Warum sich Händler auf Arbeit schleppen

Rein, raus. Kalt, warm. Romy Diestel berät die Kundschaft auch mal an der Auslage vor ihrem Geschäft auf der Pirnaer Gartenstraße. Das gehört zum Service der Blumenhändlerin dazu. Im Handel geht es um guten Kundenkontakt. Besonders in der kalten Jahreszeit ist man dann aber vor umherschwirrenden Viren kaum geschützt. „Das härtet aber auch ein bisschen ab“, sagt Romy Diestel. Sie hat gern den Familienbetrieb Blumen-Schedretzky von ihrer Mutter übernommen, auch wenn sie weiß, dass es unmöglich ist, mal wegen einer Kleinigkeit krank zu machen. Zur Not springt vielleicht mal ein Familienmitglied ein, das eigentlich schon in Rente ist. „Oder man hat Angestellte, die flexibel sind“, sagt Romy Diestel.
Wohl dem, der Angestellte hat. Heike Büchner schmeißt ihre Parfümerie in der Pirnaer Schössergasse ganz allein. „Wäre ich krank, wäre der Laden zu“, sagt sie. Das könne man sich gar nicht mehr leisten, weil der Einzelhandel in Pirnas Innenstadt ohnehin schon schwierig genug ist.
Im Handel gibt es viele Kleinunternehmer, die mit Leidenschaft und viel Anstrengung versuchen, mit einem Geschäft ihr Auskommen zu bestreiten. Das könnte eine Ursache sein, warum der Handel im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge die Branche mit dem niedrigsten Krankenstand ist. Das wurde jetzt im Gesundheitsbericht der AOK Plus für das vergangene Jahr veröffentlicht. Dem lagen die Krankmeldungen von mehr als 130 000 Versicherten zugrunde.
Einmal krank in 30 Jahren
Der Krankenstand der bei der AOK Plus versicherten Arbeitnehmer im Landkreis ist demnach auf 5,7 Prozent gestiegen. Im Vorjahr lag er noch etwas niedriger. Der aktuelle Wert entspricht jedoch dem sächsischen Durchschnitt. Bundesweit betrug der Krankenstand aller AOK-Mitglieder 5,5 Prozent. 2017 lag er noch bei 5,3 Prozent.
Während der Krankenstand im Handel mit genau fünf Prozent am niedrigsten war, liegt die Branche Öffentliche Verwaltung/Sozialversicherung mit glatt sieben Prozent im Landkreis an der Spitze. Worauf diese Abweichungen beruhen, dazu gibt es allerdings keine fundierten Erkenntnisse.
Erfreulich ist der Statistik zufolge, dass fast 40 Prozent aller Versicherten das ganze Jahr über kein einziges Mal erkrankt waren, beziehungsweise sich nicht krank gemeldet hatten. Das sind allerdings weniger als noch ein Jahr zuvor. Die durchschnittliche Krankheitsdauer pro Einzelfall lag bei 12,6 Kalendertagen.
Auch für Goldschmiedemeisterin Konstanze Köhler ist das keine Überraschung, dass es im Handel den niedrigsten Krankenstand gibt. „Ich kann es mir ja gar nicht leisten, krank zu werden“, sagt sie. Dann müsste sie den Laden in dieser Zeit schließen. Eine Aushilfe ist kurzfristig kaum zu bekommen. Ist das Geschäft zu, fehlen die Einnahmen. Seit 30 Jahren ist sie Unternehmerin in Pirna. „Ein einziges Mal konnte ich wegen Krankheit nicht öffnen“, sagt sie. Das war nach einem schweren Verkehrsunfall, da ging nichts anderes.
Diese Situation war auch Manuela Keßler bewusst, bevor sie ihre Buchhandlung „Saatgut“ in Bad Schandau eröffnete. Angestellte kann sie von den Einnahmen nicht bezahlen. „Einmal konnte ich im vergangenen Jahr wegen Krankheit nicht öffnen“, sagt sie. Mit der Entscheidung habe sie sich schwergetan. Eine Alternative gab es nicht.
Langzeiterkrankungen von mehr als sechs Wochen verursachten laut Gesundheitsbericht 40 Prozent aller Arbeitsunfähigkeits-Tage. Zu den Krankheiten, die für längere Ausfälle sorgen, gehören neben Verletzungen und schwerwiegenden Problemen mit Muskeln und Skelett auch zunehmend psychische Erkrankungen.
Dass der eigene Beruf diesbezüglich manchmal belastend wird, kann Einzelhändlerin Heike Büchner gut nachempfinden. „Wenn ich den Laden zumache, ist das ja nicht gleichbedeutend mit Feierabend“, sagt sie. Das sei im Angestelltenverhältnis etwas anders. Bisher hatte sie es nicht bereut, sich selbstständig gemacht zu haben. Schädlich sei es allerdings, wenn ihr die wachsende Bürokratie das Leben noch schwerer macht. Dann frage man sich erst recht, wieso man sich jedes mal wieder auf Arbeit schleppt.