Von Anja Beutler
Für die Kunstwelt ist Sonntagnachmittag ein internationaler Star nach Herrnhut gekommen. Für Günther Mierig einfach nur ein guter alter Freund. Der 80-jährige Strahwalder mit dem weißen Haar ist die letzte lebendige Brücke zwischen Jürgen Böttcher, dem Kunstmultitalent, der vor allem als Maler und Filmemacher Karriere machte, und dem Ort Strahwalde. Hier hat eben jener Künstler die elf wichtigsten Jahre seiner Jugend erlebt. Und Günther Mierig ist der Letzte, der mit Jürgen Böttcher, der sich nach seinem Kindheitsort den Künstlernamen Strawalde gab, viele Erinnerungen an eine schwere Zeit teilt.

Wenn Mierig über seinen Freund erzählt, leuchten seine Augen auf: Klar, als Jürgen Böttcher nach einer langen Kontaktpause plötzlich vor seinem Haus stand, habe er ihn sofort wiedererkannt. Mierig bezieht das nicht nur auf Äußerlichkeiten. „Wir hatten schnell ein Gesprächsthema, es war gar nicht, als ob wir uns viele Jahre nicht gesehen hätten“, erinnert er sich.
Strawalde hatte sein Dorf 1948/49 zum Studium verlassen. Er war nach Dresden gegangen, um Maler zu werden. Ein paar Jahre später packte er ein Regiestudium an der Filmhochschule in Babelsberg obendrauf, wurde berühmt. Anfang der 1990er Jahre, so sagte Jürgen Böttcher am Rande seiner Ausstellungseröffnung in Herrnhut, habe er dann das erste Mal wieder seine Freunde in Strahwalde besucht. Er fand alles so vor wie früher: Günther Mierig, der aus einer Bäckerfamilie stammte und auch selbst Bäcker war, wohnte in dem gleichen Haus an der Hauptstraße. Und gleich nebenan der andere Freund der beiden, Georg Schröter, der inzwischen verstorben ist. Seit diesem Besuch sei Strawalde immer wieder dagewesen. Man habe sich Briefe geschrieben, den Kontakt gehalten.
Wenn Mierig erzählt, was die Jungs im Dorf damals so umgetrieben hat, entsteht ein Bild aus schweren, aber auch frohen Tagen. Als die Familie Böttcher nach Strahwalde zog, war Jürgen sieben Jahre alt. Sein Vater war Gymnasiallehrer, hatte bei den Nazis Berufsverbot und verdiente somit kein Geld. Seine Mutter war Künstlerin – und eine Frau, die im Dorf auffiel. Böttchers Mutter machte auch bei den Jungs, mit denen Strawalde zur Schule ging und über die leeren Straßen oder durch Gärten tobte, Eindruck. „Frau Böttcher trug einen seidenen Turban, wenn sie außer Haus ging. Und zu Hause kleidete sie sich in einen seidenen Morgenmantel, das war schon extravagant“, beschreibt Mierig seine kindlichen Eindrücke. So sehr wie seine Mutter aus dem Dorfleben herausstach, so stark machte auch Jürgen Böttcher bei den Jungs Eindruck. Aber nicht als Sonderling, sondern bald als einer von ihnen, auch als Anführer. Mierig beschreibt seinen Freund als klug, sportlich und führungsstark.
Allerdings musste er sich schmerzhaft anpassen, erinnert sich Böttcher: „Ich habe erst einmal Prügel bekommen, weil ich anders sprach“, sagte er. Sogar die Nase hätten ihn Herwigsdorfer Jungs deswegen gebrochen. Seitdem spricht er den Dialekt – noch heute kommen dem Wahlberliner Oberlausitzer Klänge gut über die Lippen.
Der Krieg, das brennende Herrnhut am 8. Mai 1945 und all die Erlebnisse haben Jürgen Böttcher stark geprägt. Sein Bruder kam durch ein Unglück ums Leben. Materiell hatte es die Familie keineswegs bequem. Günther Mierig erinnert sich an eine Postkarte, die Böttchers Mutter seiner eigenen Mutter später geschickt hat: „Darin bedankte sie sich, dass meine Mutter ihr immer Brotmarken zugesteckt hatte, weil sie selbst kaum genug besaßen.“
Auch Jürgen Böttcher musste bald mithelfen, damit die Familie um die Runden kam. Dafür hat er gemalt. „In der Zeit, als er jeden Tag auf die Oberschule nach Löbau mit dem Zug gefahren ist, hat er angefangen, die Menschen zu porträtieren, die ihm gegenüber saßen“, erinnert sich der Strawalde-Freund. Die Zeichnungen habe er auch verkauft und somit selbst kleine Einnahmen gehabt. Seinen Malstil habe er damals schon gehabt, erzählt Mierig.
Jürgen Böttcher, der überall in den großen Häusern dieser Welt als Künstler ausgestellt hat, gab zu, dass ihn diese kleine Ausstellung in Herrnhut im Vorfeld besonders aufgeregt hat. Denn dieser Ort ist für ihn persönlich so stark aufgeladen. Deshalb sei diese Ausstellung für ihn eine besonders wichtige, so der 81-Jährige gerührt.
Im Herrnhuter Heimatmuseum kann die Schau bis zum 12. Mai besichtigt werden: Dienstag bis Freitag, 9 bis 17 Uhr sowie Sonnabend, Sonntag und an Feiertagen jeweils von 10 bis 12 und 13 bis 17 Uhr. Die Ausstellung im Zinzendorf-Schloss Berthelsdorf ist vom 26. April bis 30. Juni, Dienstag bis Sonntag, 13 bis 17 Uhr, zu sehen.
Jürgen Böttcher wird zur Finissage am 30. Juni in Berthelsdorf anwesend sein.