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Was macht es mit den Menschen?

Der Landesarbeitstag der Männerarbeit beschäftigte sich mit den Auswirkungen des Strukturwandels.

Von Andreas Kirschke
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Eine christliche Männergruppe informierten sich über die drohende Abbaggerung von Proschim.
Eine christliche Männergruppe informierten sich über die drohende Abbaggerung von Proschim. © Foto: Andreas Kirschke

Proschim. Abbaggerung durch den Tagebau Welzow-Süd droht Proschim. 800 Menschen droht der Verlust der Heimat. „Betroffen wäre auch unsere Kirche. Dieses Jahr ist sie 100 Jahre alt“, sagt Hans-Christoph Schütt, seit 2010 Pfarrer des Evangelischen Pfarrsprengels Welzow, Proschim, Lieske, Greifenhain, Neupetershain und Ressen mit 1 075 Gemeindegliedern. Aufmerksam hören ihm die Teilnehmer des Landesarbeitstages der Männerarbeit zu. 21 Teilnehmer aus dem Raum Berlin, Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus sind dabei. In der Proschimer Kirche fragen sie nach der Verunsicherung im Dorf. Sie erkundigen sich nach der Jugend. Sie ergründen die tiefe Zerrissenheit.

Proschim ist eine Station ihrer zweitägigen Tour in die Lausitz. Mit Kohle-Ausstieg und Strukturwandel setzen sich die Teilnehmer auseinander. „Wir wollen die Seelenlage der Betroffenen ergründen. Von beiden Seiten“, sagt Johannes Simang, Landes-Männerpfarrer und Landesbeauftragter der Männerarbeit der EKBO. „Die bei der Leag Beschäftigten haben Angst, ihr Arbeitsumfeld zu verlieren. Dorfbewohner haben Angst, ihr Lebensumfeld zu verlieren.“ Wer vor Ort in Proschim lebt, kann nicht neutral sein. Entweder ist er für oder gegen die Kohle, sagt Pfarrer Schütt. Drei Mal schon drohte dem Dorf die Abbaggerung. In der Weimarer Republik, in der Nazi-Zeit und in der DDR 1988/1989 sollte Proschim verschwinden. Doch der Kohle-Abbau lohnte sich wirtschaftlich nicht mehr. Heute droht dem Ort erneut die Abbaggerung. Zwischen Kohle-Befürwortern und Kohle-Kritikern zieht sich ein Riss durchs Dorf. „Im Gottesdienst widme ich stets eine Fürbitte den Andersdenkenden“, sagt der Pfarrer. „Ich binde sie dann ausdrücklich mit ein.“

Vielfältig sind die Themen beim Landesarbeitstag. Ein Offener Abend widmet sich dem Thema „Christen und der Umgang mit der AfD“. Ulrike Menzel, Superintendentin des Kirchenkreises Cottbus, diskutiert rege mit. In Großräschen staunen die Teilnehmer des Landesarbeitstages über die rekultivierte Landschaft mit den IBA-Terrassen und dem Großräschener See. In Schwarze Pumpe besichtigen sie das Kraftwerk. Ekkart Herold zeigt ihnen die Anlagen. 1995 bis 2016 war er im Kraftwerk System-Ingenieur. Zum Kohle-Ausstieg 2038 vertritt er seine ganz eigene Meinung. Ihm fehlt ein klares Konzept. Er warnt vor einem überhasteten Kohle-Ausstieg. Kraftwerke wie Schwarze Pumpe mit über 1 600 Megawatt installierter Leistung und über 40 Prozent Wirkungsgrad würden noch längere Zeit gebraucht, meint er. „Allein in einer Sekunde versorgen wir 48 000 Haushalte mit Strom“, unterstreicht Ekkart Herold. „Es geht um die Grundversorgung. Es geht um die Regelleistung. Die können nur große Block-Einheiten erzeugen, keine kleinen Windkrafträder.“

Später, im Bürgerhaus Kausche, diskutieren die Teilnehmer des Landesarbeitstages mit Dr. Markus Binder, kaufmännischer Vorstand der Leag. Unter anderem ging es um das Revierkonzept für die Lausitz. Bei einem früheren Ausstieg als im Konzept vorgesehen könnte das Unternehmen nicht die erforderlichen finanziellen Rücklagen für die Renaturierung und Rekultivierung der durch die Tagebaue beanspruchten Flächen bilden – erfuhren die Teilnehmer des Landesarbeitstages Männerarbeit.

Kausche musste 1995/1996 dem Tagebau Welzow-Süd weichen. Der Ort entstand bei Drebkau wieder neu. „Kausche gilt als Beispiel für eine gelungene Umsiedlung“, meint Klaus Wulff, Mitglied des Männerrates der EKBO. Er selbst wuchs in Kausche auf. Der gelernte Baumaschinen-Schlosser und Ingenieur engagierte sich viele Jahre im Betriebsrat des Unternehmens „Braunkohlebohrungen und Schachtbau Welzow“. Heute ist er als Rentner aktiv in der Männerarbeit der Lutherkirchen-Gemeinde Cottbus verwurzelt.

Im Raum Lausitz bis Görlitz lebt Männerarbeit durch überregionale Arbeit. Vor allem zu konkreten Anlässen wie Advent und Frühlingsanfang. Kirche, unterstreicht der Landes-Männerpfarrer, sollte den Betroffenen des Strukturwandels und des Kohle-Ausstieges in der Lausitz beistehen.

In Proschim sieht Pfarrer Hans-Christoph Schütt trotz Zerrissenheit auch Zeichen der Hoffnung. Seit Bekanntwerden der baldigen Schließung des Kraftwerkes Jänschwalde gibt es mehr und mehr Verunsicherung bei den Bergarbeitern. „Das führt in Einzelfällen dazu, dass sich Verunsicherte mit Verunsicherten solidarisieren“, sagt der Pfarrer. „Die einen bangen um ihre Heimat, die anderen bangen um ihren Arbeitsplatz.“ 2033 endet das sogenannte Teilfeld 1 des Tagebaus Welzow-Süd. „2038 folgt der Kohle-Ausstieg. Für fünf Jahre brauchen wir keinen neuen Tagebau. Ein Aufschluss von Proschim lohnt nicht mehr“, meint der Pfarrer. Ende des 1. Quartals 2020 will die Leag entscheiden. Dann werden auch die heute Verunsicherten endlich Klarheit erhalten.