Warum werden mehr Pflegeeltern gesucht?

Der Landkreis sucht seit geraumer Zeit verstärkt Pflegeeltern. Warum wird deren Hilfe gebraucht?
Christina Hildebrand: Es geht vor allem darum, dass Kinder Familien brauchen. Besonders in den ersten drei Lebensjahren ist eine familiäre Bindung für die soziale Weiterentwicklung eines Kindes entscheidend. Da geht es um Urvertrauen. Wenn Herkunftsfamilien das nicht geben können, ist es unsere Aufgabe, familienersetzende oder -ergänzende Maßnahmen zu ergreifen – und diese möglichst in Pflegefamilien. Aktuell haben wir im Landkreis 193 Kinder in 166 Pflegefamilien.
Ist es zunehmend ein Problem, Pflegefamilien zu finden?
Kati Hille: Ich denke, das war schon immer eine Herausforderung. Aktuell stehen uns im Landkreis 178 Pflegefamilien zur Verfügung. 2014 waren es noch 144. Das Potenzial ist aber endlich. Denn die Entscheidung muss auch seitens der Pflegeeltern gut überlegt sein.
Hildebrand: Schwieriger ist die Situation sicher auch dadurch geworden, dass immer mehr Paare erst in späterem Alter selbst Eltern werden. Wenn die eigenen Kinder dann spät aus dem Haus gehen, sind viele Eltern in einem Alter, in dem sie sich keine Pflegekinder mehr zumuten. Eine vorgeschriebene Altersgrenze gibt es aber nicht.
Was sind das für Menschen, die ein Pflegekind aufnehmen?
Hildebrand: Hinter den Menschen stecken ganz unterschiedliche Motivationen. Die meisten Pflegeeltern sagen uns, sie wollen Kindern, die es bisher schwer im Leben hatten, eine Chance geben. Das sind sehr selbstlose Pflegeeltern. Es ist keinesfalls eine wirtschaftliche Erwägung. Pflegeeltern zu sein, heißt nicht Einkommensverbesserung. Da gehört viel mehr dazu. Ansonsten stellen wir fest: So unterschiedlich die Lebensbiografien der Pflegeeltern sind, so unterschiedlich ist die Motivation. Da gibt es eigene Wertvorstellungen und Ideale und auch das Bedürfnis etwas zurückzugeben an Kinder, die mit einem „schweren Rucksack“ kommen. Es geht um Kinder, die selbst schon viel erlebt haben. Da benötigen Pflegeeltern eine besondere Motivation. Oftmals haben Pflegeeltern selbst eigene Kinder und dennoch genug Platz und Liebe für andere Kinder. Deshalb kann man ihnen nicht genug danken für ihre Arbeit, die sie leisten. Vor allem in Zeiten, in denen mitunter berufliche und private Herausforderungen schwer übereingebracht werden.
Hille: Pflegeeltern sein, bedeutet mehr als ein Kind aufnehmen und es so zu betreuen wie die eigenen.
Weil Pflegekinder in der Regel Defizite mitbringen?
Hildebrand: Ja, in der Regel sind es meist Kinder, die viel erlebt haben und einen intensiven Bedarf an Betreuung haben, weil beispielsweise die leiblichen Eltern Drogen konsumieren, gesundheitliche Einschränkungen haben oder mit der Erziehung überfordert sind.
Kommen diese Kinder, die nicht bei ihren leiblichen Eltern sein können, unmittelbar in eine Pflegefamilie oder zunächst in ein Heim?
Hildebrand: Das ist unterschiedlich. Die Beurteilung, welche Hilfe für ein Kind notwendig ist, trifft das Referat Allgemeiner Sozialer Dienst im Jugend- und Bildungsamt des Landkreises. Das ist immer eine Einzelfallentscheidung.
Wie lange dauert die Vermittlung?
