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Wachsende Bilder

Der Radeburger Fotograf Burkhard Schade entdeckt dort Schönheit, wo auf den ersten Blick nur das Hässliche zu sehen ist.

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Von Udo Lemke

Als ich mich bei meinem Freund beklagte, dass uns so viel Hässliches umgibt, gab er mir den Rat, genau das zu fotografieren.“ Worte des amerikanischen Fotografen William Eggleston (geb. 1939), der als „Vater der Farbfotografie“ gilt. Er bannte das mit seiner Kamera, was den meisten nicht als bildwürdig galt: Das Kinderdreirad auf der betonierten Einfahrt, den Hund, der aus einer Pfütze trinkt, den Blick in die gekachelte Duschkabine – und immer nutzte er dabei die Farbe als Gestaltungsmittel.

Burkhard Schade, Fotograf
Burkhard Schade, Fotograf

Abgewandelt auf Burkhard Schade könnte man sagen, dass er das fotografiert, woran die meisten Menschen achtlos vorübergehen, ja sich abwenden – verfallende Häuser, Kliniken und Fabriken. „Ich wollte die Farbigkeit und die Schönheit zeigen, mit der ganzen Intensität, die in den verfallenden Gebäuden steckt.“

Das Schlüsselerlebnis, das ihn dazu brachte, die „Farben des Verfalls“ wie der Titel seines jüngst erschienen Buches lautet, festzuhalten, war 2005 die Entdeckung der einstigen Arbeiter-Lungenheilstätte in Beelitz. Mit 1 200 Betten war der zwischen 1898 und 1930 errichtete Komplex südlich von Potsdam eines der größten Krankenhäuser seiner Zeit, wo vor allem Berliner Arbeiter Heilung von der Schwindsucht, der Tuberkulose, suchten. „Dort gibt es Treppenhäuser, da fühlt man sich wie in einem Schloss“, so Burkhard Schade.

Ursprünglich wollte er seine dort entstandenen Aufnahmen am Computer von Farbe in Schwarz-Weiß umwandeln, aber dann packten ihn eben jene Farben des Verfalls und er versuchte, sie so festzuhalten, wie er sie sah. Seine Arbeitsweise glich und gleicht dabei der des Aristokraten der deutschen Fotografie Herbert List (1903 - 1975). „Bei der Photographie von Landschaften und Bauten ist das Licht zu studieren: „Oft muß man abwarten oder genau zu der Stunde, ja Minute wiederkommen, in der das Licht der uns vorschwebenden Vision entspricht“, hatte List gesagt.

Burkhard Schade ist so oft in Beelitz gewesen, dass Freunde scherzhaft erklärten, „wenn diese Gebäude zusammenfallen, dann könnte man sie nach deinen Fotos originalgetreu wieder aufbauen“. Dabei arbeitet er zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten, bei strahlendem Sonnenschein und bei trübem Wetter, „um die Licht- und Farbstimmungen, die mir vorschweben, zu fotografieren“. Dass er dabei vollständig auf künstliches Licht wie Scheinwerfer oder Blitzlicht verzichtet, macht die Sache nicht einfacher.

Dieses aristokratische Arbeiten im Sinne einer kultivierten Lebensart kann sich Burkhard Schade nur leisten, weil er einem Brotberuf nachgeht. Der studierte Diplom-Ingenieur, der früher in der Glas-Industrie gearbeitet hat, ist heute in der IT-Branche zu Hause. „Ich habe ein regelmäßiges Einkommen und kann dadurch Projekte ohne wirtschaftliche Zwänge angehen und sie bis zur Reife entwickeln.“ Auf seine Aufnahmen bezogen heißt das, dass die Bilder wachsen können. Dabei treffen sich das gleichsam „negative“ Wachstum des Verfalls, das sich im Auflösen von Farben, Formen und Dingen zeigt, mit dem „positiven“ Wachstum der Bildentwicklung.

Burkhard Schade lässt sich dabei immer wieder vom Gesehenen berühren: „Ich versuche mir vorzustellen, wie das Leben in diesen Räumen war zwischen Liebe und Tod. Man sieht ausgetretene Stufen, über die Millionen Schritte gegangen sind und plötzlich geht da niemand mehr.“ Harald Marx, der langjährige Direktor der Dresdner Gemäldegalerie „Alte Meister“, hat über eines der Beelitz-Bilder von Burkhard Schade geschrieben, dass in ihnen die Zeit als Ahnung einer unausweichlichen Vergänglichkeit zu sehen ist. „Nichts bleibt, wie es ist; aber wie bei den Vanitas-Stillleben des Barocks erleben und empfinden wir auf den Fotos von Burkhard Schade auch die Schönheit des Verfalls.“ Ob seine Bilder Kunst sind? Burkhard Schade zuckt mit den Schultern, „ich mache einfach meine Sachen“. Allerdings nicht irgendwie, sondern „man muss mit dem Herzen dabei sein, damit es gut wird“. Dabei lässt sich der 54-jährige Fotograf gern überraschen. So, als er mit seiner Frau, der Malerin und Grafikerin Petra Schade, in einem Hafen in Kroatien etwas entdeckte, woraus ihre Wassergemälde entstanden. Was aussieht, als wäre es langwierig am Computer bearbeitet worden – zitternde mathematische Kurven, fließende Farben, pulsendes Licht – sind einfache Wasserspiegelungen, sonst nichts. „Solche Bilder kann man nicht komponieren, da spielt der Zufall eine große Rolle. Das ist ein neues Spiel, ein großer Spaß.“

Die Wassergemälde sind gleichsam eingefrorene Momente aus einem Fluss von Milliarden flüchtiger Bilder, die von den Dingen und dem Wasser produziert werden, solange nur ein Funken Licht da ist. Sie sind für alle sichtbar, aber nur die wenigsten sehen sie. „Man lernt das Sehen“, sagt Burkhard Schade. Er selbst hat mit dem Lernen früh angefangen. „Es gibt Fotografien, da bin ich als Achtjähriger mit einer Kamera um den Hals zu sehen.“ Und später, während des Studiums „habe ich ganze Tage und Nächte in der Dunkelkammer zugebracht“. Diesen Zeiten des Hantierens mit Chemikalien, um die Bilder auf dem Fotopapier zu fixieren, trauert er nicht nach. Für ihn war die digitale Technik eine Befreiung.

Burkhard Schade sagt, dass er sich an vielen Bildern erfreuen kann, auch wenn er sie nicht mit der Kamera festhält. Auch darin ist er Herbert List verwandt. Der hatte, nachdem er vom Fotografen zum Sammler von Zeichnungen geworden war, gesagt: „Ob ich noch photographiere? – Ja sicherlich. Noch immer wähle ich sorgfältig Ausschnitt, Komposition und Harmonie der Farben: Dann knipse ich, aber ohne Apparat, nur so mit den Augen.“