Von Stefan Jänke
Karl Wolfrum, Traugott Ochs, Oskar Wermann, Otto Brieger, Christian Finck – das sind Namen von Komponisten, die um 1900 lebten und die heute fast niemand mehr kennt. Was von ihnen überliefert ist, sind Notendrucke aus einer Zeit, in der ihre Werke für die Orgel eine gewisse Verbreitung erfuhren. Selbst die Interpreten, die derartige Musik „ausgraben“, finden oft nichts über die Tonsetzer heraus, die seinerzeit hoch geschätzte Interpreten und Pädagogen waren. Häufig lassen sich nicht einmal die Lebensdaten bestimmen. Die Noten finden sich nur in alten, verstaubten Notenschränken auf Kirchenböden. Die Verlage, die damals derartige Musik publizierten, gibt es nicht mehr.
Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts bestand ein großer Bedarf an Orgelmusik, den die Tonsetzer dieser Zeit mit reichem Schaffen zu befriedigen suchten. Noch hatte sich die Kirchenmusik nicht auf die barocke Orgeltradition Deutschlands besonnen, noch war eine hochromantische Klangsprache in der Kirche üblich. Erst in den 1920er Jahren setzte eine radikale Erinnerung an barocke Tugenden ein. Die Werke Bachs und der norddeutschen Barockmeister wie Buxtehude erlangten eine Renaissance – bald dominierten sie; die Orgeln wurden umgebaut – barockisiert. Dem reichen kompositorischen Schaffen der Spätromantik tat das nicht gut.
Ein typischer Vertreter dieser Zeit – ebenso wie die anfangs genannten Herren nach einer Zeit deutschlandweiter Verbreitung in Vergessenheit geraten – war auch der Großenhainer Kantor Paul Gläser. Seine Werke hätten ebenfalls im Programm des Orgelkonzertes am vergangenen Sonntag in der Großenhainer Marienkirche erklingen können, in dem Martin Schulze aus Himmelpforten Werke der Romantiker spielte.
Nachdem zur Konzerteröffnung das große Es-Dur-Präludium inklusive Fuge von Johann Sebastian Bach erklang, widmete sich Martin Schulze zuerst der kleinen Form, indem er kurze Choralvariationen über das Morgenlied „Gott des Himmels und der Erden“ spielte. Die ursprünglich einzeln als Choralvorspiele zu gebrauchenden Stücke markierten bereits deutlich, wie sehr sich die Spätromantik in Deutschland an der Komponisten-Persönlichkeit Richard Wagner orientierte. Von der kleinen Form des Choralvorspiels bis hin zur groß angelegten Fantasie konnte man die Vorbildwirkung des Opernkomponisten spüren. Viel Pathos, starke dynamische Kontraste sind äußerliche Kennzeichen der Musik, die stark kontrapunktische Faktur der Musik jedoch zeigt die handwerkliche Meisterschaft der Komponisten.
In dem zeitlich angenehm dimensionierten (genau eine Stunde dauernden) Programm versuchte der junge Organist auch, den Werken mit der Registrierung auf der der Jehmlich-Orgel der Marienkirche gerecht zu werden. Er verwendete reichlich Zungenstimmen und weniger Klangkronen, um warme, dunkle Klänge zu erzeugen. Die kompositorisch vorgegebenen scharfen Kontraste arbeitete er gut heraus: dem vollen Werk setzte er Passagen mit manchmal nur einem sehr leisen Register entgegen.