Von der Stahlstadt ins Weindorf

Riesa. Riesa ist das nicht, das lässt sich auf den ersten Blick sehen. Auf einem sanften Hügel reihen sich Weinstock an Weinstock. Dazwischen hat es sich ein Paar barfuß auf bunten Sesseln bequem gemacht, gleich zwei Körbe mit Weinflaschen neben sich. Der gebürtige Riesaer Torsten Proschwitz hat sich in Rheinhessen mit seiner Partnerin Ina-Johanna Becker seinen Traum erfüllt: einen eigenen Wein in Flaschen abzufüllen.
Anlass ist das Wendejubiläum: Die Mauer steht zwar schon seit 30 Jahren nicht mehr, in vielen Köpfen würde es aber noch Vorurteile geben. Deshalb will das Ost-West-Paar – Ina-Johanna Becker stammt aus Rheinland-Pfalz – mit einem gemeinsamen Riesling zeigen, dass es keine Mauer mehr gibt, auch nicht in den Köpfen.
Bis dahin war es für den gebürtigen Riesaer allerdings ein Weg mit einigen Umwegen. „Ich bin in Riesa geboren und aufgewachsen“, erzählt der Winzer, der beim Mauerfall noch ein Kleinkind war. Sein Abitur machte er am damaligen Ardenne-Gymnasium, um als 18-Jähriger an die TU Ilmenau zu wechseln. „Dort fing ich ein Studium der Medientechnologie an, das hat mir allerdings nicht gefallen.“ Statt mit digitalen Medien wollte sich der Riesaer lieber mit guten Getränken beschäftigen – und machte in Leipzig in einem Hotel eine Lehre im Restaurant. „Ich wollte von Riesa in eine Großstadt ziehen. Und mein Bruder wohnte ohnehin schon in Leipzig.“
Später wechselte der gebürtige Stahlstädter in die Schweiz, um im Züricher Hilton ein Jahr als Barkeeper zu arbeiten. Dabei allerdings machte Torsten Proschwitz eine Erfahrung, die fast jeder Wirt und Koch in der Branche kennt: „Die Arbeitszeiten in der Gastronomie sind sozial unverträglich.“
Einen Beruf mit geschmackvollen Getränken allerdings wollte Proschwitz behalten. Da lag ein Studium der Lehre vom Weinbau nahe, in der Fachsprache Önologie genannt. Und dafür ist bundesweit die Kleinstadt Geisenheim im Rheingau bekannt, die sich für den Exil-Riesaer als entscheidend für den weiteren Lebenslauf erweisen sollte.
Denn beim Studium in Geisenheim lernte er nicht nur den Beruf des Winzers kennen, sondern auch Ina-Johanna Becker. Die ist auf einem klassischen Betrieb mit Wein- und Ackerbau in Hillesheim aufgewachsen, einem 650-Einwohner-Ort zwischen Mainz und Mannheim.
Nach dem Studium gingen beide gemeinsam auf das Familienweingut von Ina-Johanna Becker, das sich bislang rein der Vermarktung von Fasswein gewidmet hatte. Auch heute noch werden beide mit Fragen und Vorurteilen konfrontiert, erzählen sie. Da kommen Sätze wie „Wie funktioniert das bei euch beiden aus Ost und West eigentlich so?“, „Sind nicht alle Ossis rechts?“, „Wessis hatten immer alles ...“
Dabei sei es doch egal, woher man komme, sagt Ina-Johanna Becker. „Der Wein hat uns beide zueinander geführt. So soll auch unser Wein alle Menschen, die Lust am Weintrinken haben, miteinander verbinden.“ Dabei brauche man auch die Erinnerung an die Mauer nicht ausblenden, findet Torsten Proschwitz. „Wir wollen die Geschichte auch an unsere nachfolgende Generation weitergeben – aber eben als Einheit.“
Auch zu seiner alten Heimat hält der 33-Jährige Kontakt: Erst vor wenigen Monaten war das letzte Mal in Riesa, dabei besuchte er seinen Vater und die Familienangehörigen, die in der Region Großenhain, Weißig und Riesa wohnen. Auch nach Meißen hat er einen Abstecher gemacht: Dort lebt Hendrik Weber, der dort die Sektmanufaktur Perlgut gegründet hat. „Wir haben zusammen in Geisenheim studiert.“ Die Kontakte zwischen Ost und West reißen also nicht ab.
Der Ost-West-Wein „Riesling vom Rotliegenden“ ist bei Feinkosthändlern in Leipzig und über den Onlinefachhandel www.youwine.de/rotliegend erhältlich.