Von Gabriel Wandt
Cornelius Gurlitt – das ist doch der, der die vielen Bilder geraubt hat. Seit einiger Zeit geistert dieser Name durch die Medien, mitsamt der unglaublichen Zahl an Kunstwerken, die bei ihm gefunden worden sind. Der Name Gurlitt war den meisten Menschen zuvor völlig unbekannt. Dabei hat ein Gurlitt etwas Bedeutendes für Sachsen und die Oberlausitz geleistet: Er hat das wichtigste existierende Foto des Großen Zittauer Fastentuchs machen lassen, er hat Kirchen und ungezählte Gebäude in Löbau, Zittau, Ebersbach und vielen anderen Orten der Region und darüber hinaus dokumentiert. Er hat Bau- und Kunstdenkmäler aufgelistet in einem Werk, das 41 Bände umfasst. Passiert ist das alles vor über 100 Jahren, und doch ist diese Darstellung bis heute unerreicht – und wird bis heute eifrig genutzt.





Cornelius Gurlitt, der genauso heißt wie der noch lebende Kunstsammler, war Professor an der Technischen Hochschule in Dresden und stammt aus einer Familie mit künstlerischer Ader. Er wurde 1850 bei Wurzen geboren, studierte Architektur in Wien und Berlin, verließ die Unis aber ohne Abschluss. Ab 1873 arbeitet er in Dresden, wie aus biografischen Daten hervorgeht, die die Technische Universität in einem Internetportal zusammengestellt hat. 1893 wird er Professor, ein Jahr später wird er sogenannter Inventarisator einer Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler. In ihr bleibt er Mitglied bis mindestens 1930 – und mit großer Leidenschaft macht er sich nun ans Werk. Das Projekt, die sächsischen Kunstdenkmäler zu erfassen, war bereits 1881 ins Leben gerufen worden. Gurlitt vollendete es. Bis heute ist es untrennbar mit seinem Namen verbunden. „Was er geschafft hat, ist eine herausragende Leistung“, sagt Regine Wiemer, Leiterin des Löbauer Stadtmuseums. Sie selbst, Bauherren und Architekten arbeiten bis heute mit seinen Übersichten. So führte Gurlitt die Löbauer in die Nikolaikirche beim Forschen nach der Herkunft einer Plastik im Museumsbestand. Die könnte einst in der Kirche gestanden haben, als dort noch ein dreiflügliger Altar aufgebaut war. Überhaupt dokumentiert Gurlitts Band über die damalige Amtshauptmannschaft Löbau unter anderem den alten Zustand von Löbaus Hauptkirche. Er zeigt, wie sie aussah, bevor sie außen und innen ihre heutige Form erhalten hat. Als die Gemeinde 2009 eine Broschüre über das Gebäude erstellen ließ, waren Gurlitts Aufzeichnungen dafür eine wichtige Grundlage.
In Zittau ist man ebenfalls froh, diese Übersichten zu haben. „Aus dem Gurlitt stammt das wichtigste Foto, das wir vom Großen Fastentuch haben“, sagt Marius Winzeler, Direktor der Städtischen Museen. Er zieht den Hut vor Gurlitts Leistung der umfassenden Beschreibung so vieler Objekte. Was da für Sachsen vorliege, suche im europäischen Maßstab seinesgleichen, betont er. Das historische Werk ist für Winzeler tägliches Arbeitsmittel – entsprechend benutzt sieht sein Exemplar mittlerweile auch aus. Auch für Winzelers großes Vorhaben, historische Zittauer Epitaphien, also künstlerische Grabdenkmäler, restaurieren zu lassen, ist Gurlitts Beschreibung die Grundlage. Dessen Akribie und Leidenschaft, aber auch sein Vermögen, viele Informationen auf sehr knappem Raum unterzubringen, beeindrucken Winzeler bis heute. Er wünschte sich, dass heute erneut ein solches Dokumentationsprojekt möglich wäre. Alle Versuche seien nicht weit gekommen, bedauert er. Die kurzen, prägnanten Darstellungen, die Winzeler schätzt, helfen wiederum dem Zittauer Architekt Volker Kretschmer nicht so richtig weiter. Er hat den Gurlitt beispielsweise im Zusammenhang mit der Sanierung des Noack’schen Hauses zur Hand genommen. Doch mehr als allererste Informationen für die Restaurierung seien dort nicht zu finden gewesen. Verdienstvoll sei das Werk aber allemal, erklärt auch er.
Aber auch für Laien ist ein Blick in Gurlitts Dokumentation spannend: Zeichnungen und Fotografien geben Einblick, wie Gebäude, Stadtmauern oder Brücken vor 100 bis 150 Jahren ausgesehen haben. So findet sich in dem Band über Löbau eine Ansicht des Großhennersdorfer Schlosses oder eine Zeichnung des alten Bernstädter Rathauses.
Gurlitts Leistung auf diesem und anderen Gebieten wurde schon zu seinen Lebzeiten gewürdigt. Er wurde mit Ehrendoktorwürden, Orden und Medaillen bedacht und gilt heute als Begründer der sächsischen Denkmalpflege. Unterstützung für seine dokumentarische Arbeit hat er sich übrigens auch vor Ort geholt. Viele Zeichnungen von Objekten der südlichen Oberlausitz stammen von einem Ingenieur der Zittauer Bauschule