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Was aus den Fortschritt-Leuten wurde

Der größte Betrieb in der Region beschäftigte in der DDR bis zu 3 300 Mitarbeiter. Nur wenige durften nach der Wende bleiben.

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Die Zerschlagung des DDR-Landmaschinenkombinates „Fortschritt“, zu dem auch das Mähdrescherwerk Bischofswerda/Singwitz gehörte, traf Anfang der 1990er Jahre Tausende Familien in der Region. Die meisten Mitarbeiter des Werkes in Bischofswerda bekamen 1991 die Kündigung. Viele von ihnen saßen da schon seit Monaten zu Hause, weil im Werk nicht mehr produziert wurde. Leitende Angestellte fuhren zu den Kollegen nach Hause und überbrachten die Kündigungen. Ein schwarzer Tag.

Von den 6 800 Mähdrescherwerkern arbeiteten allein 3 300 in Bischofswerda. Rund 100 von ihnen wurden 1991/92 von der Firma Aicher übernommen, die das Werk am Drebnitzer Weg kaufte. Das Gros der Mitarbeiter ging in die Arbeitslosigkeit. Viele fanden anschließend keinen richtigen Job mehr. Stellvertretende für die vielen sprach die SZ mit zwei ehemaligen Fortschritt-Beschäftigten.

„Ich wollte so früh nicht aufhören“

Hermann Schramm, als Obermeister für rund 100 Mitarbeiter in den Bereichen Schweißerei, Klempnerei und Oberflächenbearbeitung zuständig, war einer der Letzten, die das Mähdrescherwerk verlassen haben. Er wickelte bis 1992 den Betrieb mit ab. „Wir bauten die Maschinen ab und räumten die Hallen leer“, sagte der 78-Jährige. „Es war für uns ein Sprung ins kalte Wasser“, beschreibt der Schmöllner die damalige Zeit. Er selbst stand Anfang der 90er-Jahre vor der Entscheidung, entweder in den Westen zu gehen oder das Angebot anzunehmen, mit 55 Jahren in den Ruhestand zu treten. „Ich wollte nicht so früh aufhören“, sagt Hermann Schramm. Trotzdem entschied er sich für die Rente mit 55 – „eine einmalige Sache“. Bereut hat er es nicht. Obwohl er sich sicher ist, dass er auch in den Altbundesländern bestanden hätte. „Die Berufsausbildung in der DDR war sehr gut. Viele meiner Kollegen, die in den Westen gegangen sind, wurden dort als Fachleute anerkannt“, sagt er.

„Ich glaubte nicht, dass es weitergeht“

Eckhard Güntzschel, gelernter Schlosser und später Auslandsmonteur, war Anfang 30, als der Abschwung im Mähdrescherwerk begann. Dass es dort mal wieder aufwärts gehen könnte, glaubte er 1990 nicht. „Wir mussten uns neu orientieren. Jeder stand vor der Frage: Wie geht’s nun weiter?“, sagt der jetzt 58-Jährige. Der Bischofswerdaer fand seine Antwort: Er pendelte mit zwei Kollegen zur Arbeit in den Westen. Erst in die Nähe von Nürnberg, dann direkt in die fränkische Metropole, später in die Oberpfalz. Bei seiner Familie in Bischofswerda war er nur noch Wochenendgast. Wie „ein Fünfer im Lotto“ sei es da gewesen, als er nach drei Jahren Pendeln eine Stelle bei einer großen Baufirma in Dresden fand, sagt Eckhard Güntzschel. Leider währte die nur anderthalb Jahre. Es folgten Phasen der Arbeitslosigkeit, von ABM und sechs Jahre Zeitarbeit. Durch die Zeitarbeit fand er eine feste Stelle in einem Wachauer Metallbaubetrieb. Dort arbeitet Eckhard Güntzschel jetzt wieder als Schlosser. (szo/ir)