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Von der Drehscheibe zum Satelliten

Einst leistungsfähig und hochmodern: Der Güterbahnhof Dresden-Friedrichstadt ging vor 125 Jahren in Betrieb.

Von Ralf Hübner
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Das Foto zeigt den Güterbahnhof im Jahr 1895
Das Foto zeigt den Güterbahnhof im Jahr 1895 © Archiv Verkehrsmuseum

Die besten Jahre hat er womöglich hinter sich. Der vor 125 Jahren am 1. Mai 1894 eröffnete Rangierbahnhof in Friedrichstadt war einst eine der modernsten Anlagen ihrer Art in Deutschland. Jetzt hat er für den Güterverkehr kaum noch Bedeutung.

Als Dresden zwischen 1870 und 1900 zur Großstadt heranwuchs, erwies sich das Eisenbahnnetz im Personen- und Güterverkehr als zu eng. 1885 hatte die Stadt mehr als 245.500 Einwohner und viele neue Industriebetriebe. Der Eisenbahn- und der Autoverkehr kamen sich zunehmend in die Quere. Deshalb wurden die Bahnanlagen zwischen 1892 und 1902 neu geordnet. Die Bahntrasse wurde auf einen Damm gelegt und unter anderem der Personen- und Güterverkehr getrennt. Auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Bahnhofes, der nicht mehr gebraucht wurde, entstand ein Güter- und Rangierbahnhof.

Ein Blick von oben auf den Rangierbahnhof Dresden-Friedrichstadt. 
Ein Blick von oben auf den Rangierbahnhof Dresden-Friedrichstadt.  © SZ/Gunter Hübner

Für den Bau von Gefällebahnhöfen gab es in Deutschland kaum Erfahrungen. So diente vor allem der englische Bahnhof Edge Hill bei Liverpool als Vorbild. Die Waggons sollten von einem Rangierberg auf die richtigen Gleise rollen und dort durch Handspindelbremsen oder Bremspfähle aufgehalten werden. Mit diesem Verfahren konnten, verglichen mit dem Abstoßverfahren auf ebener Strecke, Waggons etwa doppelt so schnell rangiert werden.

Die Erdmassen für den 17 Meter hohen Ablaufberg waren beim Bau des Elbhafens sowie dem Ausbaggern des neuen Flussbettes für die Weißeritz angefallen und mit Feldbahnen zur Baustelle transportiert worden. Doch der Bahnhof erfüllte anfangs nicht ganz die Erwartungen. So berichtete die Betriebsoberinspektion schon am 10. Mai 1894, dass täglich nur etwa 3 400 Achsen vom Hang abliefen, 3 700 müssten es aber sein. Einer der Gründe war, dass die Rangierer bei der Arbeit mit dem Bremspfahl oder Bremsbalken noch etwas zaghaft zu Werke gingen. Diese musste unter dem Wagen durchgesteckt und dann kräftig gegen den Radkranz gepresst werden, um die Wagen zu stoppen. Das war nicht ungefährlich. Der Hemmschuh als Arbeitsmittel war noch nicht erfunden.

Nach dem Ersten Weltkrieg erwies sich die Kapazität des Friedrichstädter Bahnhofes als zu niedrig. Dessen Überlastung störte den Fahrverkehr und verursachte immer wieder Zugverspätungen. 1929 und 1930 wurde der Bahnhof deshalb gründlich saniert. Neue Gleise wurden angelegt und die damals modernste Rangier- und Stellwerkstechnik wie Wirbelstrombremsen und Hemmschuhgleisbremsen installiert. Eine Seilzuganlage ersetzte die Rangierloks. Die Leistungsfähigkeit des Bahnhofs stieg um rund ein Drittel.

Während des Zweiten Weltkrieges war der Bahnhof immer wieder Ziel von Luftangriffen und wurde schwer zerstört. Schon im Juli 1945 konnte auf den ersten Gleisen der Betrieb wieder aufgenommen werden, 1947 rollten die ersten Waggons vom wieder hergestellten Ablaufberg. 1959 wurden weitere Gleise angelegt und die Anlage damit erweitert, 1964 der Zugbetrieb elektrifiziert und von 1970 bis 1981 die Arbeitsabläufe teilweise automatisiert, der Ablaufberg war erneuert worden. Friedrichstadt war damals der leistungsfähigste Rangierbahnhof in der DDR.

Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 verlagerte sich der Güterverkehr zunehmend auf die Straße. Zudem mussten viele Industriebetriebe schließen, die Warenmenge schrumpfte auf rund ein Drittel verglichen mit 1989. Rangierpausen an Wochenenden oder am Vormittag kamen nun öfter vor. Zwischen 1994 und 2004 war der Bahnhof Ausgangspunkt der „Rollenden Landstraße“ von Dresden ins tschechische Lovosice (Lobositz) zur Entlastung der Bundesstraße 170. Auch ein Güterverkehrszentrum auf dem Gelände des benachtbarten ehemaligen Reichsbahn-Ausbesserungswerkes (RAW) sowie eine Anlage zur Abfertigung des kombinierten Güterverkehrs, für den Umschlag von Containern oder Sattelanhängern, mochten jedoch den Bedeutungsverlust des Bahnhofs nicht aufzuhalten.

Seit im vergangenen Jahr der neue Güterbahnhof Halle-Nord in Betrieb gegangen ist, werden dort für den Osten die Züge zusammengestellt. Schon lange zuvor war Friedrichstadt zum „Satelliten mit Rangiermitteln“ geschrumpft, wie es im Bahnjargon heißt.