Von Okan Bellikli
Einseitig, meinungsbetont, meist aus Sicht der politischen Eliten: Das war das Fazit einer 2017 erschienenen Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung über die „'Flüchtlingskrise' in den Medien“. Die Untersuchung erregte viel Aufsehen, auch der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp zitierte sie in der Diskussion mit dem Dichter Durs Grünbein, um seine Medienkritik zu untermauern.
In einer Nachfolgestudie hat sich der Medienwissenschaftler Michael Haller, bis 2010 Leiter des Lehrstuhls für Journalistik in Leipzig, mit der Berichterstattung über den UN-Migrationspakt beschäftigt, der Ende 2018 von 164 Staaten unterzeichnet wurde. Dafür hat er sich die im zweiten Halbjahr des Jahres dazu erschienenen Texte in fünf Medien inklusive ihrer Onlineauftritte angeschaut: der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der Süddeutschen Zeitung (SZ), der Welt, der Bild und der tageszeitung (taz). Dazu kamen stichprobenweise die Tagesschau (mit tagesschau.de) und zum Abgleich Spiegel Online.
Erneut fällt der Befund negativ aus: Haller stellt fest, „dass die Journalisten sich in erster Linie an den politischen Eliten orientieren, kaum aber Betroffene mit ihren abweichenden oder kontroversen Erfahrungen und Positionen zu Wort kommen lassen“. Außerdem liege die Deutung nahe, „dass die Leitmedien weiterhin der Agenda der institutionellen Politik und ihrer Elite folgen und Konfliktstoff erst bearbeiten, wenn er von den Politik-Akteuren öffentlich thematisiert und zur Kontroverse zugespitzt wird“.
Während FAZ und Welt im Vergleich zu 2015/2016 dazugelernt und verschiedene Sichtweisen zu Worte hätten kommen lassen, seien Tagesschau, SZ und taz eher als „Propagandisten des Pakt-Projekts“ aufgetreten. Die Tagesschau sei ihrem – so der Medienwissenschaftler – traditionellen „Leitbild des moralisierenden Belehrungsjournalismus“ gefolgt. Die SZ habe Gegner des Pakts allein der AfD zugerechnet, Sachargumente von Kritikern seien die meiste Zeit verborgen geblieben. In diesem „öffentlichen Schweigen“ sei die SZ der Regierung gefolgt.
Haller zufolge haben die untersuchten Medien keine gute Aufklärungsarbeit geleistet. Der Großteil habe sich dem Pakt erst nach Ende Oktober 2018 so richtig gewidmet, als Österreich ankündigte, ihm nicht beizutreten. Dabei wurde der Entwurf dafür bereits im Juli veröffentlicht. Obwohl die Onlineredaktionen frühzeitig berichteten, sei die Chance nicht wahrgenommen worden, der – nach Hallers Worten – Stimmungsmache von Rechtsnationalen und Rechtspopulisten richtigstellende Informationen entgegenzusetzen.

Vielmehr sind, so die Studie, die untersuchten Medien dem aufgebauschten Gegensatz „GroKo-Politiker versus AfD-Populisten“ gefolgt. Der Umgang mit der Partei Die Linke bestätige das. Zu deren differenzierter Kritik am Abkommen habe sich die Regierung nicht geäußert: „Entsprechend verfuhren die hier untersuchten Zeitungen und ihre Websites: Sie schwiegen.“ Im November, als die öffentliche Debatte ihren Höhepunkt erreichte, erhielten der Studie zufolge „in allen vier Abo-Zeitungen die AfD-Politiker mit ihren immer gleichen Falschbehauptungen im Vergleich zu den kontrovers, dabei gehaltvoll argumentierenden Politikern der Linken rund das Vierfache an Nennungen und Raum.“
Haller nennt auch positive Punkte: Bezüglich des Paktinhalts und der Klärung von Verständnisfragen hätten FAZ und WELT sowie – „mit großer Verzögerung und eingeschränkt“ – die taz informative Texte geliefert. Außerdem hätten die Webseiten im Vergleich zu den Zeitungen mehr Informationen geboten, vor allem süddeutsche.de und welt.de. Außerdem unterschieden die Journalisten, so Haller, besser zwischen „Flüchtlingen“ und „Migranten“, was seiner Auffassung nach zur Versachlichung der Debatte beitrug. In einem anderen Punkt sieht er hingegen eine Parallele zur letzten Studie: „Wenn die meinungsprägenden Leitmedien gesellschaftspolitisch brisante Vorgänge thematisieren, sind sie, allen voran die Tagesschau, auf die Machtelite fixiert.“
Die Bedenken der „von der ‚GroKo‘-Politik Übergangenen“ blieben weitgehend ausgeblendet und würden nur kurzzeitig aufblitzen, wenn es zur Radikalisierung kommt. Im zweiten Teil der Studie berichtet Haller von Gesprächen mit Lokalmedien. Es geht um die Frage, ob sie Konsequenzen aus der ersten Untersuchung 2017 gezogen haben und zum Beispiel bürgernäher geworden sind und mehr Dinge selbst nachrecherchiert haben.
Die Erkenntnis: Oft fehlt Personal oder Zeit dafür. Der Lokaljournalismus sei inzwischen existenziell bedroht. Wenn er untergeht, sagt Haller, „wird der öffentliche Diskurs in Echokammern zerfallen und das Feld den Ideologien radikalisierter Gruppen überlassen“. Er empfiehlt Journalisten, die „herrschende Meinung“ nicht zu feiern, sondern mit „den Argumenten der Skeptiker, der Andersdenkenden, der Verängstigten und Verärgerten“ zu konfrontieren.