Hildebrand: Es muss zunächst geschaut werden, welche Defizite oder Anforderungen das Kind mit sich bringt. Dazu müssen die passenden Pflegeeltern ausgesucht werden. Das Profil des Kindes muss auf das Profil der Pflegeeltern passen. Manchmal geht das gut zusammen. Aber bei den immer schwieriger werdenden Profilen der Kinder ist es auch immer schwieriger, die passenden Pflegeeltern zu finden. Es ist darüber hinaus nicht nur ein Problem, überhaupt Pflegeeltern zu finden, sondern auch Eltern, die bereit sind, Kinder mit Defiziten aufzunehmen.

Das heißt, es gibt nicht nur immer mehr zu pflegende Kinder, sondern auch die Fälle werden schwieriger?
Hille: Ja, die Fälle werden aus unterschiedlichen Gründen schwieriger. Es sind eben nicht die Kinder aus der Fernsehwerbung, die wir vermitteln können. Wenngleich es sehr dankbare Kinder sind, die auf jede emotionale Zuwendung positiv reagieren, weil sie es zuvor so oft nicht kannten.
Welche Voraussetzung sollten Eltern mitbringen, wenn sie ein Pflegekind aufnehmen möchten? Vermutlich sollten sie auch genug Zeit haben…
Hille: Pflegeeltern müssen ihren Tagesablauf ändern und sich emotional auf die Situation einstellen können, um dem Kind die Unterstützung zu geben, die es benötigt. Bei Verwandtenpflegestellen sind die Anforderungen etwas geringer. Weil hier das Hauptaugenmerk darauf gelegt wird, zu schauen, dass die sozialen Beziehungen nicht für das Kind abbrechen.
Hildebrand: Die Anforderungen werden im Vorfeld genau geprüft. Es gibt umfangreiche Gespräche und Hausbesuche. Es ist wichtig, dass die Vermittlung erfolgreich verläuft im Sinn des Kindes und im Sinn der Pflegeeltern.
Ist später ein Zurück zu den leiblichen Eltern immer gut für das Kind?
Hille: Es bleibt immer die oberste Prämisse, dass das Kind in die Ursprungsfamilie zurückfindet. Seitens des Referates Allgemeiner Sozialer Dienst wird viel getan, um die Herkunftsfamilie des Kindes darin zu stärken, irgendwann wieder ihr Kind aufnehmen zu können.
Um diese Situation wissen sicher auch Pflegeeltern. Aber kommen sie immer gut damit klar, wenn ein Pflegekind nach Jahren in der Familie wieder geht?
Hildebrand: Pflegeeltern müssen immer auch loslassen können. Abschied zu nehmen, ist sicherlich eine besondere emotionale Herausforderung. Manche Pflegefamilien haben hier feste Rituale entwickelt, um das Abschied nehmen für die Pflegekinder, aber auch für die eigene Familie, als eine wertvolle Lebensphase zu begreifen und dankbar zu sein für eine unvergessliche gemeinsame Zeit als Familie.
Wohin können sich Interessierte wenden, wenn sie Pflegeeltern werden möchten?
Hildebrand: Wir informieren regelmäßig zum Thema „Pflegeeltern werden“ auf Informationsabenden, zu denen jeder Interessierte unverbindlich kommen kann. Beratung leisten auch jederzeit der Pflegekinderdienst des Referates Besondere Soziale Dienste und Förderung im Jugend- und Bildungsamt am Standort in Freital, Dippoldiswalde und Pirna sowie die Pflegeelternberatung der Diakonie Pirna. Wir sind sehr dankbar für jeden, der sich für diese verantwortungsvolle Aufgabe interessiert.
Die nächsten Informationsabende für Interessierte finden an folgenden Terminen statt: 4. Juni, um 18 Uhr, im Landratsamt Pirna, und am 5. November, um 18 Uhr, im Landratsamt Dippoldiswalde.
Das Gespräch führte Verena Schulenburg.
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