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Warum ein Platz im Pflegeheim immer teurer wird

Ein Beispiel aus Chemnitz zeigt, wie rasant sich die Kosten für einen Pflegeplatz entwickeln. Und was das Heim dazu sagt.

Von Kornelia Noack
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Brigitte Otto und ihre Mutter Klara Kristof vor dem Senterra Pflegezentrum in Chemnitz.
Brigitte Otto und ihre Mutter Klara Kristof vor dem Senterra Pflegezentrum in Chemnitz. © Uwe Mann

Dresden. Kann ich das von meiner Rente noch bezahlen? Die Frage hört Brigitte Otto immer wieder mal von ihrer Mutter. Seit fast sechs Jahren lebt Klara Kristof im Senterra Pflegezentrum in Chemnitz. Die 99-Jährige fühlt sich wohl in dem Haus, das vor drei Jahren an die Alloheim-Gruppe mit Sitz in Düsseldorf verkauft wurde. Auch die Tochter verliert kein böses Wort über die Betreuung. Wütend macht Brigitte Otto aber die Preispolitik des Heimes. Lagen die monatlichen Zuzahlungen Anfang 2015 noch bei 942,50 Euro, waren es im vergangenen Frühjahr schon 1.262 Euro. In diesem Jahr beträgt der Eigenanteil für den Pflegeplatz der Mutter schon 1.924 Euro im Monat – eine Steigerung von fast 1.000 Euro innerhalb von fünf Jahren. „Unglaublich, wie können solche Preiserhöhungen zustande kommen?“, so Otto. „Prüft denn niemand, was die Heime von Bewohnern kassieren?“

Einmal im Jahr wird verhandelt

Tausende Angehörige bundesweit teilen den Frust der Chemnitzerin. Das bekommt auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz zu spüren. „An unserer Hotline häufen sich seit Jahren die Beschwerden über sprunghaft steigende Eigenanteile“, sagt Vorstand Eugen Brysch.

Tatsächlich kennen die Kosten für Pflegebedürftige in Heimen seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Im Sommer erst gab der Ersatzkassenverband Vdek die neuesten Zahlen bekannt. Im Durchschnitt müssen Bundesbürger einen monatlichen Eigenanteil von 2.015 Euro leisten (Stand: 1. Juli 2020), das sind 124 Euro mehr als 2019. Die Belastungen fallen je nach Bundesland unterschiedlich aus. Am teuersten sind Heimplätze in Nordrhein-Westfalen. Pflegebedürftige in Sachsen legen für einen Heimplatz inzwischen 1.621 Euro aus eigener Tasche dazu. Damit erhöhte sich der Anteil im Vergleich zum Jahresbeginn um knapp 200 Euro. Seit Anfang 2018 stiegen die Eigenanteile im Freistaat durchschnittlich um 472 Euro.

Die Gesamtkosten für einen Pflegeheimplatz setzen sich aus der Zuzahlung der Pflegekasse und dem Eigenanteil des Bewohners zusammen. Klara Kristof, die einen Pflegegrad drei hat, erhält monatlich 1.262 Euro von der Kasse. Den Rest zahlt sie selbst. Wie viel, das kann das Heim aber nicht willkürlich festlegen. Der Gesetzgeber sieht vor, dass in der Regel einmal im Jahr mit den Kostenträgern – das sind Verbände der Pflegekassen sowie der zuständige Träger der Sozialhilfe – verhandelt wird. „Der Träger der Einrichtung muss den neuen Pflegesatz beantragen und dabei die Kosten für Personal und Sachleistungen plausibel darlegen. Auf Anfrage muss er diese auch nachweisen“, sagt Annett Lotze, Pflegeexpertin beim Vdek Sachsen. Zudem werde geprüft, ob die Preise im regionalen Vergleich angemessen seien. Da sich die Leistungen der Pflegekassen seit 2017 nicht verändert haben, werden höhere Ausgaben automatisch auf den Eigenanteil der Pflegebedürftigen draufgeschlagen.

