Von Stefan Ruwoldt
„Erst Noppen ... dann Poppen“, steht auf dem Informationsblatt, das vor Hans Probst auf dem Tisch liegt. Es stammt von der Leipziger Aids-Hilfe. Sie soll Hemmschwellen nehmen. „Wir müssen auf unsere Angebote aufmerksam machen“, sagt Probst. Er ist der Leiter der Aids-Hilfe Leipzig und sitzt im Café in der vom Verein angemieteten Villa und begrüßt die freiwilligen Helfer, die hier gleich den Betrieb eröffnen.
„Wir haben draußen kein großes Plakat. Wer hierher kommt, weiß es von jemandem. Und damit er hier erstmal warm werden kann, gibt es das Café, offen für alle“, erklärt Probst. Leipzig ist die sächsische Stadt mit den meisten bestätigten HIV-Infektionen seit 1996: insgesamt 136, davon 27 im vergangenen Jahr. In Dresden haben sich seit 1996 79 Menschen angesteckt, 14 waren es im Jahr 2005.
Blick hinter die Zahlen
Probst versucht, die Fälle einzuordnen: „Die Zahlen geben nicht den genauen Verlauf der Entwicklung wieder, denn gemeldet werden nicht die Neu-Erkrankten oder Neu-Infizierten, sondern die Infektionen, die festgestellt werden, aber unter Umständen schon länger zurückliegen.“ So sei der Anstieg in Leipzig zwischen 2003 und 2004 von 13 auf 25 zwar eine Verdopplung der Diagnosen, aber wohl kaum gleichzeitig auch eine Verdopplung der Erkrankungen. „Die Statistik hat hier ihre Grenzen, zeigt allerdings grob den Trend an. Und der geht nach oben“, erklärt Probst.
Etwa drei Viertel der Erstdiagnosen bei HIV-Infektionen in Leipzig werden bei Männern gemacht, nachdem sie Sex mit Männern hatten. „Das ist kein Zufall. Leipzig ist im Osten die Stadt mit den meisten Möglichkeiten für Schwule: Bars, Klubs, Saunen“, sagt Probst. Viele Homosexuelle kämen aus dem Umland und gingen in der Stadt am Abend weg. Deutschlandweit entfallen immerhin fünf Prozent der HIV-Infektionen auf Ansteckungen beim Drogenkonsum, in Leipzig war es dagegen im vergangenen Jahr kein einziger Fall.
Rund 70 Leipziger unterstützen die Arbeit der Aids-Hilfe freiwillig, so viele wie in keinem anderen der insgesamt vier Aids-Hilfe-Vereine in Sachsen. Unterstützt sieht sich Probst auch durch die Stadt und den Freistaat, die ihre Gelder – jeweils rund 100 000 Euro – auch für das kommende Jahr ohne Kürzungen zugesagt haben. Die Leipziger Aids-Hilfe entstand 1990 aus einer Selbsthilfegruppe schwuler Männer. Heute hat sie drei angestellte Fachkräfte und unterhält die Beratungsstelle und das Begegnungszentrum in Leipzig-Schönefeld.
Jutta Rosch, verantwortlich im Verein für Vorbeugung, Beratung und Betreuung, findet viele Begriffe, um ihre Arbeit zu beschreiben: „Reden, informieren, unterstützen, anleiten, helfen, beistehen, verbinden.“ Dann nennt sie die Projekte der Aids-Hilfe Leipzig: „Die Coming-Out-Gruppen, die Gruppe gehörloser Schwuler und Lesben, die Selbsthilfegruppe Transsexualität/Intersexualität, die Positiven-Frauen-Gruppe, die An- und Zugehörigengruppe ...“
Für jedes Problem ein Name
Rosch nennt noch fünf weitere, dann ergänzt Probst ebenfalls noch drei und nennt die „Afro Leben-Plus-Gruppe“. Probst erklärt, dass sehr viele Asylbewerber und Migranten über Freunde und Bekannte von der Aids-Hilfe erführen und im Bedarfsfall hierher kämen. „Und wenn wir den Leuten nur dabei helfen, beim Arzt zu sagen, welche Beschwerden sie haben, was sie bei der Behandlung nicht verstehen oder zu welchem Arzt oder in welche Klinik sie am besten gehen sollen“, sagt Rosch. Sie nennt sechs Ärzte und deren Spezialgebiete bei Diagnose, Therapie und Betreuung. Behörden, Beratungsstellen und praktische Hinweise – Rosch ordnet jedem Problem einen Namen zu.
„Unsere Arbeit hat sich sehr verändert. In den ersten Jahren hatten wir hier HIV-Infizierte, die kamen zu uns, und wenige Monate später waren sie tot“, sagt Rosch. Nun sei die medikamentöse Behandlung und Therapie so weit, dass man zunächst mit der Infektion und später sogar mit der Krankheit noch sehr lange leben kann. „Das hat unsere Arbeit verändert“, sagt die Beraterin. Die Aids-Hilfe sei heute nicht mehr Sterbebegleitung, sondern Lebensberatung. (ddp)