Johannes Haenchen zählt rückwärts. In gut fünf Wochen gehen 16 Jahre seines Berufslebens zu Ende. So lange hat er das Restaurant Lingner im Dresdner Hygienemuseum geleitet. Jetzt ist Schluss. Mit 52 Jahren will der Gastronom neu anfangen. Diese Entscheidung hat viele Ursachen, sagt er: „Eine ist das wohl größte Problem der Gastronomiebranche überhaupt.“
Weil das Hygienemuseum einen Konzeptwechsel plant, zieht Haenchen aus. Künftig soll hier ein Selbstbedienungsservice entstehen. Weniger Personal, mehr Umsatz. Haenchen hat diesen Trend zum Anlass genommen, sich selbst neu zu erfinden. Der Gastronomie will er treu bleiben, verabschiedet sich aber vom klassischen Restaurant. Der Grund: der Fachkräftemangel. Über die Probleme spricht er offen.
„Die Preise in der Gastronomie hat man lange auf Kosten der Mitarbeiter gemacht. Es wurden miserable Löhne gezahlt.“ Er nennt ein Beispiel: Vor sieben Jahren habe er seinen Koch für 7,50 Euro die Stunde beschäftigt. „Das war eine Unverschämtheit, aber überall gängige Praxis.“ Heute zahle er 12 Euro. Das sei immer noch nicht die Welt, aber doch eine Gehaltssteigerung um 60 Prozent. „Die Preise konnte ich im gleichen Zeitraum nicht um 60 Prozent anheben. Das würde kein Kunde bezahlen.“ Genau das sei der Beginn der Branchenkrise.
Wer überhaupt gut ausgebildetes Personal finden wolle – denn das gäbe es kaum noch – müsse bereit sein, ordentliche Löhne zu zahlen. Zwischen 14 und 15 Euro hält Haenchen zwar für angemessen, aber kaum zahlbar. „Würde ich das umsetzten, könnte ich keinen einzigen Hauptgang unter 20 Euro verkaufen.“
Was über die Jahre an Personalkosten gewachsen ist, hat er an anderer Stelle eingespart: „Wir haben die Öffnungszeiten drastisch reduziert. Ich setze auch weniger Servicepersonal bei Veranstaltungen ein. Zudem habe ich die Karte verkleinert, um in der Küche effektiver zu sein und mit wenig Personal gute Qualität zu bieten.“
Betriebswirtschaftlich sind diese drei Entscheidungen sinnvoll, sagt er. „Aber Tatsache ist auch: Alle drei werden von Kunden kritisiert.“ Den Unmut bekämen wiederum die Servicekräfte ab. Laut Haenchen ist der Umgangston deutlich rauer geworden. „Es ist vorgekommen, dass Kellner bepöbelt wurden. Sie müssen die schlechte Laune ertragen und dennoch freundlich bleiben.“ Auch das mache den Beruf unattraktiv. „Ich habe deshalb schon Personal verloren und auch Gäste vor die Tür gesetzt. Meine Devise ist: Es ist heute viel einfacher, neue Gäste zu bekommen als gutes Personal. Daher muss man es schützen.“
Das sind die K.o.-Kriterien
Neben unangenehmen Kunden seien laut Haenchen die Arbeitszeiten spät am Abend, teils in der Nacht, problematisch. Damit locke man schon lange keine Auszubildenden mehr. Früher habe er bis zu 15 Lehrlinge ausgebildet, dann keinen einzigen mehr. „Es gab keine Bewerber. Meiner Erfahrung nach haben viele Auszubildende später die Branche gewechselt. Gastronomie ist nicht mit Familie vereinbar.“ Auch das sei ein K.o.-Kriterium. Die Arbeit ist körperlich schwer, Überstunden häufen sich an. „Heute wird viel von Work-Life-Balance gesprochen – in der Gastronomie ist das kaum umzusetzen“, so Haenchen.
Seine Vorausschau auf die Branche: Klassische Restaurants werden es künftig schwer haben. „Die Generation, die regelmäßig im Gasthof essen geht, wird kleiner. Traditionshäuser werden sicher immer Publikum ziehen. Aber für die, die anfangen, wird es schwer.“
Er selbst müsse inzwischen an die eigene Gesundheit denken. „Ich arbeite meist sieben Tage die Woche und komme regelmäßig auf 70 Stunden. Da frage ich mich schon, warum ich das noch mache.“ Das Wort Selbstausbeutung fällt. Deshalb wolle er kürzer treten, nicht weiter gegen Windmühlen kämpfen. Nach dem Hygienemuseum wird es ihn in die Dresdner Innenstadt ziehen. Wohin genau, verrät er noch nicht. Im März will er einen neuen Laden eröffnen, der den Fachkräftemangel umgeht: „Der Serviceaufwand wird so gering wie möglich gehalten. Ich plane ein Self-Order-System.“ Das heißt, der Kunde bestellt über sein Smartphone oder ein Tablet im Lokal sein Wunschgericht. „Der Service beschränkt sich damit auf die Küche und das Servieren. Letzteres können theoretisch Hilfskräfte übernehmen“, erklärt er. Frisch, regional und mit möglichst vielen Bio-Produkten soll gearbeitet werden. Für Haenchen ist das ein Versuch, Beruf und Privatleben ins Gleichgewicht zu bringen. „Ich gebe mit diesem Konzept eine mögliche Antwort auf den Fachkräftemangel: Ich reduziere den Personalaufwand.“