Gestiegene Personalkosten

Der Eigenanteil besteht aus Kosten für Pflege und Betreuung, den Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie den anteilig auf die Heimbewohner umgelegten Investitionskosten. Annett Lotze nennt neben der allgemeinen Preisentwicklung vor allem drei Gründe, warum diese Ausgaben ständig steigen: eine bessere Personalausstattung sowie eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte in Sachsen. Zudem gebe es seit März 2020 neben der Ausbildungsvergütung noch eine Ausbildungsumlage.

Beim Senterra Pflegezentrum in Chemnitz kommt hinzu, dass der vorherige Träger seine Kostensteigerungen kaum an die Bewohner weitergegeben hat. Der Eigenanteil blieb über vier Jahre relativ konstant. Als die Alloheim-Gruppe übernahm, erhöhte er sich zwischen März 2017 und März 2020 dann sukzessive: Für die Pflege und Betreuung stieg der Tagessatz von 41,24 Euro auf 57,97 Euro, für die Ausbildungsumlage von 2,88 Euro auf 3,31 Euro, hinzu kommen 0,70 Euro für den Ausbildungszuschlag. Der Satz für die Unterkunft im Einzelzimmer liegt nicht mehr bei 11,45 Euro, sondern bei 14,88 Euro und für die Verpflegung bei 4,90 Euro statt 4,40 Euro. Die Investitionskosten stiegen innerhalb der drei Jahre von 18 Euro auf 23 Euro – pro Tag, wohlgemerkt. „Das ist für mich Abzocke. Wenn das zusätzliche Geld wenigstens bei den Pflegekräften ankommen würde“, sagt Brigitte Otto.

Das tut es, bekräftigt der Betreiber des Chemnitzer Pflegezentrums, in dem 115 Pflegebedürftige betreut werden. Für ihn sind die gestiegenen Personalkosten in erster Linie der Grund für die höheren Eigenanteile. Von 2014 bis 2019 ist der Pflegemindestlohn in Deutschland um über 30 Prozent gestiegen. „Allein bei den Pflegefachkräften in unserer Einrichtung in Chemnitz stieg das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt von Mitte 2017 bis Ende 2018 um über 20 Prozent“, sagt Alloheim-Sprecher Rüdiger Stahlschmidt. Das Einstiegsgehalt einer Pflegekraft in Chemnitz liege aktuell in der Regel bei 3.000 Euro brutto. Zum Vergleich: Sachsenweit verdienen Pflegefachkräfte laut Entgeltatlas der Bundesarbeitsagentur im Schnitt 2.557 Euro. Bei Alloheim kämen noch Funktions- und Schichtzulagen und Zusatzleistungen wie Altersvorsorge und Absicherung gegen Berufsunfähigkeit hinzu.

Miete ist der größte Kostenfaktor

Auch ein Großteil der Pflegehelfer würde über dem aktuellen Mindestlohn verdienen. Man lege Wert auf eine leistungsgerechte Bezahlung. Zudem sei eine zusätzliche Stelle in der Pflege und eine im sozialen Dienst besetzt sowie mehr Azubis eingestellt worden. „Die Aufstockung kommt der Pflege- und Betreuungsqualität der Bewohner zugute“, sagt Stahlschmidt. Patientenschützer Brysch hält dagegen: Es könne nicht sein, dass berechtigte Lohnsteigerungen in der Altenpflege von den Pflegebedürftigen getragen werden.

Und die Investitionskosten? Brigitte Otto sieht den enormen Bedarf in der Einrichtung ihrer Mutter nicht. „Es ist ja ein relativ neues Heim.“ Für die Ermittlung der Investitionskosten gibt es laut Alloheim ein standardisiertes Verfahren, bei dem die Einrichtung ihre tatsächlichen Kosten für Investitionen, Instandhaltung und Wartungsarbeiten gegenüber den Kostenträgern offenlegen muss. Laut Alloheim sei die Miete der bei Weitem größte Kostenblock.

Für Brigitte Otto ist das alles wenig nachvollziehbar. „Ich finde, die Heime verschleiern ihre Gewinne klug. Und das alles geht durch, ohne dass es einen Aufschrei im Land gibt“, sagt die 65-Jährige, die sich schon in Briefen an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und an die Landtagsabgeordnete Susanne Schaper (Die Linke) Luft gemacht hat. Beide hätten „solide geantwortet“, dass das Problem bekannt sei. Aber das bringe ja niemanden weiter.

