Was die Mittagspause über uns verrät

Die Art und Weise, wie wir die Mittagspause verbringen, sagt viel über unsere Persönlichkeit aus. Dass mehr und mehr Arbeitnehmer den Kantinengang mit Kollegen meiden und lieber vor dem Computer essen, ist nur ein Trend, den Arbeitspsychologe Hannes Zacher beobachtet.
Herr Zacher, Sie erforschen die moderne Arbeitswelt und machen dabei selbst einen aktuellen Trend mit: Desktop Dining. Was genau ist das?
Als Desktop Dining bezeichnet man das Essen in der Mittagspause vor dem PC. Es ist ein immer stärker auftretendes Phänomen. Viele Berufstätige entscheiden sich dagegen, mit Kollegen in die Kantine zu gehen. Ich auch. Ich bringe mir meist etwas von zu Hause mit.
Warum?
Meine persönliche Motivation hängt mit meiner Rolle als Vorgesetzter zusammen. Als Chef halte ich mich lieber zurück. Die Mitarbeiter sollen die Zeit haben, frei und unter sich zu sprechen.
Sie glauben, dass Sie als Chef am Mittagstisch stören?
Das legen Studien nahe. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Erholungseffekt der Mittagspause größer ist, wenn man nicht über die Arbeit spricht, sondern andere Gesprächsthemen findet, die ablenken. Sind Chefs anwesend, dominieren aber meist Arbeitsthemen. Mitarbeiter werden dann auch in der Pause das Gefühl des Leistungsdrucks nicht los. Deswegen ist meine Präferenz häufig Desktop Dining.
Dennoch sind es nicht nur Menschen in Führungspositionen, die am Rechner Pizza, Pasta oder Salat essen.
Das stimmt. Die Forschung zeigt, dass je stressiger der Job ist und je mehr Verantwortung man trägt, die Tendenz steigt, die Mittagspause zu verkürzen. Aber Vorsicht: Es gibt dazu keine repräsentative Untersuchung, sondern nur Stimmungsbilder. Die Zahl der Menschen, die Desktop Dining betreibt, schwankt vermutlich zwischen 30 und 70 Prozent. Man macht das ja auch nicht jeden Tag. Wenn man mal früher nach Hause will, bringt man sich etwas zu essen mit. Insofern ist das Phänomen auch ein Weg, Abwechslung in den Arbeitsalltag zu bringen.
Der Hauptgrund ist jedoch die zunehmende Intensivierung der Arbeitswelt. Der Zeitdruck wächst, immer mehr Aufgaben müssen in derselben Zeit erledigt werden beziehungsweise es machen weniger Personen die gleiche Arbeit. Viele versuchen so, Zeit einzuarbeiten. Der Trend geht daher auch zu kürzeren Pausen, um die Arbeit nicht so häufig zu unterbrechen. 15 Minuten Mittagspause werden immer üblicher.

Ist eine Ursache aber vielleicht auch, dass man Kollegen bewusst aus dem Weg gehen will?
Das kann in Einzelfällen eine Rolle spielen, ist aber nicht der Hauptantrieb. Desktop Dining ist eine vermeintliche Effizienzstrategie. Man versucht so, mehr aus sich und dem Arbeitstag herauszuholen. Erwerbstätige wünschen sich mehr Freizeit und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Über das Abkürzen der Pause kann man früher nach Hause. Natürlich sind Menschen verschieden. Nicht jeder will Zeit mit Kollegen verbringen. Man sollte sich aber der negativen Folgen bewusst sein.
Welche negativen Folgen meinen Sie?
Zum einen sind das soziale Konsequenzen, die ich erlebe, wenn ich mich abspalte. Ich verpasse möglicherweise etwas und fühle mich weniger eingebunden ins Team. Zum anderen ist Desktop Dining meist ohnehin nicht erholsam. Viele Erwerbstätige glauben, dass sie so die Zeit effektiver nutzen und während des Mittagsessens kleinere Aufgaben erledigen können; das geschieht aber häufig nur halbherzig und nicht mit der notwendigen Konzentration. Andere versuchen erst gar nicht, parallel zum Desktop Dining Aufgaben zu erledigen, sondern surfen im Internet, erledigen private Einkäufe oder spielen am Computer. Das ist auch problematisch, weil ihnen so Erholungszeit abseits des Bildschirms fehlt.
Wie sieht es da mit Ihren persönlichen negativen Konsequenzen aus?
