Von wegen mau am Bau

Mittag an Dresdens zentralstem Ort: Die Glocken der Katholischen Hofkirche schlagen zwölf, und zu ihren Füßen, am Zugang zur Augustusbrücke, macht eine Handvoll Bauleute inmitten von Kieshaufen, Holzstapeln und allerlei Gerät Mittagspause. Bauidylle in Zeiten von Corona.
Aber eigentlich ist alles wie immer. Gerade hat sich Sachsens Minister für Regionalentwicklung, Thomas Schmidt (CDU), ein Bild von der markantesten Baustelle der Landeshauptstadt gemacht. Seit 2017 wird die älteste Elbquerung dort unter Federführung der Bautzener Hentschke Bau GmbH saniert. Er sei „beeindruckt, wie engagiert die Arbeiten vorangetrieben werden, gerade unter diesen erschwerten Bedingungen“, sagt Schmidt hinter einer grünen Maske mit der Aufschrift „So geht Sächsisch“. „Wir wollen, wo es möglich ist, die Arbeit der Unternehmen unterstützen und aufrechterhalten“, so Schmidt. Es gehe auch um gesicherte Finanzierung, Folgeaufträge und zügige Planung. Zum Bürokratieabbau werde demnächst ein elektronischer Bauantrag erprobt.
Etwas abseits bessert Florian Müller Schadstellen an tonnenschweren Betonklötzen aus. Auch für den 33-Jährigen hat sich in der Pandemie nichts geändert. Soloarbeit und Atemschutz kennt der gelernte Maurer nicht erst seit Corona. „Ich bin Alleinunterhalter, denn beim Abschleifen geht es oft staubig zu“, so der Bautzner, auf dessen Haut neben der Sonne auch manch Tattoostudio seine Spuren hinterlassen hat.
Verband: Trügerische Statistik
Nicht so das Virus in der Branche. Rund die Hälfte der Firmen spüre keine oder nur geringe Auswirkungen, bilanziert die Bundesvereinigung mittelständischer Bauunternehmen nach einer Umfrage. „Die Betriebe verdienen sich derzeit ein goldenes Näschen“, sagt Klaus Hartung, Vize-Regionalchef der IG BAU für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der Gewerkschafter sieht „keine Probleme, auch nicht bei den Zulieferern aus der Baustoffindustrie“.
Die Branche war mit vollen Auftragsbüchern ins Jahr gestartet. Mit über 52 Milliarden Euro lag die Auftragsreichweite bei sieben Monaten – und im sogenannten Winter hatte auch Petrus mitgespielt. Viele Unternehmer kamen vor Lachen nicht in den Schlaf. Einzig die Personalnot schmerzt. In Sachsens Bauhauptgewerbe konkurrieren etwa 6.800 Betriebe mit rund 59.000 Mitarbeitern, kaum halb so viele wie 1997. Hinzu kommen 112.700 Leiharbeiter und gut 7.600 Ausländer. Mangels Tarifbindung erhalten die meisten Beschäftigten nur den Mindestlohn von neuerdings 12,55 Euro.
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Nach Angaben des Statistischen Landesamts erwirtschaftete Sachsens Bauhauptgewerbe 2019 sechs und das Ausbaugewerbe 2,8 Milliarden Euro Umsatz. Hoch- und Tiefbaubetriebe mit 20 und mehr Leuten legten demnach zum Vorjahr um gut sechs Prozent zu, Auftragseingänge noch mehr.
Der Zentralverband des deutschen Baugewerbes (ZDB) nennt solche Zahlen „trügerisch“. Die Branche sei massiv von der Krise betroffen, heißt es. „Baugenehmigungen sind keine Aufträge“, sagt Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa. Noch lasse sich schwer abschätzen, in welchem Ausmaß die Pandemie den Bau treffen werde. „Denn wenn bei der gewerblichen Wirtschaft Aufträge in Größenordnungen wegbrechen, werden Investitionen zurückgestellt, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Wirtschaftsbau“, so der ZDB-Chef. Wenn Ämter wegen des Virus schwach oder unbesetzt seien, würden keine öffentlichen Aufträge vergeben. Wenn Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht seien, würden sie kein Haus bauen oder sanieren. Und wenn Bauleute selbst infiziert seien, würden ganze Kolonnen unter Quarantäne gestellt, könnten Betriebe nicht mehr arbeiten. Ferner könnten rund 100.000 Entsendearbeitnehmer nicht einreisen.
„Brücken-Aldi“ 2020 ausgelastet
Laut Robert Momberg, Chef des Bauindustrieverbandes Ost, zeigt sich der Bau auch in der Corona-Krise „als Branche, in der externe Schocks später wirken“. Noch seien die Probleme überschaubar, aber die Unsicherheiten würden mit jedem Tag wachsen. Sorgen bereite der Wirtschaftsbau mit dem größten Anteil am Bauumsatz. Momberg fordert, dass die Störungen des Bauablaufs durch das Virus als höhere Gewalt eingestuft werden und Bauzeitverlängerungen problemlos erfolgen können. Und : „Von Vertragsstrafen müsse bei Bauzeitüberschreitungen abgesehen werden.“
Die Spitzenverbände der Bauwirtschaft hatten in einem gemeinsamen Schreiben an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und Bundesinnenminister Horst Seehofer (beide CSU) um einen Schutzschirm und die ungebrochene Fortführung der staatlichen Bauaktivitäten gebeten.
Derweil laufen die Arbeiten auf der Augustusbrücke, als sei nichts geschehen, „bis auf zwei, drei Mann Ausfall wegen Kinderbetreuung“, sagt Daniel Windisch, Projektleiter bei Hentschke. Vor Weihnachten 2021 soll die Sanierung beendet sein. Das Unternehmen gehört mit 700 Mitarbeitern zu den größten Baufirmen im Osten und arbeitet bundesweit an rund 50 Brücken. Die Augustusbrücke, ein 20-Millionen-Job, ist zwar nicht der größte Auftrag aber gut für’s Renommee. Zuletzt hatte es als Opfer von Brandanschlägen für Schlagzeilen gesorgt. „Wir sind für dieses Jahr ausgelastet“, sagt Geschäftsführer Thomas Alscher. Er habe aber Sorge, wie es weitergehe.
Alscher, stolz auf den Beinamen „Brücken-Aldi“, zahlt den Mitarbeitern 1.500 Euro Corona-Prämie, wenn sie sich in den nächsten drei Monaten nicht krankmelden. Das Unternehmen setzt auf Sicherheit: mit Mini-Arbeitsteams an mehreren Stellen der Brücke, zeitlich versetzten Pausen, damit nur je zwei Mann im Container sitzen, von der Firma bezahlter Anfahrt im eigenen Pkw. Es wird auf Hygiene geachtet, gibt fließend Wasser, Desinfektionsmittel und drei mobile Toiletten für gut 20 Mann. Die Aufschrift auf den Dixiklos steht sinnbildlich auch für die Lage der Branche: Toi, toi.
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