„Hilfe zur Pflege“ vom Sozialamt

Verschiedene Verbände wie die Diakonie, AWO und auch die Stiftung Patientenschutz fordern schon lange, die Pflegefinanzierung grundlegend zu reformieren. „Pflege macht arm. Der Gesundheitsminister muss jetzt ein generationsgerechtes und zukunftssicheres Finanzierungskonzept vorlegen. Bislang kann er nur leere Versprechungen vorweisen“, sagt Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz. Er fordert eine Pflegevollversicherung, die komplett die reinen Pflegekosten übernimmt. „Den zusätzlichen Aufwand für Unterbringung, Verpflegung und Investitionen trägt weiterhin jeder selbst. Abhängig davon, welcher besondere Komfort gewünscht wird“, erklärt Brysch. Auch der Vdek sieht dringenden Handlungsbedarf für eine Reform. „Wir setzen uns dafür ein, dass die Leistungsbeträge angehoben werden, um kurzfristig die gestiegenen Kosten auszugleichen“, sagt Annett Lotze.

Nach einer Prognose des Statistischen Landesamtes werden in Sachsen im Jahr 2030 bis zu 240.000 Menschen pflegebedürftig sein. Im Jahr 2017 waren es knapp 205.000. Weil ihre Rente und ihr Erspartes für den Pflegeheimplatz nicht mehr ausreichen, müssen immer mehr ältere Pflegebedürftige die sogenannte „Hilfe zur Pflege“ beim Sozialamt beantragen. Die Ausgaben der Bundesregierung dafür sind innerhalb des vergangenen Jahres um 8,8 Prozent auf 3,8 Milliarden Euro gestiegen. Rund 10,5 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland haben laut Vdek 2018 die Unterstützung bezogen. Das entspricht 400.000 Menschen. In Sachsen waren es rund 14.400. Wer den Antrag erstmals stellen möchte, darf nur ein Schonvermögen von 5.000 Euro besitzen.

Keine Angehörigentreffen seit 2017

Im Senterra Pflegezentrum erhalten 14 Bewohner die „Hilfe zur Pflege“ vom Amt. Auch Klara Kristof hat im März den Antrag gestellt. Und das, obwohl sie mit ihrer Rente sowie der Witwenrente recht hohe Einkünfte von rund 1.825 Euro hat. Nach der Berücksichtigung des Selbstbehaltes wurden ihr 2,17 Euro monatlich bewilligt. Außerdem wurden die von ihr zu zahlenden Investitionskosten von 23 Euro auf 15,85 Euro pro Tag gesenkt. Das kann das Heim mit dem Sozialhilfeträger vereinbaren. Damit reduzierte sich der Eigenanteil immerhin um rund 217 Euro auf 1.707 Euro. Allerdings nur für drei Monate. Denn mit der Rentenerhöhung im Juli erlosch der Anspruch von Klara Kristof auf die „Hilfe zur Pflege“ gleich wieder. Seit Juli zahlt sie zunächst wieder den Eigenanteil von 1.924 Euro pro Monat. Ein Widerspruch dazu brachte allerdings Erfolg.

Die Frage ihrer Mutter, ob ihre Rente denn für das Pflegeheim ausreiche, beantwortet Brigitte Otto regelmäßig mit Ja. „Alles andere wäre für sie doch gar nicht vorstellbar“, so die Chemnitzerin, die sich gemeinsam mit ihren zwei Geschwistern um die Mutter kümmert. Sie wünscht sich, dass es im Pflegezentrum wieder Angehörigentreffen gibt. Seit 2017 habe keines stattgefunden. „Warum wohl? Dann würden sie doch den gesamten Unmut zu spüren bekommen und die Angehörigen könnten von ihrem Mitspracherecht Gebrauch machen“, sagt Brigitte Otto.

Die Stiftung Patientenschutz unterstützt und berät zum Thema Pflege: Telefon 030/28444840; E-Mail an: [email protected]

Informationen zu Pflege-Beratungsstellen gibt es unter: www.pflegenetz.sachsen.de

Pflegeleistungen zum Nachschlagen beim Bundesgesundheitsministerium