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Was die Absage auf dem Sachsenring kostet

Keine Motorrad-WM in diesem Jahr. Das größte deutsche Sportereignis fällt aus. Das trifft vor allem die Menschen vor Ort.

Von Maik Schwert
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Motorrad-WM auf dem Sachsenring – das ist mehr als nur Sport. Zum Kult gehören die vielen Zuschauer und der Campingplatz Ankerberg (im Hintergrund).
Motorrad-WM auf dem Sachsenring – das ist mehr als nur Sport. Zum Kult gehören die vielen Zuschauer und der Campingplatz Ankerberg (im Hintergrund). © dpa/Jan Woitas

Sie lagen voll im Plan auf dem Sachsenring. Nach schier endlosen Diskussionen und Verhandlungen in den vergangenen Jahren lief diesmal alles geräuschlos, fast schon entspannt mit den Vorbereitungen auf den Höhepunkt schlechthin, den Motorrad-Grand-Prix auf dem Kultkurs. „Die geforderten Umbauten waren abgeschlossen, die Sicherheitsmaßnahmen in der Endphase“, sagt Sportvorstandsmitglied Peter Weidinger vom ADAC Sachsen.

In dieser Woche hätte der Aufbau mobiler Tribünen begonnen. Hätte... Denn Tribünen braucht jetzt keiner, genauso wenig wie kilometerlange Stromkabel und provisorische Wasserleitungen. Das Motorradrennen auf dem Sachsenring, terminiert für den 19. bis 21. Juni, fällt aus – wie „alles, was jetzt kommen sollte“, meint Weidinger. Und eine Veranstaltung ohne Fans an der Strecke war nie wirklich ein Thema.

„Geisterrennen sind unwirtschaftlich an einer nicht permanenten Rennstrecke“, sagt ADAC-Motorsportchef Thomas Voss und liefert damit den entscheidenden Grund für die Streichung des Wochenendes aus dem Moto-GP-Kalender. Der Sachsenring ist die einzige WM-Strecke, die jedes Mal speziell für den Grand Prix aufgebaut werden muss. „Die Kosten übersteigen alles“, sagt Voss. Insgesamt verschlingt der deutsche WM-Lauf neun Millionen Euro, und Rechteinhaber Dorna hätte den Veranstaltern diesmal entgegenkommen müssen.

Das Teuerste am Grand Prix ist die Gebühr, die der ADAC an die Dorna zahlen muss: vier Millionen Euro, dass die Motorrad-WM am Sachsenring fährt. Der Vertrag sei diesmal aufgrund höherer Gewalt formal ausgesetzt worden, so Voss. Der Aufbau mobiler Tribünen hätte 800.000 Euro gekostet, die externe Energieversorgung 600.000 Euro.

Die Rennen leben von den Fans

Der ADAC habe Vorauszahlungen leisten müssen, Kosten bleiben hängen. Doch das habe keine größeren Konsequenzen, weder für den ADAC noch den Ausrichter vor Ort, die Sachsenring-Event-GmbH.

ADAC und Dorna prüften auch eine Verlegung in den Herbst. „Letztlich war uns die Gesamtsituation zu unsicher“, sagt Voss. Bei bereits 70.000 verkauften Eintrittskarten bis zum Ausbruch der Corona-Krise erwarteten die Organisatoren erneut rund 200.000 Besucher. Sie machen den Motorrad-Grand-Prix seit 1998 zum größten deutschen Sportereignis des Jahres und zu einem der WM-Läufe mit den meisten Fans. Voss vermutet: „Wir hätten nicht alle reinlassen dürfen. Ohne sie bringen wir das nicht übers Herz. Dieses Wochenende lebt von ihnen.“

Er verweist auf den Ankerberg, wo bis zu 15.000 Fans campen. „Geisterrennen wären auch Betrug am Publikum und für uns sinnlos gewesen“, sagt Voss. Seine Sorge: Dass Ausländer wegen der Ausgangs- und Reisebeschränkungen nicht kommen dürfen. „Wir haben ein sehr stark internationales Feld. Viele kommen aus Frankreich, Italien und Spanien. Die Länder sind deutlich schwerer von der Pandemie betroffen“, betont der ADAC-Motorsportchef, er befürchtet kurzfristige Absagen. Dann lieber eine konsequente Entscheidung.

Doch der erste Ausfall seit 1998 hat Folgen, vor allem finanzielle für die Menschen vor Ort. „Es ist sicherlich ein zweistelliger Millionenbetrag, der an Umsätzen in der Region verloren geht. Das ist für Hotels, Pensionen, Caterer und Campingplatz-Betreiber ein großer Verlust, den sie stemmen müssen“, sagt Sachsens ADAC-Mann Weidinger. Betroffen sind auch Brauereien, Elektrofirmen, Fleischereien, Zimmereien und die Gastronomen. Manche machen am Rennwochenende die Hälfte ihres Jahresumsatzes, für sie ist der WM-Lauf überlebenswichtig.

Für Absage mehr Verständnis als für Geisterrennen

Insgesamt rund 25 Millionen Euro geben die Motorrad-Fans jährlich am Sachsenring aus, davon bleiben zwei Drittel in der Region hängen. Hotels zwischen Freiberg und Plauen melden 40.000 Schlafgäste. „Die Leute sind extrem motorsportverrückt und ihre Reaktionen entsprechend. Doch sie haben trotz aller Enttäuschung für die Absage mehr Verständnis als für ein Geisterrennen“, sagt Weidinger, zumal die Vorbereitungen für 2021 nun einen guten Vorlauf haben. Er wünscht sich wieder den üblichen Termin im Juni oder Juli. Die Tickets bleiben gültig.

Voss richtet aber auch einen Appell an die Landesregierung, die zwar den Wintersport im Erzgebirge und andere Sportarten fördere. „Es wäre schön, wenn das Land sich auch zu dieser Veranstaltung deutlich bekennen würde“, sagt er. Bald soll es dazu erste Gespräche geben.

Der Freistaat, der das Rennen als „herausragendes sportliches Ereignis mit internationaler Strahlkraft“ wertet, hat den Sachsenring seit 1990 bislang mit etwa 35 Millionen Euro gefördert. Der Betrag entspricht rund der Hälfte der gesamten Investitionssumme an der Rennstrecke. Auch weitere Gespräche mit der Dorna stehen bevor. Der Vertrag, der im nächsten Jahr ausläuft, soll bis 2026 verlängert werden. „Wir sind da schon relativ weit“, sagt Voss. Alles lief nach Plan. Nun muss er aber einmal mehr feststellen: „Die Bedingungen werden durch Corona nicht einfacher.“

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