Ich suche bewusst nach Ausgleichstrategien. Ein Beispiel: Anstatt einem Kollegen eine E-Mail zu schreiben, treffe ich Absprachen lieber gern direkt. Auch so vermeidet man, den Anschluss ans Team zu verlieren.
Ist auch schlechtes Kantinenessen schuld am Desktop Dining?
Jeder kennt das Mittagstief nach einem üppigen Essen, wie es in vielen Betriebskantinen serviert wird. Natürlich wird man danach weniger aufmerksam an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Gesunde Ernährung kommt in vielen Kantinen noch immer zu kurz. Aber es gibt positive Beispiele. Ein großer deutscher Automobilhersteller verwendet zum Beispiel ein Ampelsystem, das über gesundes Essen aufklärt. Fakt ist: Nach einem Salat lässt es sich definitiv besser arbeiten als nach der Currywurst. Ganz generell ist es ratsam, mehrere kleine Pausen zu machen. Das ist erholsamer.
Wie sollte die optimale Betriebskantine in Ihren Augen aussehen?
Eine gute Kantine sollte Wahlmöglichkeiten und Abwechslung bieten, aber nicht zu viel Auswahl auf einmal. Standards sind mittlerweile ein vegetarisches oder veganes Essen und immer häufiger auch eine Salatbar. Generell sollten die Preise so niedrig wie möglich bei hoher Qualität sein, um Mitarbeiter zum gemeinsamen Essen zu überzeugen. Das stärkt den sozialen Zusammenhalt und verbessert das Betriebsklima. Ab und zu sollte man zur Abwechslung Aktionswochen mit internationalen oder regionalen Spezialitäten anbieten.
Welche Trends für die Pausengestaltung beobachten Sie noch?
Immer mehr Erwerbstätige betätigen sich körperlich, sei es bei einem Spaziergang oder im Fitnessstudio. Beliebter werden auch Entspannungspausen, in denen man Musik hört, Yoga macht oder meditiert. Andere fahren kurz nach Hause oder treffen sich mit dem Partner oder Freunden im Restaurant.
Ich habe auch von Einzelfällen gehört, in denen sich Erwerbstätige während der Mittagspause in der Toilette einschließen, um einfach Mal ihre Ruhe zu haben. Generell kann man sagen, extrovertierte Menschen sind gern Teil der Gruppe, während Introvertierte sich zurückziehen und Ruhe brauchen. Zufriedene Mitarbeiter, die sich mit ihrer Arbeit identifizieren, verbringen die Mittagspause auf Arbeit und mit Kollegen, unzufriedene Mitarbeiter distanzieren sich eher, wenn es möglich ist.
Wie sieht es mit Pausenschlaf aus? In Berlin gibt es zum Beispiel ein Schlafstudio. 30 Minuten in einer Schlafnische kosten 15 Euro.
Ein sogenannter Power-Nap von mehreren Minuten kann in der Tat die Batterien wieder aufladen, sodass Mitarbeiter danach erholter und mit mehr Energie an die Arbeit gehen. Wichtig ist, dass man dabei unbeobachtet und ungestört ist. Viele Menschen können aber nicht in der Mittagspause schlafen. Nach unseren Studien ist Napping in der Mittagspause noch nicht sehr weit verbreitet; nur ein geringer Prozentsatz von Mitarbeitern gönnt sich ein Schläfchen. Aber es gibt in immer mehr Unternehmen Ruheräume oder –sessel, in denen Mitarbeiter besser abschalten können als im Großraumbüro oder vor dem PC.
Haben Sie noch Tipps, was man tun kann, wenn man einfach nicht weiß, worüber man beim Mittag reden soll?
Es empfiehlt sich in jedem Fall, Small Talk zu üben. Arbeit ist ein professioneller Kontext, in dem man nicht so frei sprechen kann wie im Privatleben. Und inwiefern Freundschaften auf Arbeit entstehen, ist sehr individuell. Auch sollte man gut abwägen, was man überhaupt von sich preisgeben will und was nicht. Es bietet sich immer an, sich nach dem Wochenende zu erkundigen oder nach dem letzten Urlaub.
Auch künftige Pläne sind ein dankbares Thema. Wenn man sich besser kennt, kann man auch nach der Familie fragen. Generell ist es gut, Fragen zu stellen und nicht nur von sich zu reden. Es gibt aber auch Themen, die man eher meiden sollte: Von Politik, Religion und Gehaltsvergleichen würde ich abraten.
Das Gespräch führte Melanie Schröder.