Professor Faustmann, warum werden vor allem die Deutschen für die Krise in Zypern verantwortlich gemacht?

Weil in zypriotischer Wahrnehmung der Hauptgeldgeber Deutschland die Bedingungen diktiert. Wenn Angela Merkel die Verstaatlichung der Pensionsfonds ablehnt, dann lehnt ihn nicht die Bundeskanzlerin Deutschlands ab, sondern Europa. Das ist genauso eine Vereinfachung wie es in Deutschland die Vereinfachung gibt, das ganze ausländische Geld in Zypern kommt von der russischen Mafia, und jeder russische Geschäftsmann hat illegale Absichten. Dann kommen noch Äußerungen deutscher Politiker hinzu wie von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Zypern sei nicht systemrelevant. Das hat auch nicht gerade prodeutsche Gefühle ausgelöst.
Können Deutsche getrost auf Zypern Urlaub machen? Erleben Sie antideutsche Anfeindungen?
Nein. Der Zypriote kann sehr gut unterscheiden zwischen Deutschen und deutscher Politik. Ich bin selbst Deutscher und lebe auf Zypern. Ich habe nicht einen einzigen feindseligen oder unhöflichen Kommentar gehört. Zyprioten sind ausgesprochen friedliebende Zeitgenossen. Die Demonstrationen werden weitgehend gewaltfrei ablaufen. Auch in Griechenland können die Deutschen Urlaub machen, ohne dass man von Anfeindungen hört.
Fühlen sich die Zyprioten auch von Russland unfair behandelt?
Das war schon ein Dämpfer. Ich glaube nicht, dass die Zyprioten erwartet haben, dass die Russen – mit denen es nicht nur wirtschaftliche, sondern auf vielen anderen Ebenen gute Beziehungen gibt – Zypern so hängen lassen. Das ist schon eine Delle im Verhältnis zwischen zwei Ländern, da es aus griechisch-zypriotischer Sicht mit Russland bislang nicht die gleichen negativen historischen Erfahrungen gab wie mit Großbritannien oder Amerika.
Warum klammert sich die Regierung so an das Geschäftsmodell Steueroase? Gibt es keine Alternativen?
Nicht kurzfristig. Zypern kann nicht produzieren. Das bisschen produzierende Industrie, die vorhanden war, wurde im Zuge der Zollunion mit der Europäischen Union weitgehend plattgemacht. Es ist illusorisch, von Zypern zu erwarten, produzierendes Gewerbe zu entwickeln. Zypern ist seit über 30 Jahren ein Finanzdienstleister. Die Leute sind darauf spezialisiert. Die Insel ist voll mit Bankangestellten, Rechtsanwälten und Buchhaltern, die hochspezialisiert sind. Das wäre so, als ob sie den Luxemburgern sagen würden, macht doch etwas anderes. Denen fiele auch nichts anderes ein. Aber das sagen die Deutschen den Zyprioten: „Macht doch etwas anderes“. Aber was denn? Darin liegt das Problem.
Wie realistisch ist es, dass die Gasförderung vor der Küste in absehbarer Zeit beginnen kann?
Nach zypriotischer Planung soll ab 2015 Gas fließen, aber rein zur Versorgung des eigenen Teils der Insel. Und frühestens 2017 bis 2019 will man so weit sein, dieses Gas exportieren zu können. Erst dann, wenn sich dieses Gas zu marktüblichen Preisen verkaufen lässt, ist mit Einnahmen zu rechnen. Zypern sitzt auf einem riesigen Schatz. Aus meiner Sicht stürzt man das Land unnötig in eine tiefe Wirtschaftskrise, die dann auch dazu führen wird, dass das Land die Schulden nicht bedienen kann und weitere Kredite brauchen wird. Man hätte am Geschäftsmodell Korrekturen vornehmen müssen, es aber am Leben lassen müssen.
Gibt es Zahlen, die beschreiben, wie groß dieser Schatz ist?
Ein Gasfeld in einem von insgesamt 13 Blöcken ist schon gefunden. Bei den anderen laufen die Probebohrungen. Der Wert des Gases in diesem Block wird allein auf etwa 74 Milliarden US-Dollar geschätzt. Insgesamt gehen die Schätzungen für das gesamte Gasfeld hoch auf 200 bis 1000 Milliarden Euro. Weil man noch nicht weiß, wie groß das Rohstoffvorkommen wirklich ist , sollte man die kleinste wie die höchste Zahl mit Vorsicht genießen.
Was sind die größten Hürden, die überwunden werden müssen?
Zum einen liegt das Gas ziemlich tief. Deshalb wurde es bislang nicht gefördert. Das zweite größere Problem besteht darin, wie das Gas exportiert werden kann. Der natürlichste Weg wäre über die Türkei und die Nabucco-Pipeline nach Europa. So möchte Zypern auch sein Gas verkaufen – nach Europa. Das ist übrigens wohl ein Grund, warum es mit Russland keine Einigung gab. Denn Zypern will das Gas als alternative Versorgungsquelle zu Russland anbieten, um die Energieabhängigkeit Europas von Russland zu verringern. Jetzt hält aber die Türkei den Nordteil der Insel besetzt. Man kann also die Pipeline für zypriotisches Gas nicht nutzen, ohne das Zypernproblem zu lösen.
