stolz und lacht bei der Erinnerung, wie Techniker mit Zaunlatten und Klebeband Fahrgestell und Karosse wieder miteinander verbanden. Improvisation war alles.

Seine längste Rallye ging von Berlin aus 3 200 Kilometer weit. Kalt war sie nicht, forderte aber über eine solch große Distanz extreme Konzentration und Kondition. Verwegene Fahrer, die sich täglich den Traum von der großen Freiheit erfüllen können, so stellten sich die Leute daheim die Motorsportler vor. Wie viel Arbeit und Anstrengung dahintersteckt, ahnten wenige. Einen Rallye- und Testfahrer zum Mann zu haben, brachte Karl-Dieter Schulzes Frau Christine einerseits Bewunderung, andererseits skeptische Bemerkungen ein: „Er fährt lustig in der Weltgeschichte umher, und du sitzt mit den kleinen Kindern zu Hause!“ Bis zu vier Wochen am Stück blieb ihr Mann für Wettkämpfe fort. „Wirklich Angst habe ich nie gehabt, aber ein wenig besorgt war ich schon“, sagt die 66-Jährige. Zumal man ja damals nicht einfach eine Nachricht schicken oder telefonieren konnte. „Doch ich habe immer fest an sein Können geglaubt.“

Ernsthaft verletzt hat sich Klaus-Dieter Schulze trotz etlicher Unfälle nie. „Einmal haben die Veranstalter einer Rallye unerwartet Schotter streuen lassen. Wir sind aus der Kurve in den Wald geflogen, die Böschung runter, bis uns der vierte Baum aufgefangen hat“, erzählt er. Und als ob das noch nicht reichte, wurden zwei folgende Autos ebenfalls aus der Kurve getragen und krachten auf seinen Lada. Doch der Schutzengel war wachsam.

Bevor sein Nationalteam auf Lada umstieg, fuhr Schulze Trabant und Wartburg. Letzteren mit unglaublichen 100 PS. Ab Werk hatte ein Wartburg 353 gerade mal die Hälfte Pferdestärken. Tüftelnde Techniker leisteten ganze Arbeit und tunten später auch den Lada von ursprünglich 78 PS auf 120 PS. „Ausgekratzt“ wurden die Autos, erklärt der Pilot von einst. Alle unnötige Ausstattung musste raus, damit der Rennwagen möglichst wenig wog. Ohne jede Innenverkleidung war es deshalb während der Fahrt ohrenbetäubend laut. „Zum Glück trugen wir Helme, die haben auch die Ohren geschützt.“ Um die Wagen siegverdächtig umzuschrauben, brauchte es Tricks und Kniffe. Vieles „Marke Eigenbau“. Anderes ging nur mit Westgeld. Gasdruckstoßdämpfer und Vergaser orderten Schulze und seine Teamkollegen jenseits der Grenze. Auch große Scheinwerfer und Schalensitze waren in der DDR nicht zu haben, erzählt er. „Devisen durften wir nicht bekommen, da mussten wir uns schon selbst was einfallen lassen.“ Auf Kraft und Geschwindigkeit kam es jedoch nicht immer an, wenn sich der Profifahrer ans Steuer setzte.

Bei seiner Arbeit im Riesaer Reifenwerk ging es um Abrieb und Bremsverhalten. Für Reifentestfahrten war Klaus-Dieter Schulze tags und auch nachts unterwegs, schaltete auf dem betriebseigenen Testgelände und auf ganz normalen Straßen der Umgebung die Gänge hoch und runter. „Begeistert waren die Anwohner nicht, wenn wir in der Nacht vorbeirasten“, erinnert er sich. Sogar über Geschwindigkeitsbegrenzungen setzte er sich Kraft seines Berufes hinweg. Dafür gab es eine extra Genehmigung. „Aber das funktionierte nur bis zur Wende, nach bundesdeutschem Recht ging das nicht.“ Elf Testfahrer hatte das Werk. Die arbeiteten im Drei-Schicht-System und waren mit insgesamt 40 Testfahrzeugen unterwegs. „Auf 60 Kilometer pro Stunde beschleunigen und Vollbremsung, auf 80 beschleunigen und Vollbremsung, auf 100 beschleunigen und Vollbremsung – wenn man das sieben Stunden lang gemacht hat, weiß man nicht mehr so genau, wo sich welches Organ befindet“, sagt Schulze. Diese Bremstests fuhr er bei trockenem Wetter, bei Regen und Schnee für Räder aus der hauseigenen Produktion. Vergleichsweise zogen die Techniker jedoch auch Reifen von Continental oder Modelle aus sowjetischer Herstellung auf.

Treff auf der US-Car Convention

Schon als Kind hat Klaus-Dieter Schulze für Autos gebrannt. In die ganze Welt schickte er Briefe an Hersteller mit der Bitte um Prospekte. So sammelte er Werbematerial von Marken, die im Trabanten-Land nur in Träumen vorkamen. Nach der Schule wurde er zunächst Autoschlosser, wohl wissend, dass das eine Voraussetzung war, um später als Testfahrer zu arbeiten.

Ein halbes Jahrhundert später hat der Bleifuß ausgedient. Seit sieben Jahren gehören Schulze und seine Frau zu den „Sundaycruisern“ – einer Fangemeinde schöner großer US-Cars. Mit ihr trifft sich das Paar regelmäßig und nun auch in der Flutrinne, wo die Fahrer von rund 1 000 amerikanischen Autos, Trucks, Bussen und Motorrädern aller Baujahre zusammenkommen und 15 000 Besucher angekündigt sind.

Zwei Jahre nachdem Klaus-Dieter Schulze den Chevrolet Caprice gekauft hatte, ergab sich ein weiterer Glücksgriff: ein Chevrolet Camaro, Baujahr LT 350, Baujahr 1973, mit 180 PS. Das Coupé mit Venyldach lässt er gern aus der Garage rollen, um damit die Zeitung an der Tankstelle gleich nebenan kaufen zu fahren – und dafür eine Stunde unterwegs zu sein.

US-Car Convention: Flutrinne Ostragehege, Freitag, 16 bis 24 Uhr; Sonnabend, 10 bis 24 Uhr; Sonntag, 10 bis 15 Uhr; Karten an der Tageskasse: Tagesticket 8 Euro; Wochenendticket 12 Euro; Kinder unter 12 Jahren kostenlos

www.us-car-convention.de