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Vom Tharandter Wald auf den Dresdner Weihnachtsmarkt

Gestern Morgen stand die 80Jahre alte Fichte noch am Straßenrand im Forst bei Freital – nach langer Reise ist sie nun Blickfang des 573.Striezelmarkts.

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Von Doreen Hübler

Das Leben der Fichte endet im Straßengraben. Kurz und schmerzlos, ein leises Knacken, dann ist alles vorbei. Holger Baumann beobachtet das mit verschränkten Armen. Es ist sein Baum. Nun ja, fast. Die Fichte steht in seinem Hoheitsgebiet, im Forstrevier Grillenburg, an einer Landstraße hinter dem Ortsausgangsschild von Hartha. Ein bewegtes Fleckchen, ständig saust und braust es, Auto-Schlangen und Lkw-Kolonnen zischen vorbei. Und trotzdem, solch einen Trubel wie heute habe die Fichte noch nie erlebt, sagt Baumann. So viele Menschen – und alle stehen im Wald ihretwegen, dem Schmuckstück des Dresdner Striezelmarkts.

Entscheidung vor vier Wochen

Man muss Frühaufsteher und schlechtwettermutig sein, um die letzten Stunden der Grillenburger Fichte zu erleben. Um halb acht fädelt sich bei Nieselregen und gefühlt-frostigen Temperaturen ein Fahrzeug nach dem anderen auf einem Parkplatz für Wanderer ein. Holzfäller, Transportunternehmen, ungefähr 15 Menschen sind es, die das Nadelholz auf seiner großen Reise zum Dresdner Ferdinandplatz umsorgen und begleiten.

Vor vier Wochen hat Holger Baumann erfahren, dass die Wahl der Organisatoren auf einen Baum aus seinem Revier gefallen ist. Wie schon einige Male zuvor. Nur 2006 nicht, da wurde das Adventsgewächs in der Dresdner Heide gefällt. Er schaut zu, wie ein Kran neben der Fichte einparkt. Ein bisschen wehmütig sei ihm zumute. „Eigentlich ist es ja nichts Besonderes, hier werden jedes Jahr Tausende Bäume abgeholzt“, sagt er. Aber er habe sich eben an diesen einen gewöhnt, daran, dass er hier am Straßenrand an der kleinen Steinmauer steht. „Noch kannste’s dir überlegen“, sagt einer der Holzfäller und klopft ihm auf die Schulter. Holger Baumann schüttelt den Kopf. Es geht los. Andreas Deppner überprüft sein Klettergeschirr. Ein Kran zieht ihn in die Höhe, dort befestigt er einen Haken im Wipfel des Baumes – damit der Sturz gelenkt werden kann. Seit neun Jahren ist der ausgebildete Baumpfleger verantwortlich für die Weihnachtsfichte, er fällt sie und überwacht den Transport nach Dresden. Ein Mann der wenigen Worte. Vor allem kurz vor dem Ereignis.

Ein Blick auf die Jahresringe

Wieder zurück auf dem Erdboden, wirft Deppner seine Motorsäge an, schneidet erst einen dicken Keil aus dem Stamm und durchtrennt ihn dann vollständig. Konzentration. Haben alle Menschen genug Sicherheitsabstand? Alles gut. Die Fichte landet perfekt. „Knapp 80Jahre ist sie alt“, sagt Förster Baumann nach einem Blick auf den Stumpf, auf die verschlungenen Ringe darauf. Nun ist Andreas Meißner an der Reihe. Gerade saß er noch in der mollig warmen Kabine seines Transporters, hat Zeitung gelesen und gedöst, nun dirigiert er den Baum mit einem Greifarm auf die Ladefläche. Mit Frachten dieser Art habe er es oft zu tun, dieser Transport sei trotzdem einmalig. Auch, weil besondere Sorgfalt notwendig ist. Was, wenn die Spitze des Baumes während der Fahrt abbricht? Undenkbar. Eskortiert von zwei Polizeiwagen geht es nach Dresden. Mit Tempo50, Blaulicht und ohne Rücksicht auf rote Ampeln. Über Tharandt, Freital, vorbei am Nürnberger Ei bis zum Ferdinandplatz – dem Zielpunkt. Drei Männer sind nötig, um die Fichte in Position zu bringen. Dann endlich, kurz vor zwölf, hat sie einen sicheren Stand auf dem 573.Striezelmarkt.