Der Schatz kann also nicht gehoben werden?
Doch, die Zyprioten haben sich entschieden, eine Gasverflüssigungsanlage zu bauen. Diese Anlage macht das Gas jedoch teurer. Die Anlage kostet schon einmal acht bis zehn Milliarden Euro. Allerdings ist nun der Frackingboom ausgebrochen, bei dem man mittels hydraulischem Druck und Chemikalien Schiefergestein aufbricht und so Gas gewinnt. In den USA wie auch in Europa und Deutschland werden riesige Vorkommen vermutet. Es ist unklar, wie sich der Gaspreis durch Fracking entwickelt. Wenn er so hoch wie jetzt bleibt, dann kann man viel Geld verdienen. Wenn er stark sinkt, kann es sein, dass verflüssigtes Gas unwirtschaftlich wird.
Gibt es ein Interesse an der Lösung des Zypernproblems, und wie könnte sie aussehen?
Die Ideallösung wäre, die Türkei mit ihrer wachsenden Industrie und ihrem Interesse an billigem Gas und Öl, würde ihren steigenden Energiebedarf mit Gas aus Zypern stillen. Die türkischen Zyprioten bekommen wohl kein Geld, wenn es keine Lösung des Zypernproblems gibt. Die griechischen Zyprioten können nur sicher gewinnbringend fördern, wenn sie das Gas über die Türkei exportieren. Wenn dieses Szenario so eintritt, gäbe es für alle drei Seiten einen guten Grund, das Unmögliche möglich zu machen und es zu schaffen, das Zypernproblem zu zu lösen. Weil es eine Win-Win-Geschichte wäre.
Zurück zur Gegenwart: Wie ist die Krise im täglichen Leben zu spüren?
Seit vergangenem Jahr geht es mit der Insel stark bergab. Das erste Memorandum mit der Troika hat zu Gehaltseinbußen von zehn bis 20 Prozent geführt. Das hat fast alle Menschen auf Zypern betroffen. Gleichzeitig steigen die Steuern, die Geschäfte machen zu. Die Arbeitslosigkeit ist von zehn Prozent vor einem Jahr auf jetzt 14 Prozent angestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent. Die Wirtschaftskrise schlägt ohnehin schon voll durch. Nach den Entwicklungen der letzten Woche geht die Wirtschaft vom Sink- in den Sturzflug über und wird völlig abschmieren.
In Griechenland erhielten in dieser Situation rechtsradikale Parteien Zulauf. Gibt es in Zypern ähnliche Gefahren?
Nein. Auch wenn es einige Politikverdrossenheit gibt, glaube ich nicht, dass sich die politische Landschaft kurzfristig verändern wird. Mittelfristig vielleicht. Das wird davon abhängen, wen man dafür verantwortlich macht, dass Zypern so abgeschmiert ist und wie sich die Politiker in der Krise verhalten. Es gibt eine kleine rechte Partei, die nicht im Parlament ist. Sie wird vielleicht etwas mehr Zulauf haben. Großes Wählerpotenzial für eine extrem rechtsnationalistische Partei sehe ich nicht. Es gibt jedoch Potenzial für eine nationalistische Partei, die in der Zypernfrage ein Hartliner wäre.
Was kommt auf die Menschen zu, wenn die größten Banken abgewickelt werden?
Das wäre so, als ob Sie den Deutschen erklären müssten, dass in zwei Wochen oder zwei Monaten die Autoindustrie und die chemische Industrie dichtgemacht werden. Die Folgen sind: Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Absturz der Staatseinnahmen, erneuter Kreditbedarf, weil Zypern seine Schulden nicht zurückzahlen kann. Die Steuern, die diese Banken und Investoren bezahlt haben, waren ein wichtiger Teil der Staatseinnahmen. Jetzt hat man Zypern auf das griechische Gleis gesetzt. Das war nicht nötig.
Aber warum sollen die Deutschen helfen, ein riskantes Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten?
Das ist das gleiche Geschäftsmodell, das Irland, Malta, Luxemburg haben. Es gibt Länder, die viel Geld damit verdienen, Steueroasen zu sein. Luxemburg ist die größte. Und kein Mensch hat ein Problem mit Luxemburg. Jetzt hat man ein Land mit einem problematischen Geschäftsmodell plattgemacht. Das ist aus meiner Sicht das Unfaire. Man sagt, der Bankensektor ist zu groß für die Wirtschaft. Das stimmt, er ist achtmal so groß wie die Wirtschaftsleistung. Aber in Luxemburg ist es das Zwanzigfache. Hat man Irland oder Luxemburg gezwungen, ihr Geschäftsmodell zu ändern - Nein. Man kann nicht einem Land, das seit 30 Jahren auf Finanzdienstleistungen spezialisiert ist, wo die Studiengänge und Ausbildungen darauf ausgerichtet sind, sagen, macht doch etwas anderes. Das lässt sich nicht über Nacht abwickeln, diese Strukturen muss man sanft herunterfahren, wenn man das ändern will.
Das Gespräch führte Nora Miethke
Hubert Faustmann ist Professor für Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität von Nikosia. Zudem leitet er das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zypern. Er lebt und arbeitet seit 1999 in Zypern.