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Corona lässt Kleider-Container überquellen

Im Landkreis Bautzen wurden jetzt die ersten Sammelstellen abgebaut. Gründe finden sich hier vor Ort, aber auch in Osteuropa und Afrika.

Von Tilo Berger
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Zu Hunderten stehen sie im Landkreis: die Altkleider-Container der großen Hilfsorganisationen so wie hier in Uhyst am Taucher. Allerdings wurden jetzt etliche Container abgebaut.
Zu Hunderten stehen sie im Landkreis: die Altkleider-Container der großen Hilfsorganisationen so wie hier in Uhyst am Taucher. Allerdings wurden jetzt etliche Container abgebaut. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Die Jacke ist zu eng geworden, die Hose gefällt nicht mehr. Zum Wegwerfen sind die Sachen aber zu schade, also ab damit in den Altkleider-Container. Davon steht ja fast an jeder Straßenecke einer. Besser gesagt: stand. Denn einige Container sind in den letzten Wochen verschwunden. Manche quollen auch regelrecht über.

Wie viele Altkleider-Container es im gesamten Landkreis Bautzen vor einigen Wochen gab und heute noch gibt, kann niemand genau sagen. Das Landratsamt hat keinen Überblick und verweist auf die Städte und Gemeinden, denn sie müssen das Aufstellen dieser Container vertraglich genehmigen und bekommen dafür auch eine kleine Miete.

In Wilthen zum Beispiel stehen 15 Container, von denen jeder acht bis zehn Euro im Monat einbringt. In Bautzen nennt die Stadtverwaltung 73 Stellplätze für Altkleider-Container. Aber aus den Rathäusern schaut niemand täglich nach, ob die Container auch geleert werden und ob sie überhaupt noch da sind. 

Elstras Stadtkämmerer Steffen Wustmann etwa sind keine ausgebliebenen Leerungen bekannt. Bischofswerdas Stadtsprecher Sascha Hache weiß von vereinzelten Fällen, dass Aufsteller „aufgrund coronabedingter Abnahmeprobleme ihre Container derzeit absperren“.

Viel Zeit zum Aussortieren

Die Aufsteller sind Organisationen wie die Volkssolidarität und das Deutsche Rote Kreuz oder auch professionelle Firmen wie FWS mit Sitz in Bremen. Das Unternehmen aus der Hansestadt hat allein im Landkreis Bautzen 224 Altkleider-Container platziert. Diese würden je nach Bedarf alle sieben oder 14 Tage geleert – in jüngster Zeit aber öfter, sagt Ramona Diercksen vom FWS-Vertragswesen. 

Sie findet dafür eine nachvollziehbare Erklärung: Wegen der Corona-Beschränkungen waren viele Leute notgedrungen zu Hause und verbrachten die unerwartete Freizeit unter anderem damit, mal alle Kleiderschränke durchzuforsten. Hinzu kam, dass über mehrere Wochen die Wertstoffhöfe geschlossen waren – so landete noch mehr in und vor den Containern.

Die Einschätzung der Bremer Firma teilt auch Peter Mark, Kreisgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Die Hilfsorganisation hat im Kreis Bautzen normalerweise mehr als 180 Container für Altkleider stehen, aber im Moment sind es etwa 30 weniger. Die DRK-Mitarbeiter kamen mit dem Sortieren der ausgemusterten Kleidungsstücke nicht mehr nach und nahmen deshalb einige Container vom Markt.

Die besten Sachen landen in den Kleiderkammern in Bischofswerda und Lauta oder im Sozialkaufhaus an der Bautzener Steinstraße. Das soll auch so bleiben, aber im Moment „bittet das DRK von Kleidungsspenden abzusehen“, sagt Peter Mark. 

Eine Bitte, die auch andere Container-Betreiber teilen, zum Beispiel die Volkssolidarität. Sie hat im Landkreis Bautzen 150 Container, und die stehen auch alle noch dort, wo sie sollen, und werden turnusgemäß geleert. Aber die Spendenbereitschaft der Bürger sei während der „Wir-bleiben-zu-Hause-Phase“ gestiegen, bestätigt Nicole Gräulich vom Kreisverband der Volkssolidarität.

Lieferketten weggebrochen

Viel Zeit zum Aussortieren ist ein Grund für den Altkleider-Stau, aber nicht der einzige. Durch Corona sind schlichtweg Lieferketten für Textilien weggebrochen. Nicole Gräulich erklärt die Zusammenhänge am Beispiel der Volkssolidarität: Deren Container leert die Soex Textil-Vermarktungsgesellschaft mit Stammsitz im schleswig-holsteinischen Ahrendsburg. Soex betreibt in Bitterfeld-Wolfen ein Sortierwerk und nimmt dort alle Sachen und Schuhe unter die Lupe.

„Die besten Kleidungsstücke werden in etwa 70 Länder weltweit und in deutschen Secondhand-Geschäften vermarktet. So erhalten die Kleidungsstücke ein zweites Leben, Ressourcen werden geschont und Abfall vermieden“, erklärt Nicole Gräulich. Immerhin rund 57 Prozent aller weggeworfenen Kleidungsstücke landen irgendwo auf der Welt wieder auf menschlichen Körpern. 

Aber: In Osteuropa sind viele Second-Hand-Läden nach wie vor geschlossen. Und mehrere afrikanische Länder haben ihre Häfen dichtgemacht. „In den wenigen verbliebenen Absatzmärkten ist die Zurückhaltung und Verunsicherung sehr groß“, weiß Ramona Diercksen von FWS. „Aber es ist kein Klischee, dass Alttextilien in Ländern, in denen die Bevölkerung über ein geringes Haushaltseinkommen verfügt, gerne gekauft werden. Es gibt Studien, die besagen, dass 70 Prozent der Weltbevölkerung zur Deckung ihres Bedarfes an Bekleidung mehr oder weniger auf Second-Hand zurückgreifen müssen!“

Nicht mehr tragbare Sachen werden zu Putzlappen oder in Recyclinganlagen zu Fasern verarbeitet. Aus solchen Fasern bestehen unter anderem textile Fliesen und Filze, aber auch Dämmstoffe in Autos oder Kühlschränken. Allerdings mussten in den vergangenen Wochen auch zahlreiche Autofabriken eine Zwangspause einlegen und brauchten keine Textilreste. Was sich von den Alttextilien überhaupt nicht mehr verwenden lässt, verwandeln Müllverbrennungsanlagen in Strom und Wärme. So dient auch das letzte Stück Stoff noch einem nützlichen Zweck.

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