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Von der Genossenschaft zum Markt

Ein Großhändler vom Main stieg 1990 in den DDR-Handel ein. Mainmetall in Bretnig-Hauswalde ist nun seit 25 Jahren auch an der Röder.

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© René Plaul

Reiner Hanke

Eng gedrängt schoben sich im April 1990 neugierige Menschen durch einen kleinen Ausstellungsraum bei der Einkaufs- und Liefergenossenschaft für das metallverarbeitende Handwerk (ELG) im Kreis Bischofswerda. Mancher mit glänzenden Augen und staunend wie vor den Schätzen im Grünen Gewölbe. Denn irgendwie ging es ja um Schätze, die zu DDR-Zeiten, in Zeiten der Mangelwirtschaft nur schwer zu haben waren. Dazu zählte ohnehin jegliches Baumaterial, ebenso wie Sanitärtechnik. Und was in dieser Ausstellung in einem grauen Gebäude mit bröckelnder Fassade funkelte, waren zum Beispiel verchromte Wasserhähne und Armaturen. Die kannten gelernte DDR-Bürger bisher nur aus Filmen über das Leben der DDR-Führung in Wandlitz. Nun konnten die glänzenden Teile auch bei der Einkaufs- und Liefergenossenschaft, damals noch in Bischofwerda, besichtigt werden. Heute als Mainmetall in Bretnig-Hauswalde bekannt. In den früheren Genossenschaftsräumen befindet sich jetzt der Eastclub.

„Die Sanitärtechnik war aber nur zum Besichtigen“, weiß Horst Markert noch genau. Er war damals Lagerchef und ist inzwischen seit 16 Jahren im Ruhestand. „Wir haben Anfang 1990 beizeiten geschaut, wie wir uns neu orientieren können. Es mangelte ja an allem. Egal ob an Badewannen oder Waschbecken. Blaue Becken waren damals der Renner. Wasserhähne fürs Bad gab’s aber oft nur aus Plaste, Dachrinnen aus Kupfer nur für Kirchen.“ Für den normalen DDR-Bürger gab es nicht mal Zink, sondern nur verzinktes Blech mit geringer Haltbarkeit. Oft habe die ELG minderwertige Ware gekauft: „Wir waren froh, überhaupt was zu kriegen.“

Das sollte sich aber im Frühjahr 1990 ändern. Also wurde flugs der Schauraum eingerichtet: „Die Fliesen dafür musste ich bis aus Zittau holen“, so Markert. Zugleich knüpfte die ELG erste Kontakte nach Westdeutschland, zu Mainmetall, einem Großhändler aus dem bayerischen Bürgstadt. Wie vieles in Wendezeiten abenteuerlich war, so auch der erste Kontakt zwischen der Genossenschaft und den Mainmetallern. Das ging über Verwandte und Bekannte. Dabei mischte sogar ein Wirt der früheren Großröhrsdorfer Bahnhofsgaststätte als Vermittler mit. Außerdem kam der Mainmetall-Gründer selbst aus dem Osten. So hatte Mainmetall einen Bezug zur DDR. Im Frühjahr 1990 kam es zu ersten Kontakten und Kopfschütteln über die Mangelwirtschaft hier. Die sorgte bei den heutigen Mainmetall-Chefs Andreas und Thomas Leeger für manchen verständnislosen Blick. Horst Markert: „Es war schwierig, viele Wünsche zu erfüllen, zum Beispiel waren Metallbohrer, Bohrmaschinen und andere Werkzeuge knapp.“

Wie für viele Dinge gab es dann Kontingente: „Was bitte ist das?“, fragten die Mainmetaller. Ein Kontingent, also eine bestimmte Menge, wurde im Rat des Kreises festgelegt und verteilt. – Aber dann rollten 1990 die ersten Laster aus dem Westen an, immer Ende der Woche. „Die Leute warteten dann schon auf die begehrten Waren. Wie sie kamen, wurden sie vom Laster verteilt.“ Alles auf Kredit und Treu und Glauben. Bezahlt wurde erst nach der Währungsunion am 1. Juli 1990. Dann begann der Bauboom. Der Nachholbedarf war riesig. Da reichte Horst Markerts Lager bei der ELG schnell nicht mehr. Aber er erinnert sich natürlich noch gut daran: Maximal zwei Meter hoch waren die Regale mit Sperrholzböden oder aus Blech. Rund 1 000 Artikel waren dort gelagert: „Die hatte ich im Kopf und wusste, wo welches Teil liegt.“ Bei 36 000 Artikeln heute wäre das unmöglich.

Holzleitern gibt es auch nicht mehr. Heute steuert Lagerleiter Uwe Nitzsche einen Bedienlift zwischen den Reihen im Hochregallager. Über acht Meter ragen die Regale hinauf und sind 30 Meter lang. Alle Artikel werden im Computer erfasst, haben eine Nummer und einen ganz genau verzeichneten Platz: Ein Wannengriff wird verlangt! Dann genügt ein leichter Druck aufs Steuerhebelchen und Uwe Nitzsche saust mit dem Lift schräg über die Regalwand. Das Produkt kommt in einen Plastikbehälter. Den stellt der Lagerleiter auf ein Förderband und ab geht’s zur Verpackung: „Früher sind wir halt mit dem Lieferschein und der Leiter losgezogen“, sagt Uwe Nitzsche, auch schon seit 25 Jahren im Unternehmen. Eine Mitarbeiterin tippte damals die Bestellungen mit der Schreibmaschine. Jetzt sitzen allein in Bretnig elf Kundenbetreuer mit Headset am Computer in verglasten Büros. Die Daten werden übers Netzwerk zum Lager übertragen. Früher fragten Handwerker: „Wie viele Wasserhähne können wir kriegen?“ Heute sagen wir: „Wie viele wollt ihr haben?“

Noch 1990 zog der Großhändler nach Großröhrsdorf und unterhielt dort in alten Fabrikgebäuden bis zu sechs Lager. Erst 1995 wurden im Neubau im Bretniger Gewerbegebiet die Geschäfte konzentriert. An die Anfangszeit in Großröhrsdorf kann sich auch der heutige Verkaufsleiter Dirk Hartmann noch gut erinnern. An feuchte Lagerkeller mit Fröschen und Mobiltelefonen so groß wie eine Autobatterie. Er war damals Lehrling und will nicht verschweigen, dass nach den Boom-Jahren auch schwierige Zeiten zu bewältigen waren. Jetzt hat sich die Mitarbeiterzahl mit der Außenstelle Dresden bei 95 eingependelt. Nicht jedes Unternehmen im Osten fuhr letztlich gut mit einem Partner im Westen. Dirk Hartmann sagt aber: „Mainmetall war ein Glücksgriff und unser Unternehmen hier ist eine Erfolgsgeschichte.“