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Von null auf 246 Kilometer

Laufen können alle, findet Tell Wollert. Doch muss man das gleich so ultralang tun wie er? Eine extreme Geschichte.

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© Robert Michael

Von Tino Meyer

Die Geschichte beginnt mit einem Geständnis: Laufen, sagt Tell Wollert, habe er gehasst. Denn Laufen bedeutete für ihn Zwang. Sportlich sei er zwar schon immer gewesen, nur die Sache mit dem Gewicht ein schwerwiegendes Problem. Als jugendlicher Judoka musste er penibel auf die Kilos achten und deshalb oft genug vor Wettkämpfen mit zwei, drei übereinander gezogenen Trainingsanzügen joggen. Gewicht machen heißt es im Fachjargon. Von Spaß machen, meint Wollert, habe damals keine Rede sein können.

Die Geschichte des inzwischen 34-Jährigen zeigt jedoch, dass nichts unmöglich ist. Dass selbst der größte Laufmuffel irgendwann einen Marathon bewältigen kann, sehr gut sogar – und dass danach noch lange nicht Schluss sein muss. „Ich bin überredet worden“, wiegelt Wollert ab, wenn er über den Spartathlon spricht.

Jene historischen 246 Kilometer von Athen nach Sparta, die er Ende September in Angriff nimmt, sind jedoch auch für einen Ultraläufer wie ihn eine extreme Herausforderung. Das Starterfeld ist auf maximal 400 begrenzt, das Zeitlimit auf 36 Stunden. „Das wird eine Grenzerfahrung, vor der ich Respekt habe“, sagt Wollert, der in Dresden und Radebeul als Personal Trainer arbeitet. Und während er von Vorbereitung und Vorfreude erzählt, fragt man sich unweigerlich, warum sich der junge Mann so etwas eigentlich freiwillig antut. Hat der keine anderen Hobbys?

3.000 Meter als Gradmesser

Wollert muss nicht lange überlegen. „Sport ist mein Leben“, antwortet er – und Laufen eine Leidenschaft, die er eher zufällig für sich entdeckt. In der Vorbereitung auf die Eignungsprüfung für das Sportstudium in Halle hat er zwar erneut festgestellt, dass Laufen ein Zwang ist. Wie soll er ohne regelmäßiges Training denn die geforderten 13 Minuten für 3.000 Meter schaffen? Wollert aber hat darüber hinaus gemerkt, dass Laufen natürlich auch Spaß machen kann. Zum Beispiel wenn man als Gruppe unterwegs ist, das Tempo stimmt, die Form immer besser wird. Und dass dabei ein Trainingsanzug völlig ausreicht.

Seitdem ist Wollerts Geschichte sozusagen ein Selbstläufer. Den Harzgebirgslauf, zu dem ihn ein Kumpel im Oktober 1998 einfach mitnimmt, bestreitet er in Baumwollshirt und Schlabberhose, doch mit großem Vergnügen. Drei Jahre später ist Wollert erstmals beim Rennsteiglauf am Start und läuft dort seinen ersten Marathon, der im Thüringer Wald immerhin 43,5 Kilometer beträgt, auf Anhieb in 3:35 Stunden.

2008 stellt Wollert allerdings an gleicher Stelle die Sinnfrage. Die Drei-Stunden-Marke hatte er unterbieten wollen, dafür „trainiert wie wahnsinnig“ und am Ende 24 Sekunden zu viel gebraucht. Lohnt der Aufwand? Was nutzt die Hetzerei? Und wie soll es weitergehen, sportlich und auch beruflich? Als Sportwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Prävention, Therapie und Rehabilitation hat Wollert nach dem Studium nicht länger in Rehakliniken arbeiten wollen. Zu monoton ist ihm das.

Er entscheidet sich für den „kompletten Neuanfang“, wie er es ausdrückt, zieht nach Dresden, macht sich selbstständig als Personal Trainer – und läuft noch längere Strecken. Die 72,7 Kilometer des Ultramarathons am Rennsteig absolviert er 2009 in beachtlichen 6:16 Stunden, läuft ein Jahr später noch mal fünf Minuten schneller und stellt schließlich fest: „Plötzlich war ich in der Ultra-Geschichte drin.“

Grenzen ausloten und herausfinden, was der Körper leisten kann – diesen Antrieb hat er schon als junger Judoka. Nun kommt die Lust aufs Abenteuer dazu. Trailrunning ist das, was Wollert fasziniert, also stundenlange Läufe über Stock und Stein verbunden mit möglichst vielen Anstiegen. „Als ich zum ersten Mal Bilder von Transalpine Run gesehen habe, war mir klar, dort will ich auch mal hin“, erzählt er. Im September 2012 ist Wollert dann selbst beim Acht-Etappen-Rennen von den deutschen bis in die italienischen Alpen dabei, genauso wie 2013 und auch in diesem Jahr.

Erst Sachsentrail, dann Spartathlon

Am Sachsentrail morgen auf dem Rabenberg nimmt er ebenfalls teil – alles zur Einstimmung auf den Spartathlon. Die fast 70 Kilometer des Ultratrails entlang der tschechischen Grenze sind die längste Strecke, die er am Stück in Vorbereitung auf den Jahreshöhepunkt läuft. In Athen wird er dann zusammen mit einem guten Freund starten, der sich das zum 50. Geburtstag gewünscht hat. Geschenke gibt’s ...

Gesundheitsschädlich, betont Wollert, sind diese Extreme nicht, zumindest nicht für ihn. Langsam habe er sich daran gewöhnt, zunehmend die Belastung gesteigert und damit die Belastbarkeit erhöht. Da gibt es zwischen Profi und Laufeinsteiger keine Unterschiede. „Mit entsprechendem Training kann jeder mit einem Lächeln ins Ziel kommen“, sagt Wollert. Der Mensch sei schließlich geboren, sich zu bewegen. Es müssen ja nicht immer jene 30 bis 40 Kilometer sein, die die Vorfahren in der Urzeit täglich bewältigt haben.

„Die Dosis macht das Gift“, meint Wollert. Man müsse schon für die Sache brennen, nur ausbrennen, warnt er, dürfe man eben nicht. Doch die Gefahr bestehe bei ihm nicht. „Ich will das Ganze genießen. Da sind ein paar Minuten schneller oder langsamer nicht entscheidend.“ Dafür, hat er laufend festgestellt, macht ihm die Geschichte viel zu viel Spaß.

›› www.laufend-aktiv.de | ›› www.sachsentrail.de